US-Präsidentschaftswahl: Donald Trump und die ratlose Demokratie
Enthüllungen, wilde Gerüchte, Desinformation: Donald Trump stiftet Verwirrung mit System. Seine Kritiker machen oft unfreiwillig mit. Ein Kommentar.
Donald Trump kann Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika werden. Dann wäre er der mächtigste Mann der Welt. Die jüngsten Umfragen deuten auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Wen das kaltlässt – und damit ist nicht die Gänsehautkälte gemeint –, dessen Herz brennt nicht für die amerikanische Demokratie. Trump ist ein Rassist und Chauvinist, ein Narzisst und Frauenverächter, ein Protektionist und autoritärer Charakter. Er ist mit Wladimir Putin verbandelt, hatte nie politische Verantwortung, ist ein Meister der Steuerhinterziehung, und er lügt.
Trump behauptet Dinge, die nachweislich falsch sind, wie etwa, dass die Kriminalitätsrate in den USA steigt, Hillary Clinton alle Gefängnisinsassen entlassen will. Doch das schadet ihm nicht. Seine Anhänger sind überzeugt davon, dass jede Entlarvung einer Trump-Lüge nur ein Teil der Kampagne gegen ihn ist. Denn Trump inszeniert sich als Opfer eines gigantischen, korrupten Systems. Was die Zuschauer dieses Polit-Spektakels erleben, ist der erste fast inhaltsleere, postfaktische, von russischen Hackern, Wikileaks und Geheimdiensten manipulierte Charakterzerstörungswahlkampf der Neuzeit.
Vor sechs Wochen analysierte das britische Magazin „Economist“ in seiner Titelgeschichte die „Post-Truth-Politics“, die Nach-Wahrheits-Ära in der Politik. Das Zeitalter der Fakten sei vorbei. Durch das Internet sei eine atomisierte, unübersichtliche Quellenlage geschaffen worden, in der jeder Belege für alles finden kann. Dadurch fehlt im öffentlichen Diskurs das neutrale Korrektiv. Die Faktenchecker dringen mit ihren nachträglichen Korrekturen kaum noch durch.
In den USA ist das extremer ausgeprägt als etwa in Deutschland, das ein relativ starkes öffentlich-rechtliches Rundfunksystem hat. Die Anhänger von Clinton und Trump dagegen hausen in parallelen Wahrnehmungswelten, die keine Schnittmenge haben. Sie leben wie in einem Kokon, sehen und hören nichts, was ihre Weltanschauung infrage stellen oder gar ändern könnte. Kein Vergleich, kein Abwägen, kein argumentativer Disput. In diese geschlossenen, voneinander fast völlig isolierten Deutungswelten dringen nur noch solche Informationen ein, die die eigene Ideologie bestätigen.
Ob wahr oder falsch, spielt keine Rolle
Ungefähr zwei Drittel aller erwachsenen Amerikaner beziehen ihre Nachrichten von sozialen Diensten aus dem Internet, Tendenz stark steigend. Doch auf Facebook, Reddit, Twitter oder Snapchat kann jeder publizieren, der es will. Die klassischen Medien-Kategorien – Nachricht, Kommentar, Reportage, Analyse, Hintergrund – vermischen sich in der Darstellung und gehen in neuen Formen auf. Dabei versteht sich Facebook mit seinen weltweit rund 1,7 Milliarden Nutzern monatlich gar nicht als Medienunternehmen, sondern als eine Technologiefirma. Ein Algorithmus wertet die großen Datenmengen aus und sortiert sie dann nach Trends. Ob wahr oder falsch, spielt keine Rolle.
Wem kann man noch trauen? Konjunktive durchziehen jede Nachricht. Die Enthüllungsplattform Wikileaks veröffentlicht brisante Dokumente, bei denen es sich um Korrespondenz von Clintons Wahlkampfchef John Podesta handeln soll. Die wurden Wikileaks offenbar von russischen Hackern zugeleitet. Will Putin, dass Trump die Wahlen gewinnt? Das liberale Online-Magazin „Slate“, das zur „Washington Post Company“ gehört, berichtet genau das: Seit Jahren schon gibt es enge Verbindungen zwischen Trump und Russland. Will „Slate“, dass Clinton die Wahlen gewinnt? Die Quellen der Gegenseite werden diskreditiert, der Gegner wird beschuldigt, durch das Streuen von Gerüchten von eigenen Fehlern ablenken zu wollen.
