Heiko Maas in Afghanistans Nachbarstaaten: Doppelte Rettungsmission
Zehntausenden von ausreisewilligen Afghanen will die Bundesregierung nun helfen. Darum bemüht sich Heiko Maas auf einer Krisenmission. Bei der geht es auch um seinen Ruf.
Es ist eine gleichsam doppelte Rettungsmission, auf der Deutschlands Außenminister derzeit unterwegs ist. Denn auf seiner viertägigen Reise in die Türkei, nach Usbekistan, Tadschikistan, Pakistan und Katar versucht Heiko Maas (SPD) nicht nur Zehntausende von schutzsuchenden Menschen aus der Herrschaft der Taliban zu befreien. Der SPD-Politiker, der wegen Fehleinschätzungen vor dem Fall von Kabul und Verzögerungen bei der Evakuierung von Ortskräften massiv unter Druck steht, kämpft kurz vor den Bundestagswahlen auch um seinen eigenen Ruf. Vom Erfolg seiner Mission dürfte mit abhängen, wie am Ende seiner Amtszeit das Urteil über ihn als Außenminister ausfällt.
In der Türkei und in Katar sowie in den drei Nachbarländern Afghanistans geht es um Wege, möglichst viele Bedrohte in Sicherheit zu bringen. Dazu müssen nach dem Ende der US-Luftbrücke zivile Flüge vom militärischen Teil des Flughafens Kabul aufgenommen werden, wobei die Türkei, in der Maas am Sonntag Gespräche führte, behilflich sein will. Eine Instandsetzung des schwer beschädigten zivilen Flughafens von Kabul dauert nach Schätzung von Experten Monate.
Die deutschen Botschaften in den Nachbarländern sind angewiesen, Schutzbedürftigen unkompliziert Visa auszustellen. Dafür wurde das Personal aufgestockt. Maas will die Regierungen in Usbekistan, wo er am Montag Gespräche führte, Tadschikistan und Pakistan dazu bewegen, auf deutschen Schutzlisten stehende Menschen aus Afghanistan einreisen zu lassen und ihnen einen Transit zu den jeweiligen deutschen Botschaften zu ermöglichen. Dort sollen sie mit Papieren ausgestattet und dann nach Deutschland geflogen werden. Als Anreiz bringt Maas Hilfszusagen für die Länder mit.
In Doha verhandelt der für Afghanistan vorgesehene deutsche Botschafter, Markus Potzel, mit dem Politischen Büro der Taliban, das als deren Außenministerium gilt. Potzel hat die Zusage erhalten, dass entgegen deren früheren Aussagen Ortskräfte ausreisen dürfen, sowie sie Papiere und ein Visum vorweisen können. Unklar ist, ob die Taliban eigene Staatsbürger, die früher für Deutschland gearbeitet haben, ausreisen lassen, wenn die nur über eine Aufnahmezusage der Bundesregierung verfügen. Da die deutsche Botschaft in Kabul von den Diplomaten aufgegeben wurde, können hilfesuchende Afghanen im Land kein deutsches Visum erhalten.
Afghanistan ist doppelt so groß wie Deutschland. Dass Zehntausende von Schutzzusenden ihre Heimat auf dem Landweg verlassen können, wäre unter der Herrschaft der Taliban eine Operation mit vielen Fragezeichen. Das Politische Büro in Doha müsste nicht nur seine Einwilligung geben, sondern die freie Passage für die Menschen auch zusichern und bei lokalen Kommandeuren durchsetzen. Als Druckmittel benutzen kann der deutsche Verhandler Potzel den dringenden Wunsch der Taliban nach internationaler Anerkennung und die Tatsache, dass das Land von internationalen Hilfszusagen völlig abhängig ist.
Schwer vorstellbar erscheint im Moment auch, dass deutsche Diplomaten den Taliban eine Liste mit Schutzwürdigen übergeben, welche aus Angst um ihr Leben vor diesen fliehen wollen. Maas ist zudem bewusst, dass er mit dem öffentlichkeitswirksamen Hilfsangebot neue Probleme schaffen kann. Die Nachricht von offenen Grenzen könnte einen Ansturm Tausender ähnlich wie noch vor kurzem am Flughafen Kabul auslösen. „Es geht uns nur um diese Personengruppe“, sagte er deshalb nach Gesprächen in Usbekistan mit Blick auf jene mehr als 40.000 Menschen, die schon auf deutschen Aufnahmelisten stehen.
Letzte Station der Krisenmission ist am Dienstag und Mittwoch Katar, dessen Regierung enge Beziehungen zu den Taliban unterhält. Maas will nicht selbst mit den Taliban-Vertretern verhandeln. Er verwies auf Botschafter Potzel: „Das ist der Kanal, den wir nutzen.“ Mit schnellen Erfolgen rechnet der Außenminister nicht. „Es gibt keinen zeitlichen Horizont. Das ist ein Thema, dass uns noch Wochen und wahrscheinlich auch Monate beschäftigen wird“, meinte er – mithin weit über die Bundestagswahl hinaus.
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Vor 20 Jahren hatte Maas’ Vorgänger Joschka Fischer eine ähnliche Reise in Afghanistans Nachbarländer unternommen. Damals hatten die Amerikaner gerade den Krieg gegen die Taliban begonnen. Auf dem Flug der deutschen Regierungsmaschine mit dem Außenminister über dem Iran konnten die Piloten einen von einem US-Flugzeugträger abgefeuerten Marschflugkörper identifizieren, der die radikalislamischen Kämpfer treffen sollte. Der Ausgang der Operation und die politische Zukunft Afghanistans war zu diesem Zeitpunkt so ungewiss wie heute der der Rettungsmission.