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Das stillgelegte Atomkraftwerk Biblis in Hessen kommt seinen Betreiber RWE bis zum endgültigen Abbau noch teuer.
© Valentin Gensch/dpa

Rückstellungen für den Atomausstieg: Wirtschaftsminister und Atomkonzerne: Rückstellungen reichen aus

Mit einem "Stresstest" wollte Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel klären lassen, ob die Konzerne genug Geld auf der hohen Kante haben, um den Atomausstieg zu bezahlen. Das Ergebnis: Ja, aber!

Die finanziellen Risiken der Atomenergie sind in den Bilanzen der fünf Betreiberunternehmen als Rückstellungen enthalten. Zum 31. Dezember 2014 haben die Konzerne 38,3 Milliarden Euro als Rückstellungen für den Rückbau der Atomkraftwerke, die Zwischenlagerung, Verpackung und den Transport der Atomabfälle, sowie für die Endlagerung des Nuklearmülls eingeplant. Mit einem „Stresstest“ wollte das Wirtschaftsklären, ob die Energiekonzerne ausreichend Rückstellungen gebildet haben, um ihre Verpflichtungen erfüllen zu können. Am Samstag hat das Wirtschaftsministerium das Gutachten der Wirtschaftsprüfergesellschaft Warth & Klein Grant Thornton AG veröffentlicht.
Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) zieht aus dem Gutachten den Schluss: „Die Unternehmen sind in der Lage, die Kosten des Kernenergieausstiegs zu tragen.“ Weiter sagte er am Samstag: „Der Stresstest zeigt: Die betroffenen Unternehmen haben bei der Rückstellungsbildung die Kosten vollständig abgebildet.“ Sie hätten sich zudem an die „einschlägigen Regeln gehalten“. Und daraus ergebe sich kein weiterer Handlungsbedarf, meint Gabriel. Allerdings hat er zwei Veränderungen schon vor dem Vorliegen des Gutachtens auf den Weg gebracht.
Mit dem „Konzernnachhaftungsgesetz“, das am kommenden Mittwoch auf der Tagesordnung des Kabinetts steht, soll verhindert werden, dass sich die Betreiberfirmen durch Neuorganisation oder Verkäufe aus der Verantwortung stehlen können. Das Gesetz sieht eine dauerhafte Haftung für die Kernenergierisiken „für den Konzern“ vor, also das Mutterunternehmen wie alle Tochterfirmen, und selbst wenn das Atomgeschäft verkauft würde, bliebe die Verantwortung für die Nachhaftung bei dem verkaufenden Unternehmen. Zum anderen soll das Kabinett am Mittwoch eine „Kommission zur Überprüfung der Finanzierung des Kernenergieausstiegs (KFK)“ einsetzen, die in wenigen Monaten einen Vorschlag darüber vorlegen soll, wie dieses nun auch für alle Konzerne gemeinsam testierte Rückstellungsvermögen erhalten und in den kommenden Jahrzehnten für den dafür vorgesehenen Zweck ausgegeben werden.

Aus der Kommission macht die Regierung noch ein Geheimnis

Wer in dieser Kommission sitzen soll, daraus macht das Wirtschaftsministerium seit Monaten ein Geheimnis. Gabriel selbst hatte bei seinem Besuch in der Endlagerkommission vor der Sommerpause in einem hitzigen Wortwechsel den Berliner Rechtsanwalt Hartmut Gassner als mögliches Kommissionsmitglied genannt. Gassner hatte kritisiert, dass die Rückstellungen gegen Insolvenzrisiken nicht gesichert seien, wenn sie weiterhin lediglich in den Bilanzen der Unternehmen geführt würden. Gabriel sagte damals, damit habe er sich gerade für die KFK qualifiziert. Seit Wochen heißt es aber im Ministerium angesprochen auf die Kommission lediglich, dass „dies noch in der Abstimmung sei“.

Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) ist zufrieden mit dem Ergebnis des von ihm in Auftrag gegebenen Stresstests der Atomkonzerne.
Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) ist zufrieden mit dem Ergebnis des von ihm in Auftrag gegebenen Stresstests der Atomkonzerne.
© Kay Nietfeld/dpa

Die vier großen Atomkonzerne zeigten sich mit dem Gutachten zufrieden. In einer gemeinsamen Pressemitteilung schrieben Eon, EnBW, RWE und Vattenfall am Samstag: „Das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie in Auftrag gegebene Gutachten zur Bewertung der bei den Kernkraft-Betreibern bestehenden Entsorgungspflichten hat keinerlei Beanstandung der Bilanzierungspraxis ergeben.“ Im Gegenteil, in dem Gutachten werde die „seit Jahrzehnten geübte Rückstellungspraxis“ ausdrücklich akzeptiert. Im Gutachten wird auch tatsächlich bestätigt, dass die Konzerne sowohl bei der Schätzung der Kosten als auch bei den bilanzierten Rückstellungen „plausible“ Angaben machten und die angegebenen Rückstellungen die geschätzten Kosten auch decken würden. „Mit diesen Feststellungen haben Spekulationen über einen etwaigen Bedarf für höhere Rückstellungen in den Bilanzen keine sachliche Grundlage“, stellen die Konzerne fest.

