Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen: Ein Test für Laschets Siegerqualitäten und grüne Regierungsansprüche
Die NRW-Kommunalwahl am kommenden Sonntag ist die erste große Bewährungsprobe für die Parteien seit Beginn der Pandemie. Was steht für wen auf dem Spiel?
Armin Laschets Name steht auf keinem einzigen Wahlzettel. Eigentlich taugt eine Kommunalwahl auch nur schlecht als Stimmungsbarometer für die Landesregierung und ihren Chef. Aber wenn am Sonntag, dem 13. September, mehr als 13 Millionen Nordrhein-Westfalen aufgerufen sind, ihre Ratsvertretungen und Oberbürgermeister neu zu wählen, wird auf das Ergebnis nicht nur vor Ort in Dortmund, Aachen oder Lüdenscheid geschaut.
Was können die möglichen Kanzlerkandidaten von der Wahl erwarten?
Laschet hebt als Eignungsnachweis für seine Bewerbung um CDU-Vorsitz und, perspektivisch, das Kanzleramt gerne selbst hervor, dass er als einziger der drei CDU-Kandidaten schon eine Wahl gewonnen hat. Was Wunder, wenn dieser Wahlgang nun als Fingerzeig auf seine aktuellen Siegerqualitäten gewertet wird. Doch auch für andere Parteien ist die einzige größere Wahl dieses Jahres spannend, wenn auch aus höchst gegenläufigen Gründen: Robert Habeck und Annalena Baerbock können mit einem Schub für grüne Regierungsansprüche rechnen. Dem SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz hingegen droht ein Rückschlag aus dem Land, in dem seine Partei über Jahrzehnte als unschlagbar galt.
Wie sehen die Umfragen aus?
Nimmt man das größte Bundesland als Ganzes, stehen Laschets Karten nicht schlecht. Die traditionelle Umfrage knapp zwei Wochen vor der Wahl im Auftrag des WDR und mehrerer großer Lokalzeitungen sah die CDU trotz einiger Verluste im Vergleich zum Juni stabil auf Platz eins. Stünde statt der Kommunal- eine Landtagswahl an, bekäme Laschets Partei demnach 34 Prozent.
Darin steckt ein kräftiger Anteil Bundestrend. Nicht nur die Kanzlerin, die Laschet neulich das „Rüstzeug“ für Höheres bescheinigte, und Gesundheitsminister Jens Spahn als Mitstreiter im CDU-Vorsitzendenrennen, auch der bayerische Gegenspieler und CSU-Chef Markus Söder stützt mit seinen hohen Sympathiewerten indirekt den Mann in Düsseldorf.
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Laschet selbst als Ministerpräsidenten stellten immerhin 52 Prozent der Befragten ein gutes Zeugnis aus. Das ist besser als noch vor drei Monaten, als er als umstrittener oberster Lockerer im Zentrum des Corona-Streits stand. Laschet ist inzwischen zu exemplarischer Strenge umgeschwenkt – im Einklang mit seinen Landeskindern, von denen 87 Prozent sogar die Absage des Karnevals richtig finden.
Schon in den Landeszahlen ist zugleich ein Trend erkennbar, den die Demoskopen auch für die Kommunalwahl ausmachen: Die Grünen können zum Teil mit sehr kräftigem Zuwachs rechnen: Sie überholen derzeit mit 22 Prozent sogar knapp die SPD (21 Prozent), die einstige Alleinherrscherin im Rhein- und Ruhr- Revier. Alle anderen Parteien, auch die mitregierende FDP mit gerade mal 7 Prozent, dümpeln bei schwach einstelligen Werten. Auch bei den Liberalen spielt der Bundestrend hinein; dazu kommt, dass Schulministerin Yvonne Gebauer in der Coronakrise viel Kritik auf sich zieht.
Die AfD spielt in einigen Ruhrgebietskommunen eine Rolle. Aufs ganze Land betrachtet war sie immer schon weit schwächer als im Osten, und Corona hat sie bis auf jetzt sieben Prozent gedrückt.
Wer macht sich Hoffnungen?
