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Israel, Modi'in: Schüler mit Mundschutzen sitzen in einem Klassenzimmer. 
© picture alliance/Gil Cohen Magen/XinHua/dpa

Angst vor der zweiten Corona-Welle: Drei Länder zeigen, worauf es bei Schulöffnungen ankommt

In Israel und Australien waren Schulen nur kurze Zeit offen, ehe sie wegen neuer Infektionen wieder schließen mussten. In Dänemark ging das Konzept auf.

In Klassenzimmern weltweit blieben monatelang die Stühle auf den Tischen, Tafeln zugeklappt und Kreiden unberührt. Wegen der Corona-Pandemie mussten 60 Prozent der Schulen in 186 Ländern ihren Präsenzunterricht außerplanmäßig einstellen. 1,5 Milliarden Schülerinnen und Schüler blieben zuhause.

In Deutschland soll das Schuljahr nun wieder in den Klassenzimmern starten. Doch das verstärkt die Sorge vor einer zweiten Corona-Welle. Zeitgleich erhöht sich die Zahl der gemeldeten Neuinfektionen stetig. In vielen anderen Ländern hat sich die Situation in den vergangenen Monaten wieder massiv verschlechtert – etwa in Australien und Israel.

An beiden Orten war die Pandemie durch strikte Grenzkontrollen und Ausgangsbeschränkungen im März und April schnell eingedämmt worden.

Doch die vermeintliche Rückkehr zur Normalität währte nur kurz. In Israel wurden die Schulen Mitte Mai wieder geöffnet, die Schülerinnen und Schüler zunächst in Kleingruppen unterrichtet. Für die Älteren galt Maskenpflicht. Fenster mussten geöffnet bleiben. Tische sollten mit knapp zwei Meter Abstand zueinander stehen.

Mit dem Beginn einer Hitzewelle zwei Wochen später wurde den Kindern erlaubt, ihre Masken abzulegen, die sie davor auch während des Unterrichts tragen mussten. Fenster durften geschlossen werden, die Klimaanlagen sollten kühlen.

 Israel, Modi'in: Ein Lehrer spricht im Klassenzimmer zu seinen Schülern. Das Bild zeigt die Situation Mitte Mai. Danach folgten zahlreiche Schulschließungen.
Israel, Modi'in: Ein Lehrer spricht im Klassenzimmer zu seinen Schülern. Das Bild zeigt die Situation Mitte Mai. Danach folgten zahlreiche Schulschließungen.
© picture alliance/Gil Cohen Magen/XinHua/dpa

Da die Infektionszahlen zunächst niedrig blieben, wurden die Kleingruppen aufgelöst, die Schulen kehrten vollends zurück zum Regelbetrieb. In vielen Klassenzimmern herrschten dieselben beengten Verhältnisse wie vor der Pandemie. Das erwies sich als Fehler. Experten gehen davon aus, dass die Schulöffnungen in Israel einen entscheidenden Teil zur zweiten Viruswelle beitrugen.

Israel schickte zehntausende Schüler wieder nach Hause

Die israelische Forscherin Ronit Calderon-Margalit nennt die Schulsituation in Israel gegenüber der "New York Times" "ideale Voraussetzungen für einen Ausbruch".

Und der kam dann auch tatsächlich. Die Fallzahlen im Land stiegen rapide. Am 3. Juni schließlich wurden 28147 Schüler, Lehrer und deren Angehörige in Quarantäne geschickt, nachdem an mehreren Schulen Corona-Fälle nachgewiesen wurden – darunter mindestens 130 Fälle an einem einzigen Gymnasium in Jerusalem. Insgesamt wurden 2026 Schüler und Lehrer positiv auf das Virus getestet. 240 Schulen wurden geschlossen.

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Grafiken zeigen einen massiven Anstieg der Corona-Fälle in Israel seit den Schulöffnungen. Landesweit wurden im April durchschnittlich etwa 50 Fälle am Tag gemeldet – mittlerweile sind es mehr als 1000.

In Australien war die Situation ähnlich: Die Reporterin Besha Rodell berichtet in der „New York Times” von Schulen in Victoria, die gerade mal sieben Tage geöffnet waren, ehe der Präsenzunterricht wieder eingestellt wurde, weil einzelne Schüler infiziert waren.

