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Mehtap Erol ist dauernd unterwegs: "Wir protestieren bis die Besatzung in Nordsyrien endet."
© Hannes Heine

„Wir protestieren, bis die Besatzung endet“: Eine Berliner Kurdin ist das Gesicht des Protests gegen den türkischen Einmarsch

Mehtap Erol kämpft in Deutschland für Syriens kurdische Autonomieregion. Das ist gefährlich: Graue Wölfe bedrohen sie als „PKK-Terroristin“.

Wenn Mehtap Erol nach einem der Protestmärsche dieser Tage erschöpft in die S-Bahn steigt, um nach Hause zu fahren, dreht sich die sonst so arglos wirkende Frau immer noch mal um. Man wisse nie, sagt Erol, wer einem folge.

Und weil Mehtap Erol derzeit oft an Protesten teilnimmt, diese sogar meist selbst organisiert, passt sie in diesem Herbst auch ziemlich oft auf, wer so hinter ihr läuft.

Erol, 48 Jahre, Pflegefachkraft, Berlinerin, kämpft für die vom Westen fallengelassenen Kurden in Syrien. Es ist ein Kampf, der auch auf Deutschlands Straßen ausgetragen wird. Nicht mit türkischen Bomben und kurdischen Gewehren, aber mit Flugblättern und Fahnen – und mit Fäusten und Flaschen.

Mehtap Erol will die deutsche Öffentlichkeit für die Abwehrschlacht der syrischen Kurden sensibilisieren, die Ankaras Armee wenig entgegensetzen können. Erol will in Deutschland auch auf die Dschihadisten aufmerksam machen, die gemeinsam mit den türkischen Soldaten vorrücken, auf all die Entführungen, Vergewaltigungen, Hinrichtungen.

Und auf die deutschen Waffenexporte, die seit jeher an Ankara gehen. Am Wochenende hat Erol 2000 Demonstranten durch Berlin geführt, Reden gehalten, Interviews gegeben. „Die Proteste gehen weiter, bis die Besatzung endet“, schreit Erol fast, weil die Musik aus dem Lautsprecherwagen lauter wird. „Bis das Erdogan-Regime und die dschihadistischen Banden abziehen.“

Recep Tayyip Erdogan, der Staatschef im fernen Ankara, ist auch in Deutschland ein Symbol, an dem sich die politischen Lager teilen. In Herne stürmten Demonstranten ein türkisches Café, in Stuttgart prügelten sich Erdogan-Anhänger mit linken Kurden, in Bottrop wurden aus einem Pro-Türkei-Mob offenbar Pflastersteine auf eine kurdische Gruppe geworfen, in Berlin provozierten türkische Nationalisten kurdische Demonstranten – Flaschen flogen, mutmaßlich ein Kurde soll im Gerangel einem Polizisten das verlorene Reservemagazin geklaut haben.

Die Landesbehörden beraten täglich mit dem Bundeskriminalamt über die Lage, türkische Einrichtungen werden ohnehin dauerhaft bewacht. „Ich habe der Polizei angeboten, regelmäßig Gespräche zur Deeskalation zu führen“, sagt Mehtap Erol. „Wir rufen zu Besonnenheit auf, auch wenn das angesichts der Provokationen durch Rechtsradikale und Islamisten schwerfällt.“

Auch in Berlin sammeln sich Graue Wölfe

In der Kurdenfrage seit jeher fanatischer als Erdogans islamische AKP ist sein Koalitionspartner, die MHP. Sie gilt als die Partei der türkischen Faschisten, der berüchtigten Grauen Wölfe, die auch in Deutschland aktiv sind. Erst vor einigen Tagen provozierten in Berlin junge Männer vor Shisha-Bars kurdische Demonstranten mit dem Wolfsgruß, ein Mob türkischer Nationalisten sammelte sich an der Schönleinstraße. Der Wolfsgruß ist die bekannteste Geste der Grauen Wölfe. Dabei wird der Arm gehoben, Ring- und Mittelfinger werden auf den Daumen gelegt, Zeigefinger und kleiner Finger gespreizt, um so einen Wolfskopf zu symbolisieren.

Graue Wölfe sind in diversen Vereinen organisiert und nennen sich selbst oft „Idealisten“ – türkisch: Ülkücüler. Mit schätzungsweise 18.000 Mitgliedern sind sie Deutschlands größtes rechtsextremes Netzwerk. Ihre Feinde: kurdische, armenische, griechische Politiker, Juden, Kommunisten, der Vatikan und die USA. Je nach Flügel gibt es tiefreligiöse Wölfe und solche, die sich in der Tradition des Laizisten Mustafa Kemal Atatürk sehen. Der rief nach dem Zerfall des Osmanischen Reiches die türkische Republik aus.

Die PKK hat Kampferfahrung

Alle Grauen Wölfe wollen die ebenfalls militante PKK, die Arbeiterpartei Kurdistans, bekämpfen. Die PKK führt seit den 80er Jahren einen Guerillakampf um kurdische Autonomie im Südosten der Türkei. Seit 1993 ist sie in Deutschland verboten, sie soll dem Verfassungsschutz zufolge bundesweit 14.500 Mitglieder haben. Beide Seiten, türkische Rechte und kurdische Linke, haben mitunter Kriegserfahrungen. Und deutsch-türkische Dschihadisten beteiligten sich unbestätigten Angaben von Szenekennern zufolge erst im vergangenen Jahr am türkischen Einmarsch in der von Kurden kontrollierten Enklave Afrin in Syrien.