Doch so interessant die landesweiten Zahlen sind – entschieden wird die Frage woanders, wer als Sieger und wer als Verlierer aus dem Sonntag hervorgeht. Denn NRW ist ein Land großer Städte, dort wird die kommunale Schlacht um die Macht an vorderster Front geschlagen. Neulich stand SPD-Chef Norbert Walter-Borjans ziemlich unbeachtet auf dem Willy-Brandt-Platz. In Dortmund fehlt es nicht an sozialdemokratischer Symbolik, seit Herbert Wehner die damalige Kohle- und Stahl-Stadt einmal zur „Herzkammer“ der Sozialdemokratie erklärt hat. Das Bild bemüht auch der OB-Kandidat Thomas Westphal wieder, den zu unterstützen der SPD-Chef in seine nordrhein- westfälische Heimat gereist ist.
Aber seit nicht mehr die Stahlkocher in der „Hölle von Bangla-Hoesch“ die Stadt prägen, wie der größte Arbeitgeber damals oft genannt wurde, sondern eher die aufstrebende Universität, ist Dortmund für die SPD keine sichere Bank mehr. Nach der WDR-Umfrage bliebe sie stärkste Kraft im Rat – aber 32 Prozent wären ein neuer Minusrekord. Dass die CDU mit 21 Prozent ebenfalls auf ein historisches Tief zusteuert, ist kein Trost. Denn noch vor den Christdemokraten sehen die Demoskopen die Grünen – 26 Prozent, so viel wie noch nie. Damit ist auch der Ausgang der OB-Wahl offen.
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Westphal, dessen langjähriger Vorgänger nicht mehr antritt, gilt zwar als Favorit für eine Stichwahl. Aber für die CDU bewirbt sich Andreas Hollstein. Der war als Bürgermeister von Altena bundesweit bekannt geworden, als ihm 2017 ein Angreifer, dem Hollsteins flüchtlingsfreundliche Politik nicht passte, ein Messer an den Hals setzte. Und es gibt eine Dritte im Spiel: Die Grüne Daniela Schneckenburger. Hatten die Grünen anfangs sogar erwogen, den CDU-Kandidaten zu unterstützen, ließ der grüne Aufschwung im Klima-Sommer 2019 eine eigene Kandidatin plötzlich aussichtsreich erscheinen – und so ist es geblieben.
Das knappe Rennen in Dortmund ist in seiner Konstellation nicht untypisch für den Trend, wie ihn die Demoskopen von infratest dimap für die Oberbürgermeisterwahlen in elf der größeren Städte ermittelt haben. So machen sich auch in Bielefeld und Bonn drei Bewerber berechtigte Hoffnung auf den Spitzenposten, in weiteren Städten, etwa Wuppertal, liegen die drei Ratsparteien dicht an dicht.
Wo wird es eng?
Nur in wenigen großen Kommunen können Amtsinhaber auf Bestätigung im ersten Wahlgang rechnen – bis auf die von einem breiten Bündnis gestützte Parteilose Henriette Reker in Köln haben sie alle das Parteibuch der CDU. In vom ländlich-katholischen Umfeld mitgeprägten Städten wie Münster oder Siegen ist das kein Wunder. In Essen, wo Thomas Kufen glatte 60 Prozent vorhergesagt werden, wirkt es weniger selbstverständlich, auch wenn die Kulturstadt mit ihren bürgerlichen Südvierteln nie ganz ins Ruhrpott-Klischee passte. Heute sind die alten Arbeiterviertel im Norden soziale Problembezirke.
Doch selbst für Essener Verhältnisse liegt Kufens SPD-Herausforderer mit 15 Prozent hoffnungslos im Hintertreffen. Auch im Stadtrat sieht alles danach aus, dass die Sozialdemokraten nicht nur den ersten Platz an die CDU verlieren, sondern das zu allem Überfluss dramatisch deutlich: Es droht ein Absturz von 34 Prozent vor fünf Jahren auf 19 Prozent. Das wären dann zwar sogar drei Prozent mehr, als die Bundes-SPD zur Zeit im Politbarometer taxiert wird, aber immer noch blamabel. Darüber könnte allenfalls die Landeshauptstadt Düsseldorf hinwegtrösten: SPD-Amtsinhaber Thomas Geisel liegt aktuell Kopf an Kopf mit dem CDU-Mann Stephan Keller.