Israel und Australien reagierten laut Experten genau richtig auf die Ausbrüche in den Schulen. Ein Forscherteam um den Statistiker Peter Klimek vom Complexity Science Hub Vienna untersuchte, welche Maßnahmen sich im Kampf gegen das Virus besonders bewährt hatten. „Unsere Ergebnisse sind klar, Schulschließungen sind sehr wirksam“, sagte Klimek dem „Spiegel“. Und weiter: „Ich sage das nicht leichtfertig, ich habe selbst zwei Kinder, ich war selbst von der Mehrbelastung betroffen.“

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Klimek gibt auch zu bedenken, dass die sinkenden Infektionszahlen im Zuge der Schulschließungen auch dadurch beeinflusst sein könnten, dass „Eltern mehr zu Hause waren für das Homeschooling und weniger Gelegenheit hatten, sich unterwegs oder bei der Arbeit anzustecken“.

Israel, Modi'in: Eine Lehrerin steht mit einem Gesichtsschutz vor Kindern in einer Klasse. 
Israel, Modi'in: Eine Lehrerin steht mit einem Gesichtsschutz vor Kindern in einer Klasse. 
© picture alliance/Gil Cohen Magen/XinHua/dpa

Was andere Länder von den Ausbrüchen lernen können? Forscher haben aufgrund der bisherigen Erfahrungen einen Kriterienkatalog für einen möglichst sicheren Unterricht entwickelt, schreibt die "New York Times":

  • Klassen sollten aus 10 bis 15 Schülern bestehen, die den ganzen Tag zusammenbleiben. Auch in den Pausen.
  • Lehrer sollten nur eine einzige Gruppe unterrichten. So soll eine Übertragungen zwischen Gruppen verhindert werden. Gibt es einen Fall, müssen nur wenige Schüler und Lehrer in Quarantäne.
  • Ältere Schüler sollen möglichst digital unterrichtet werden.
  • Stundenpläne sollen über den ganzen Tag entzerrt werden.
  • Zwischen den Tischen soll ein deutlicher Abstand herrschen.
  • Maskenpflicht und regelmäßiges reinigen der Klassenräume.
  • Geöffnete Fenster oder anderweitige Belüftung.

In Deutschland soll vieles davon demnächst umgesetzt werden (hier ein Überblick über die Maßnahmen).

In Mecklenburg-Vorpommern, wo die Schule am Montag wieder startete, wurden die Schüler in feste Gruppen eingeteilt, die sich in der Schule nicht begegnen sollen. Innerhalb der Gruppen sind die Abstandsregeln aufgehoben. An Orten, wie dem Schulbus, wo sich die Kinder aus den verschiedenen Gruppen treffen und keine Abstandsregeln eingehalten werden können, gilt die Pflicht zum Tragen einer Maske.

Nordrhein-Westfalen dagegen führt eine weitgehende Maskenpflicht an Schulen ein: An allen weiterführenden und berufsbildenden Schulen soll sie ab Ferienende bis zunächst zum 31. August sowohl im Schulgebäude als auch im Unterricht gelten. Wer dagegen verstößt kann von der Schule verwiesen werden.

Hohe Viruslast bei Kindern

Eine jüngst veröffentlichte Studie aus den USA zeigt, dass Kinder eine höhere Viruslast haben, als bisher angenommen. Verglichen wurde die Viruslast bei Kindern und Jugendlichen in drei Altersgruppen: Bei Kindern unter fünf Jahren fanden die Forscherinnen und Forscher mehr virale Nukleinsäure in den oberen Atemwegen als bei Erwachsenen. Bei Schulkindern waren es etwa gleich viele.

Gesundheitsexperte Karl Lauterbach (SPD) schreibt dazu auf Twitter: „Kita-Kinder wurden bisher selten genau untersucht. Sie galten als ungefährlich. Die Studie widerlegt das leider SEHR klar.“

Es gibt aber auch Beispiele, in denen Schulöffnungen erfolgreich waren. Dänemark war das erste Land in der EU, das seine Schulen am 15. April wieder öffnete. Die Schülerinnen und Schüler wurden in Kleingruppen von maximal zwölf Kindern eingeteilt. Die Grüppchen besuchen zu unterschiedlichen Zeiten die Schule, essen getrennt zu Mittag und haben ihre eigenen Zonen auf dem Spielplatz und Pausenhof.

Alle Schülerinnen und Schüler sind verpflichtet, sich alle zwei Stunden die Hände zu waschen, müssen aber keine Gesichtsmasken tragen. Die Schreibtische sind zwei Meter voneinander entfernt, das gesamte Unterrichtsmaterial muss mehrmals täglich gereinigt werden, und wenn möglich, findet der Unterricht im Freien statt.

Seit der Wiedereröffnung der Schulen hat es nach offiziellen Angaben der Regierung keine vermehrten Fälle gegeben. Erst seit vergangener Woche vermeldet auch Dänemark wieder einen leichten Anstieg von Neuinfektionen.

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