Renten-Präsidentin Gundula Roßbach: "Eine Jahrhundertreform kann es nicht geben"
Renten-Präsidentin Roßbach rät der Politik, nach der Wahl über eine große Rentenreform nachzudenken. Wer mehr Umverteilung anstrebe, müsse auch sagen, wie das zu finanzieren ist.
Frau Roßbach, die SPD und ihr Kanzlerkandidat Martin Schulz ziehen mit dem Slogan „Mehr Gerechtigkeit“ in die Bundestagswahl. Wie gerecht ist die gesetzliche Rente, wie gerecht kann sie sein?
In der Rentenversicherung geht es darum, die Lasten zwischen den Generationen auszutarieren und auf die Schultern aller Beteiligten zu verteilen. Das setzt aber voraus, dass das System immer wieder angepasst wird. Die Jahrhundertreform, die alle Probleme löst, kann es nicht geben. Schließlich verändern sich auch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ständig, etwa durch Zuwanderung oder durch andere Geburtenraten...
Dennoch: Würden Sie von einem gerechten System sprechen?
Das Grundprinzip der Rentenversicherung ist: Wer mehr eingezahlt hat, bekommt auch mehr als Rente heraus. Daneben gibt es in der Rentenversicherung einen sozialen Ausgleich, bei dem auch Zeiten gut geschrieben werden, ohne dass eigene Beiträge gezahlt wurden, beispielsweise bei Kindererziehung. Das halte ich für richtig und sozial gerecht.
Ist es denn in Ordnung, wenn jemand, der sein Leben lang gearbeitet hat, im Alter auf Sozialhilfe angewiesen ist?
Der Standardrentner, mit dem wir kalkulieren, zahlt als Arbeitnehmer 45 Jahre lang Beiträge von einem Durchschnittsverdienst. Damit landet er heute deutlich über der Grundsicherung. Aber natürlich muss man auch fragen: Soll jemand, der sein Leben lang Teilzeit gearbeitet hat, genauso behandelt werden, wie jemand, der Vollzeit beschäftigt war? Wer dauerhaft nur wenige Stunden in der Woche arbeitet, für den wird es schwierig, davon eine eigene auskömmliche Rente zu erhalten.
Das Rentenniveau, also das Verhältnis zwischen Standardrente und Erwerbstätigen- Einkommen sinkt. Ab wann würden Sie denn sagen: Bis dahin und nicht weiter?
43 Prozent stehen als Untergrenze für das Rentenniveau im Gesetz, teilweise wird auch ein höheres Rentenniveau gefordert. Ich finde es wichtig, dass es zu diesen zentralen Fragen einen möglichst breiten Konsens bei den politischen Parteien und gesellschaftlichen Gruppen gibt. Nur dann kann eine Rentenreform langfristig tragfähig sein. Ich könnte mir vorstellen, dass in der nächsten Legislaturperiode eine Rentenkommission eingesetzt wird, die Vorschläge für die zentralen Fragen einer Rentenreform erarbeitet.
Sozialministerin Andrea Nahles zieht die Untergrenze bis zum Jahr 2045 bei einem 46 Prozent. Ist das realistisch?
Ich würde davon abraten, allein aufs Rentenniveau zu schauen. Man muss immer auch die Rentenbeiträge im Blick haben. Klar ist: Wenn man das Rentenniveau stabilisieren will, braucht man zusätzliche Einnahmen. Das kann man über steigende Beiträge finanzieren. Frau Nahles schlägt zusätzlich weitere Mittel aus dem Bundeshaushalt vor. Das wäre aus meiner Sicht dringend notwendig, um die Finanzierung des Vorschlags sicherzustellen.
Hilft ein höheres Rentenniveau gegen das wachsende Problem der Altersarmut?
Wer nur eine sehr geringe Rente bekommt, bei dem wird auch bei einem höheren Rentenniveau die Rente in aller Regel nicht über der Grundsicherung liegen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang aber: Die meisten haben neben ihrer Rente noch zusätzliches Einkommen. Armut kann man nur anhand des Gesamteinkommens des Haushalts beurteilen.
Wie soll die Politik diesem Problem denn sonst begegnen?
Man muss genau schauen, wer besonders von Altersarmut betroffen ist und für diese Problemgruppen gezielt etwas tun. Da gibt es zum einen die Erwerbsminderungsrentner, die im Moment überdurchschnittlich von Altersarmut betroffen sind. Hier hat die große Koalition schon nachgebessert. Eine andere Problemgruppe sind Menschen mit unsteten Erwerbsbiografien. Oder kleine Selbstständige mit unregelmäßigem Einkommen.
Viele dieser Selbstständigen schaffen es nicht, für ihr Alter vorzusorgen. Muss es für sie eine Rentenpflicht geben?
Ich halte eine obligatorische Absicherung von Selbstständigen für sinnvoll. Die Rentenversicherung hat ihnen ein gutes Paket zu bieten. Wer bei uns Beiträge zahlt, erhält etwa auch einen Anspruch auf Reha-Leistungen und ist im Fall einer Erwerbsminderung ebenfalls abgesichert.
Kleine Selbstständige hangeln sich finanziell oft nur gerade so durch. Woher sollen sie das Geld für Pflichtbeiträge nehmen?