Erdogan begründet auch seinen aktuellen Einmarsch in Syrien damit, die Macht der säkularen Kurdenpartei PYD und der ihr nahestehenden Miliz YPG brechen zu wollen. Die PYD regiert das seit 2012 autonome Nordsyrien und gilt als Schwesterpartei der PKK. Nach nur wenigen Tagen sind 250.000 Männer, Frauen und Kinder geflohen, je nach Quelle dazu mehr als 1000 Menschen gestorben. Amnesty International sprach von Kriegsverbrechen durch Ankaras Armee.

Während Gerichte in Belgien den Kampf der PKK mit der türkischen Armee als legitimen bewaffneten Konflikt bezeichnen, wird die Partei in Deutschland streng verfolgt – ihre Symbole dürfen nicht gezeigt werden, Bücher, Möbel und Gelder ihr nahestehender Vereine werden beschlagnahmt. Im April 2015, einige Monate nachdem die PKK die irakischen Jesiden vor einem Massaker durch den „Islamischen Staat“ rettete, bat die Parteiführung um Verzeihung: Die Anschläge, die man in den 90er Jahren in Deutschland auf türkische Institutionen verübt habe, seien ein Fehler gewesen.

Türkische Nationalisten: "Wir werden bedroht"

Am Wochenende waren die meisten Vereine der türkischen Rechten nicht zu erreichen; viele Funktionäre wollen auch gar nicht mit der Presse sprechen. Fatih Oguz ist dahingehend anders. Er ist Generalsekretär des vielleicht bedeutendsten Nationalistenverbandes, der „Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland“. Der meist türkisch ADÜTDF abgekürzten Föderation gehören laut Verfassungsschutz in 170 lokalen Vereinen insgesamt 7000 Mitglieder an. Oguz sagt, in den vergangenen Tagen seien türkische Bürger in Deutschland angegriffen und bedroht worden. Sein Verband werde in Deutschland nicht zu Demonstrationen aufrufen, sagt Oguz, er bedauere aber, dass deutsche Institutionen von Provokationen betroffen seien: Von welcher Seite diese ausgingen, sollte klar erkennbar sein. Oguz meint die Pro-YPG-Kurden.

Neu ist, dass sich die deutschen Sicherheitsbehörden nicht nur auf die Kurden fokussieren: In Deutschland leben gut vernetzte Rechtsradikale aus der Türkei – das wissen inzwischen auch Berlins Polizisten. Mehtap Erol sagt, Beamte hätten ihr zugesichert, sie könne sich jederzeit melden.

Wie viele Männer und Frauen in Berlin auf welcher Seite stehen, ist unklar. Circa 200.000 Berliner dürften sich als Türken bezeichnen, darunter selbstverständlich Erdogan-Kritiker. Und unter den schätzungsweise 100.000 Berliner Kurden gibt es auch Konservative, die das säkulare Modell in Nordsyrien ablehnen. Dazu kommen Islamisten aller Couleur, die sich mit Erdogans Politik identifizieren, und Linke, die Nordsyriens Räteverwaltung verteidigen. Vor einigen Tagen preschten einige von ihnen in der Bundespressekonferenz mit Transparenten vor das Podium und forderten den Stopp aller Rüstungsexporte in die Türkei.

"Frauen, Leben, Freiheit"

„Jin, Jiyan, Azadi“ hallt es hinter Mehtap Erol aus der Demonstration, die am Wochenende zum Brandenburger Tor zieht, auf Deutsch: „Frauen, Leben, Freiheit“. Nirgendwo in Syrien, das berichten Menschenrechtler, lebten Frauen so frei wie in der von Kurden oft Rojava genannten Autonomieregion. Sie fürchten nun die Islamisierung der Region, so wie im einst ebenfalls von den Kurden regierten Afrin. Dort herrschen seit einer Invasion 2018 syrische Salafisten und Ankaras Armee.

Mit den gelben Fahnen der multiethnischen SDF-Einheiten protestieren Kurden am Wochenende in Berlin.
Mit den gelben Fahnen der multiethnischen SDF-Einheiten protestieren Kurden am Wochenende in Berlin.
© Hannes Heine

Als Kind zog Mehtap Erol mit ihren Eltern aus Dersim, das für einen in den 30er Jahren niedergeschlagenen Kurdenaufstand bekannt ist, nach Berlin. Unter kurdischen Aktivisten in Berlin ist Erol eine der aktivsten. Sie hat sich für die deutsche Sektion der türkischen Oppositionspartei HDP engagiert, hilft in Berlins kurdischer Gemeinde, ist zudem der deutschen Linkspartei beigetreten. Von türkischen Nationalisten wird sie in E-Mails als „PKK-Terroristin“, als „Kurden-Schlampe“ beschimpft. Ihre Mitstreiter in der Türkei verschwinden in Gefängnissen, werden verleumdet, gequält, vertrieben.

Endgültig zur Aktivistin habe sie der Mord an ihrer Cousine gemacht, sagt Erol: Im Januar 2013 schoss ein Mann, den französische und deutsche Ermittler als türkischen Nationalisten einstuften, in einem Pariser Vereinsheim drei Frauen. Sie sollen zur PKK-Führung in Europa gehört haben, darunter auch Erols Cousine.

Auch in Berlin werden immer wieder Kurden-Aktivisten angegriffen. In Charlottenburg bespuckten Männer und Frauen 2014 prokurdische Demonstranten. Als in der Türkei 2015 die linke, von Kurden unterstützte HDP an Zuspruch gewann, griffen türkische Nationalisten in Kreuzberg einen Wahlkampfstand an. In der Nähe brannte ein HDP-Büro. „Die Nacht danach“, sagt Mehtap Erol, „habe ich dort Wache gehalten.“

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