Katars Rolle im Afghanistan-Konflikt: Wo der Taliban-Chef verhandelt
Katar hilft den Taliban – und ärgert seine Nachbarstaaten. Sie werfen dem Emirat vor, den islamistischen Extremismus zu unterstützen.
Als führender Kopf der Taliban musste Mullah Abdul Ghani Baradar nach dem US-Angriff auf Afghanistan vor 20 Jahren fliehen – jetzt kehrte er als Promi zurück: Die Luftwaffe des Emirats Katar flog Baradar vorige Woche von Doha in sein Heimatland. Katar betrachtet sein Engagement im Afghanistan-Konflikt als außenpolitische Investition, die sich in den Beziehungen zu den USA und im Konkurrenzkampf mit anderen Golfstaaten auszahlen soll. Kritiker werfen dem Emirat vor, dem internationalen Terrorismus Vorschub zu leisten.
Seit 2018 führte Baradar die Taliban-Vertretung in Katar als Chef-Unterhändler der islamischen Extremisten in Gesprächen mit den USA und mit der inzwischen entmachteten afghanischen Regierung. Im vergangenen Jahr unterzeichnete Baradar in Doha ein Friedensabkommen mit den USA. Die schnelle Machtübernahme der Taliban hat das Papier zur Makulatur gemacht. Als Katar den Taliban im Jahr 2013 erlaubte, ein Büro in Doha zu eröffnen, geschah das mit Unterstützung der USA. Washington suchte einen Standort für Verhandlungen mit der radikal-islamischen Miliz, um den Truppenabzug vorbereiten zu können.
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Reibungslos war das Verhältnis zwischen Katar und den Gästen nicht. Schon kurz nach Eröffnung des Taliban-Büros gab es Streit, weil die Taliban vor ihrer Villa in Doha ihre Fahne hissten und das Gebäude als Vertretung des „Islamischen Emirats Afghanistans“ bezeichneten. Das verärgerte die damalige afghanische Regierung so sehr, dass sie geplante Verhandlungen in Doha platzen ließ. Darauf schlossen die Taliban ihr Büro für Jahre. Erst im Sommer 2018 trafen sich Abgesandte der Miliz und der US-Regierung schließlich in der katarischen Hauptstadt.
Katar hat sich mit umtriebiger Außenpolitik viel internationale Aufmerksamkeit verschafft
Das reiche Emirat – Katar verfügt über riesige Reserven an Erdgas – ärgert seine arabischen Nachbarn schon lange mit einer Außenpolitik, die viel Geld ausgibt und sich nicht dem regionalen Schwergewicht Saudi-Arabien unterordnen will. Die Regierung in Doha unterstützt die islamistische Muslim-Bruderschaft, pflegt gute Beziehungen zum Iran und hilft der Türkei mit Milliardensummen bei der Bewältigung ihrer Wirtschaftskrise.
Katar, das weniger als drei Millionen Einwohner hat und kleiner ist als Schleswig-Holstein, hat sich mit seiner umtriebigen Außenpolitik viel internationale Aufmerksamkeit verschafft. Erst vor wenigen Tagen telefonierte Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Emir Tamim bin Hamad Al Thani. Der deutsche Afghanistan-Unterhändler Markus Potzel reiste vorige Woche nach Doha, um mit den Taliban über die Ausreise von afghanischen Ortskräften zu sprechen.
Beliebt macht sich Katar mit seiner Politik jedoch nicht überall. Andere Golf-Staaten werfen dem Emirat vor, sich in Konflikten weit jenseits der Landesgrenzen einzumischen sowie den islamischen Extremismus zu unterstützen und radikale Gruppen wie die Taliban aufzuwerten. Im Jahr 2017 wurde Katar deshalb von Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), Bahrain und Ägypten mit einem Boykott belegt, der sein Ziel aber verfehlte: Zu Jahresbeginn wurde der Streit beigelegt, ohne Zugeständnisse Katars.
Auch nach dem Fall von Kabul sieht Katar keinen Grund für eine bescheidenere Außenpolitik. Wie der Rivale VAE nimmt Doha derzeit Mitglieder der gestürzten afghanischen Regierung auf, um bei künftigen Verhandlungen im Geschäft zu bleiben. Zudem hilft die katarische Botschaft in Kabul bei der Evakuierung afghanischer Ortskräfte westlicher Nationen. Zugleich mischt das Emirat im Dauerstreit zwischen Israel und den Palästinensern mit. Nach den jüngsten Gefechten im Gaza-Streifen im Mai will das Emirat 500 Millionen Dollar für den Wiederaufbau in Gaza bereitstellen.