Platz drei belegt dort ausnahmsweise eine Liberale. Die FDP-Bundestagsabgeordnete Agnes-Marie Strack-Zimmermann schwärmte vorige Woche sogar schon vom Einzug in die Stichwahl. Doch obwohl die Frau mit dem weißen Sturmhaarschopf nachgerade sagenhafte Zustimmungswerte aus freidemokratischer Perspektive erzielt – als Eintrittskarte für die Endausscheidung reichen geschätzte 17 Prozent nicht.
Welche Rolle spielen die Grünen?
Sie sind der Newcomer des Jahres im mit Abstand größten Bundesland. Fast in allen Kommunen können sie mit deutlichem Zuwachs rechnen, in einigen sogar mit aufsehenerregendem. In der alten Bundeshauptstadt Bonn zum Beispiel. 35 Prozent sagen ihnen die Demoskopen voraus, fast eine Verdoppelung der Stimmen. Und OB-Kandidatin Katja Dörner, derzeit Fraktionsvize im Bundestag, hat gute Chancen, in der Stichwahl gegen den CDU-Amtsinhaber Ashok Sridharan anzutreten.
Noch günstiger ist die Ausgangslage für ihre Parteifreundin Sibylle Keupen in Aachen. Dort führt die Grüne mit 35 Umfrage-Prozenten die Kandidatenliste an, CDU und SPD rangeln mit Werten um 25 Prozent um die Plätze zwei und drei. In beiden Städten spielen lokale Themen und Konstellationen eine Rolle beim grünen Aufschwung. Doch zugleich schlägt sich an diesen Standorten großer Universitäten zum ersten Mal sichtbar der Zuwachs wider, den die Öko-Truppe durch die neu aufgeflammte Klimadebatte im vorigen Jahr erfahren hatte. Die Coronakrise hat das Thema vorübergehend verdeckt. Verschwunden ist es offenkundig nicht.
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Ohnehin machen etwa Forscher der Uni Münster in den Kommunen inzwischen eine breite und parteiübergreifende Mehrheit für einstmals „grüne“ Themen wie Tempo-30-Zonen oder den massiven Ausbau des Nahverkehrs aus. „Ein grünes Umdenken gibt es schon“, bilanzierte am vorigen Donnerstag der Kommunalwissenschaftler Norbert Kersting die Daten einer Umfrage unter Kommunalpolitikern – und zwar sowohl im klassischen „linken“ wie im „bürgerlichen“ Lager. In Wählern gerechnet macht sich das in NRW vor allem für die SPD schmerzhaft bemerkbar. Wo Grüne erstarken, geht das überwiegend zu Lasten der Sozialdemokraten; in Bonn zum Beispiel würden sie nach der jüngsten Umfrage mehr als sieben Prozent verlieren.
Und worauf muss sich die CDU einstellen?
Auch sie muss bluten. Ausgerechnet in Laschets Heimatstadt Aachen liegt nicht nur die grüne Spitzenkandidatin vorn, auch im Stadtrat droht den bisher dominierenden Parteien ein Beben. Die CDU, bisher Nummer eins, muss wie die SPD mit Verlusten von zehn Prozent rechnen. Zusammen landen die 20 Prozent praktisch komplett bei den Grünen. Laschet muss sich also nach dem Wochenende zumindest auf ein paar spöttische Nachfragen einstellen und auf ein paar ernstere, was der stille grüne Aufwuchs für die Bundestagswahl bedeutet.
Und natürlich, was seine Vergangenheit angeht. Der Christdemokrat war schon in den 90er Jahren ein Wegbereiter der Zusammenarbeit mit der Öko-Partei. Aber so wie in Aachen hatten sich die jungen CDU-Abgeordneten der „Pizza-Connection“ die Rangfolge der Parteien eigentlich nicht vorgestellt.