Die große SPD-Castingshow beginnt: Olaf Scholz setzt auf Helmut Schmidt
Am Mittwochabend stellten sich in Saarbrücken erstmals die Kandidaten für die SPD-Führung vor. Dabei ging es auch um die Zukunft der großen Koalition in Berlin.
Olaf Scholz kann auch Pathos. Fast eine Stunde lang haben sich Kandidatinnen und Kandidaten für den SPD-Chefposten auf der ersten Regionalkonferenz der Partei in Saarbrücken mit Kurzauftritten vorgestellt, als der Finanzminister an die Reihe kommt, der als trocken und seriös gilt. Er tritt gemeinsam mit der Potsdamerin Klara Geywitz an.
„Ich bin seit meinem 17. Lebensjahr in der SPD. Ich bin in die SPD eingetreten, weil ich für Gerechtigkeit bin“, legt der Vizekanzler mit leicht knarrender Stimme los und stellt klar, was ihm wichtig ist: „Von Beruf bin ich nicht Bundesfinanzminister der Finanzen. Von Beruf bin ich Rechtsanwalt für Arbeits- und Sozialrecht.“ Scholz weiß, dass viele in der Partei ihn als einen Politiker empfinden, dem das Funktionieren der Regierung wichtiger ist als das Wohl der SPD.
Mit Einzelvorschlägen zu politischen Streitthemen hält sich der Hamburger gar nicht erst auf. Stattdessen zitiert er einen Satz von Helmut Schmidt, wonach der Sozialstaat neben der Demokratie die beste Erfindung jüngerer Zeit sei. „Wir müssen ihn auch in Zeiten der Globalisierung verteidigen“, ruft Scholz und fügte hinzu: „Dass es eine gute Zukunft gibt, dafür brauchen wir eine starke, stolze SPD.“ Dann ist er auch schon am Ende mit seinem Auftritt, der zeigen soll, dass ein fühlender, leidenschaftlicher Sozialdemokrat in ihm steckt – einen „truly Sozialdemokrat“, wird er sich später nennen.
Es geht auch um die Groko
Acht Kandidatenpaare und ein Einzelkandidat stellen sich in Saarbrücken den rund 600 Parteimitgliedern im Saal des Congresszentrums vor – auf der ersten von insgesamt 23 Regionalkonferenzen. Das langwierige Auswahlverfahren war innerhalb und außerhalb der Partei heftig kritisiert worden. Auch über die Redezeit von nicht einmal fünf Minuten für jedes Eingangsstatement hatten manche geklagt. Doch langweilig wird es den Zuhörern in Saarbrücken während der zweieinhalb Stunden nie, wie ihre aufmerksamen Reaktionen zeigen.
Lange vor Scholz treten Norbert Norbert Walter-Borjans und die Bundestagsabgeordnete Saskia Esken auf das Podium – das Los hat es so gewollt. Der frühere Finanzminister von Nordrhein-Westfalen stehe für Steuergerechtigkeit, lobt die Bundestagsabgeordnete vom linken Parteiflügel ihren Partner, er stelle die Verteilungsfrage. Walter-Borjans, den auch die Jusos unterstützen, will auch die ökologische Frage mit Verteilungspolitik verbinden. „Wenn wir es ernst meinen mit dem Klimawandel, müssen wir die Lasten aus der Zukunft zurück in die Gegenwart holen“, fordert er. Sein Satz, „Klimapolitik ist Verteilungspolitik“, findet viel Anklang.
Esken und Walter-Borjans werden den Saal am Ende mit neuen Unterstützern verlassen. Denn Oberbürgermeisterin Simone Lange aus Flensburg und ihr Kollege Alexander Ahrens aus Bautzen rechnen nicht nur ab mit dem „Trauma Hartz IV“, sondern ziehen ihre eigene Bewerbung zurück, um eine Empfehlung auszusprechen. „Alexander und ich haben uns entschieden, dass wir unsere Kraft von unseren Unterstützern übergehen lassen auf das Team von Norbert und Saskia“, verkündet Lange zur Überraschung des ganzen Saales.
Neben Scholz und Klara Geywitz gilt der Einzelkandidat Karl-Heinz Brunner als Befürworter der Groko. Doch der Bayer nutzt seinen Auftritt nicht, um die Regierungsarbeit zu verteidigen, sondern skizziert seine Idee von einer lebendigeren, attraktiveren Partei. Auch der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius zählt eigene Erfolge in der großen Koalition auf und warnt: „Ohne unsere Regierungsbeteiligung würde es das alles nicht geben.“
Kritische Töne
Ansonsten sind viele kritische bis völlig ablehnende Töne in Bezug auf die große Koalition zu hören. Das gilt für die Bundestagsabgeordnete Nina Scheer und Fraktionsvize Karl Lauterbach, der sagt: „Ich war ein Befürworter der großen Koalition, Nina war dagegen. Sie hat Recht gehabt.“ Erst recht gilt es für die Parteilinke Hilde Mattheis und den Verdi-Ökonomen Dierk Hirschel. Der warnt: „Eine SPD, die hinnimmt, dass Millionen ausgebeutet und abgehängt werden, die braucht es nicht.“
Keine klare Empfehlung für einen Ausstieg geben Christina Kampmann und Michael Roth ab. Die frühere NRW-Familienministerin und der Europa-Staatssekretär im Auswärtigen Amt setzen vor allem auf einen Umbau der eigenen Partei. Auch Ralf Stegner, der Parteivize vom linken Flügel, und Gesine Schwan, die Politikwissenschaftlerin aus Berlin, plädieren nicht für einen sofortigen Ausstieg. Sie versprechen „ein klares Profil als linke Volkspartei“.
Am Ende steht fest: Einzelne Tandems provozieren viel Beifall und teilweise sogar Jubel. Ein klares Favoriten-Duo aber zeichnet sich in Saarbrücken trotzdem nicht ab. Der wichtigste Grund: Die Genossen im Saal spenden Beifall für widersprüchliche Botschaften – für die Radikalabsage an die große Koalition wie für sozialdemokratischen Gestaltungswillen in Regierungsverantwortung. Wenn die 22 weitere Regionalkonferenzen dann gelaufen sind, werden sie sich für eine Seite entscheiden müssen.