Grüne fordern einen öffentlich-rechtlichen Fonds

Die atompolitische Sprecherin der der grünen Bundestagsfraktion, Sylvia Kotting-Uhl, kommentierte das Gutachten so: "Der Stresstest enthält eine gute und eine schlechte Nachricht. Die gute bekommen die Steuerzahler: Noch ist die Situation nicht ausweglos und noch lässt sich die Gefahr abwenden, dass ihnen hohe Milliardenkosten der Atombranche aufgehalst werden.“ Allerdings heißt es in dem Gutachten auch, dass daraus nicht abgeleitet werden könne, dass die langfristige Finanzierung der Entsorgungskosten gesichert sei. Was kein Wunder ist, denn die Kosten für ein Endlager sind derzeit nicht kalkulierbar. Schließlich soll die Endlagerkommission zunächst einmal die Kriterien für die Suche nach einem Endlager festlegen. Und davon hängt wiederum ab, wie teuer das ganze Unternehmen am Ende werden könnte. Kotting-Uhl findet dennoch: „Der Stresstest zeigt, dass das bisherige System der Rückstellungen mit großen Unsicherheiten behaftet und schlicht nicht tragfähig ist.“ Sie fordert zum wiederholten Mal einen „öffentlich-rechtlichen Fonds, in den die AKW-Betreiber einzahlen müssen“. Dabei solle die Pflicht zur Finanzierung beibehalten werden, verlangt sie. Es ist durchaus möglich, dass sich die neue Kommission zur Finanzierung des Kernenergieausstiegs darauf einigt, einen solchen Fonds vorzuschlagen. Das Wirtschaftsministerium will der neuen KFK das aktuelle Gutachten jedenfalls als Entscheidungshilfe vorlegen.

Was hat das Gutachten konkret bewertet?

Das Gutachten von Warth & Klein Grant Thornton ist eine Momentaufnahme aller fünf Atomkonzerne. Eon hat zum 31. Dezember 2014 knapp 16,6 Milliarden Euro als Atomrückstellungen in die Bilanz eingestellt. RWE hat knapp 10,4 Milliarden Euro in den Büchern stehen. EnBW kommt auch gut acht Milliarden Euro, Vattenfall auf gut drei Milliarden Euro und die Stadtwerke München, die Anteile an Atomkraftwerken halten, haben 564 Millionen Euro für den Rückbau und die Endlagerung des Atommülls in ihre Bilanz aufgenommen. Die Wirtschaftsprüfer haben die Angaben der fünf Unternehmen zusammengefasst, weil bei einer Einzelbetrachtung Geschäftsgeheimnisse gefährdet gewesen wären, und die Unternehmen ihre Zahlen nicht herausgerückt hätten. Schon vor der Erteilung des Auftrags hatten sich Wirtschaftsministerium und Konzerne darauf geeinigt, wie die Kosten und Rückstellungen betrachtet werden sollten. Nach diesen Vorgaben haben die Wirtschaftsprüfer dann verschiedene Szenarien berechnet, um eine Bandbreite möglicher Entwicklungen abschätzen zu können.

Die Entsorgungskosten

Die von den Unternehmen geschätzten Kosten für die drei Kostenblöcke Rückbau der Atommeiler, Zwischenlagerung und Transport sowie Endlagerung des Atommülls liegen demnach bei 47,5 Milliarden Euro, und damit oberhalb der in anderen Ländern dafür geschätzten Kosten. Dem stehen die Rückstellungen von 38,3 Milliarden Euro in den Bilanzen gegenüber. Für den Rückbau eines Atomkraftwerks nehmen die Konzerne 857 Millionen Euro an. International liegen die Kostenschätzungen dafür zwischen 205 und 542 Millionen Euro, schreiben die Wirtschaftsprüfer in ihrem Gutachten. Sie gehen davon aus, dass in diesem Posten ein Sparpotenzial von rund sechs Milliarden Euro liege. Je nachdem, welche nuklearspezifischen Kostensteigerungen und Inflationsraten zugrunde gelegt werden, liegen die geschätzten Entsorgungskosten in einer Bandbreite von 29,9 bis zu 77,4 Milliarden Euro.

Was die Konzerne Wert sind

Dem stehen die Rückstellungen und die Vermögenswerte der Konzerne gegenüber, die die Wirtschaftsprüfer mit eher konservativen oder gar sehr niedrigen Zinserwartungen bis hin zu risikobetonten höheren Zinssätzen betrachtet haben. Alles in allem liegt der Wert der Konzerne demnach aktuell bei 81,3 Milliarden Euro, werden die Atomrückstellungen abgezogen sind es 44,5 Milliarden Euro. Mit diesem Vermögen könnten die Firmen also die Entsorgungskosten auf jeden Fall finanzieren. Allerdings stellen die Wirtschaftsprüfer auch fest, dass das „mit den Kernenergierückstellungen korrespondierende Vermögen der Stromproduktionsbereiche alleine“ nicht zur Abdeckung der Entsorgungsverpflichtungen ausreichen würde. Mit anderen Worten: Das Stromgeschäft der Konzerne ist weniger Wert als die Rückstellungen für die Atomenergie. Und das zeigt auch die wesentliche Schwäche des Gutachtens. Es kann aus den Bilanzen nicht herauslesen, wie sich die Strompreise in Zukunft entwickeln, wie weit sich das konventionelle Stromgeschäft der Konzerne weiter entwerten wird, ob dem in den kommenden Jahrzehnten ein ähnlich großes erneuerbares Stromgeschäft folgen wird, und auch die Folgekosten der Braunkohleförderung sind in den Betrachtungen nicht enthalten. Das Gutachten ist, wie immer, wenn es um die Zukunft geht, eine Momentaufnahme. Mehr nicht.

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