Natürlich muss man in den Blick nehmen, dass Selbstständige die Beiträge auch stemmen können. Frau Nahles hat in ihrem Rentenkonzept deshalb Sonderregelungen für Existenzgründer vorgesehen. Diskutiert wird auch, dass sich Auftraggeber und Steuerzahler an den Rentenbeiträgen von Selbstständigen beteiligen, wie das jetzt schon in der Künstlersozialkasse geschieht.
Unser Rentensystem belohnt Erwerbstätigkeit und bestraft Auszeiten etwa für die Erziehung. Mütter, die vier Kinder großgezogen haben, bekommen im Schnitt nur 582 Euro Altersrente.
Das Problem gibt es vor allem im Westen. Hier entscheiden sich immer noch viele Frauen für längere Erziehungsphasen und einen Zuverdienst über Minijobs. Hierauf hat die Bundesregierung reagiert. Die Leistungen für Mütter sind immer mehr ausgebaut worden. Für Kindererziehung fließen bis zu drei Jahre lang Beiträge. Und für jedes Kind gibt es eine Berücksichtigungszeit von zehn Jahren, in der bei geringen Einkommen Entgelte aus Berufstätigkeit aufgewertet werden. Man kann darüber streiten, ob das reicht. Wenn wir mehr Umverteilung wollen, muss man auch sagen, wer es finanziert.
Bundesbeamte haben, wenn sie in den Ruhestand gehen, im Schnitt 68 Prozent ihres letzten Gehaltes als Pension. Rentner kommen nur auf 48 Prozent. Ist das gerecht?
Hier werden Äpfel mit Birnen verglichen. Bei der Rente geht es immer um das gesamte Erwerbsleben. Die gesetzliche Rente war nie wie bei den Beamten darauf ausgerichtet, die Einkünfte am Ende des Erwerbslebens abzubilden. Und man darf auch nicht vergessen, dass viele Arbeitnehmer und Angestellte anders als Beamte noch eine betriebliche Altersvorsorge haben.
Ich finde es gut, dass es fast nach drei Jahrzehnten nach der Wiedervereinigung jetzt eine Angleichung der Renten in Ost und West geben soll. Wir haben aber als Rentenversicherer immer gesagt, dass es sich bei der vorgezogenen Lohnangleichung im Osten um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe handelt, die aus Steuern finanziert werden muss. Wir werden uns auch im weiteren Gesetzgebungsverfahren dafür einsetzen, dass wir hier eine volle Erstattung bekommen.
Die gesetzliche Rente ist in Zeiten der Nullzinspolitik wieder attraktiver geworden. Welche Rendite haben Sie denn zu bieten?
Wir sind immer noch bei zwei bis drei Prozent – und das, nach unseren Prognosen, auch noch für die nächsten 20 Jahre. Bei den Frauen ist die Rendite etwas höher als bei Männern, weil sie eine längere Lebenserwartung haben.
Ohne zusätzliche Vorsorge geht trotzdem kaum noch was. Wozu raten Sie?
Wir machen unabhängige, produktneutrale Altersvorsorgeberatung und geben auch Auskunft zu diesem Thema. Riestern lohnt sich vor allem für Frauen mit Kindern. Mitversicherte Ehepartner können die gesamten Kinderzulagen schon mit fünf Euro im Monat bekommen. Viele wissen das gar nicht.
Die Riesterrente ist kompliziert, viele verdienen daran. Brauchen wir ein einfacheres Standardprodukt ohne Provisionen?
Wenn man Produkte in den Wettbewerb schickt, entstehen dadurch immer Zusatzkosten. Seit diesem Jahr gibt es aber die Verpflichtung, die Kunden mit Produktinformationsblätter detailliert über die Kostenverteilung aufzuklären. Es könnte sein, dass wir dadurch bereits eine Art Marktbereinigung bekommen. Vielleicht ist dies ein Teil des Weges in Richtung einiger weniger Standardprodukte der privaten Vorsorge.
Das Renteneintrittsalter steigt schrittweise auf 67 Jahre. Kann es dabei bleiben?
Wir sollten jetzt erst mal sehen, wie die bisherigen Beschlüsse wirken. Bleiben die Menschen länger im Job oder kommt es vermehrt zu vorgezogenen Renten mit Abschlägen? Ändern sich die Beschäftigungsverhältnisse für Ältere, wirken Präventionsmaßnahmen? Man muss ja auch sehen, dass das Alter, in dem die Menschen in Rente gehen, sich schon deutlich erhöht hat. Im Westen liegt es jetzt eineinhalb Jahre, im Osten gut zweieinhalb Jahre höher als noch zur Jahrtausendwende.
Was halten Sie von einer Kopplung der Lebensarbeitszeit mit der steigenden Lebenserwartung der Bevölkerung?
Ich halte das zurzeit nicht für zielführend. Bei einer solchen automatischen Festlegung der Altersgrenze wird übersehen, dass sich die wirtschaftliche Lage oder die gute Situation am Arbeitsmarkt ändern können. Wenn man nur die Lebenserwartung im Blick hat, bleiben diese Faktoren außen vor.
Cordula Eubel, Rainer Woratschka