Die Folgen sind Polarisierung auf der einen und Verunsicherung auf der anderen Seite. Vor einem Vierteljahrhundert bezeichneten sich 43 Prozent der Amerikaner als moderat. Heute ist es nur noch ein Drittel. Republikaner verachten Demokraten, Demokraten verachten Republikaner. Manch eine Wahlkampfrede gipfelt in der symbolischen Enthauptung des Widersachers. Der wilden Entschlossenheit steht die Ratlosigkeit gegenüber. Seit 1992, als Ross Perot mit 19 Prozent der Stimmen auf einen überraschend starken dritten Platz kam, gab es noch nie so viele Wähler, die sich von beiden Kandidaten abgestoßen fühlten.
Er muss keine Rücksichten nehmen, auf niemand
Trumps Vorteil besteht darin, keine Rücksichten nehmen zu müssen. Er hat keine Vorgeschichte als Politiker, ist daher unbelastet und selbst seiner eigenen Partei, deren Liebling er nie war, keine inhaltlichen Kompromisse schuldig. Er kann reden, wie ihm der Mund gewachsen ist – und Clinton, die jahrzehntelang in die Politik verstrickt war, für alle Übel des Landes mitverantwortlich machen.
Als da sind: Die Staatsschulden haben sich in den vergangenen acht Jahren von zehn Billionen Dollar auf knapp zwanzig Billionen verdoppelt; das Gesundheitssystem bleibt eines der teuersten der Welt, die Beiträge steigen regelmäßig; die Infrastruktur – Straßen, Brücken, Wasserrohre, Dämme, Elektrizitätsleitungen – ist marode, Experten haben einen Investitionsbedarf von 3,6 Billionen Dollar bis 2020 berechnet; die Generation der Babyboomer geht in Rente, viele von ihnen werden im Alter bitterarm sein; und das Geld, das überall dringend fehlt, haben die Kriege in Afghanistan und im Irak gekostet, mehr als vier Billionen Dollar.
„Make America great again“, ruft Trump am Ende solcher Aufzählungen seinen Anhängern zu. Und die Stärke seiner Diagnose tröstet die meisten darüber hinweg, dass seine Programme dagegen so nebulös wie utopisch sind. Sie danken ihm für die „ungeschminkten Wahrheiten“, die er ausspricht, und das allein reicht, um auf ihn auch ihre Erlösungssehnsucht projizieren zu können.
Trumps raffinierte Rabulistik, sein Rassismus und Chauvinismus lassen solche Schwächen und Widersprüche nicht gebührend zur Geltung kommen. Bei jedem anderen hieße die rasch entlarvende Frage: Wie willst du es besser machen? Doch weil Trump durch sein stets provozierendes Auftreten eine vermeintlich noch stärkere Angriffsfläche bietet, ist es ihm gelungen, dass sich seine Kritiker in Charakterfragen verbeißen. Auf diesem Feld indes fühlt er sich Hillary Clinton ebenbürtig. Außerdem dienen ihm die Vorwürfe dazu, seinen Kritikern entgegenzuhalten, den Zustand des Landes nicht thematisieren zu wollen. So schließt sich die Rhetorik, hat sich immunisiert gegen jede Art von Vorhaltung.
Donald Trump ist ein Blender. Sollte er die Wahl am 8. November gewinnen, wäre der amerikanischen Demokratie einer ihrer Stützpfeiler weggebrochen. Denn zur Demokratie gehört der Glaube an die Kraft und Überzeugungskraft der Vernunft. Der „common sense“ eines Volkes ist auch dessen gemeinsamer Sinn für die Wirklichkeit. Wenn aber Menschen, die aus welchen Gründen auch immer empört sind über die Gegenwart, sich so halt- wie ziellos der Zukunft eines Blenders anvertrauen, sind Mächte am Werk, die stärker sind als die Vernunft. Keine guten Mächte.
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