Politik und Krankheit: Eine Krebsdiagnose und die Folgen für die SPD
Wer dem Einzelnen alles abverlangt, institutionalisiert am Ende die Überforderung. Die SPD sollte jetzt Kraft und Nerven der Kandidaten schonen. Ein Kommentar.
Wenn so etwas passiert, so etwas Wichtiges und Wuchtiges wie die Krebserkrankung von Manuela Schwesig, dann werden viele ins Nachdenken geraten sein. Und zwar über eigene Lebensumstände und Arbeitsumstände, kurz: über alles das, was zum Leben dazugehört.
Ja, die Selbstverwirklichung des Menschen geschieht durch Arbeit, gleich wo, wie Sozialethiker geschrieben haben. Aber nicht nur. Und so wird das, was Schwesig widerfährt, die Einschränkung durch Krankheit, zur Mahnung auch für die Politik, sich zu besinnen. Wer dem Einzelnen alles abverlangt, institutionalisiert am Ende die Überforderung. Das ist kein guter Weg.
Da könnte die SPD, Schwesigs Partei, vorangehen. Jetzt. Denn es ist, zum Beispiel, für alle Beteiligten eine Überforderung, sich auf 23 Regionalkonferenzen in nur 38 Tagen vorstellen zu sollen, um nachher als Parteichef*in gewählt werden zu können.
Sage keiner, das Thema sei zu klein, nein, es wäre eine angemessene Sache, auf dramatisch veränderte Umstände einzugehen.
Das Auswahlverfahren war sowieso diskussionswürdig
Politik muss nicht, darf nicht nur nahezu unmenschlicher Stress sein, der die Einzelne, den Einzelnen auffrisst. Das will doch keiner mehr. Und macht irgendwann auch keiner mehr mit.
Immerhin könnte es ja ganz anders gehen, wenn man wollte. Die Reisen hierhin und dorthin könnte die SPD sich sparen, im eigentlichen wie im übertragenen Wortsinn. Das Auswahlverfahren war sowieso diskussionswürdig, von der Organisation her – warum nicht jetzt Schlüsse daraus ziehen?
Will sagen: Getragen von gesundem Menschenverstand könnte der SPD-Vorstand doch rasch beraten und beschließen, noch drei Regionalkonferenzen abzuhalten – und dann ab ins Netz. Die verbliebenen Bewerber online only, gewissermaßen.
Unabhängig davon, dass das so modern ist, wie es der SPD niemand zutraut, bleibt es doch demokratisch. Für jedes Kandidatenduo ein zehnminütiges Video (was ja auch länger ist, als sie auf den Regio-Konferenzen zur Einführung haben); und dann alle Videos über alle Kanäle prominent promoten. Das kann doch reichen.
Nerven und Kraft der Kandidaten sind zu schonen
Die 440.000 Sozialdemokraten können sich zu jeder gewünschten Zeit eine Meinung bilden. Sind es auch viele, die die Konferenzen besuchen, sie sind trotzdem nur ein Bruchteil der Mitgliedschaft.
Nerven und Kraft der Kandidaten zu schonen und die der verbleibenden Parteiführung dazu, das wäre das Beste jetzt. Allzu bald ist Malu Dreyer allein, die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin, die das oberste Parteiamt auch aus gesundheitlichen Gründen nicht dauerhaft übernehmen wollte.
Thorsten Schäfer-Gümbel wird doch seinen Posten als Vorstand bei der GIZ, der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, antreten. Heißt, die Parteispitze ist schnellstmöglich zu finden. Also: Videos, Urwahl, Ergebnis – Ende der großen Belastung.
Alternative ist die Methode Breschnew, das sture Durchziehen des einmal Vereinbarten. Manuela Schwesig aber weist eigentlich den richtigen, einen vernünftigen Weg.
Stephan-Andreas Casdorff