Fall Eric Garner und die Proteste: Die wütenden Staaten von Amerika
In den USA gehen Tausende gegen Polizeigewalt und Rassismus auf die Straße. Was jetzt passiert, ist der Neubeginn einer alten Bewegung. Eine Analyse.
Kurz vor 15 Uhr hatten die ersten Medien per Eilmeldung verkündet, dass im Fall Eric Garner keine Anklage gegen den Polizisten erhoben wird. Es dauerte nur eine Stunde bis sich die ersten Demonstranten an der Grand Central Station in Manhattan versammelten. Schnell wurden daraus mehrere Tausend, die durch die Straßen New Yorks zogen. Ganze Highways wurden blockiert und Plätze wie der Times Square besetzt. Im Laufe des Abends versammelten sich in fast allen Großstädten der USA Bürger zu Protestmärschen, die bis tief in die Nacht dauerten.
In ein paar Jahrzehnten werden die Menschen zurückblicken und genau diesen Wochen und Monaten des Jahres 2014 eine gewaltige Bedeutung zuschreiben. Was jetzt passiert, ist der Neubeginn einer alten Bewegung. Was all diese Leute auf der Straße eint, ist die Entscheidung, ihren Frust nicht länger aufzustauen sondern ihn direkt zu entladen.
Gegen den weißen Polizisten wird kein Verfahren eröffnet
Der 43-jährige Afroamerikaner Eric Garner kam am 17. Juli im New Yorker Stadtteil Staten Island ums Leben. Polizisten wollten den unbewaffneten Mann verhaften, sie warfen ihm vor, unversteuerte Zigaretten zu verkaufen. Eine der geringfügigsten Straftaten, die das Gesetzesbuch hergibt. Als sich Garner weigerte, würgte ihn einer der Beamten, Daniel Pantaleo, von hinten zu Boden und presste seinen Kopf auf den Asphalt. Mehrere Polizisten stürzten sich auf Garner. Kurz nach der brutalen Festnahme blieb das Herz des asthmakranken Familienvaters stehen.
Am Mittwoch wurde bekanntgegeben, dass gegen den weißen Polizisten Pantaleo kein Verfahren eröffnet wird. Das hatte eine Grand Jury nach monatelanger Zeugenbefragung und Beweissichtung entschieden. Dabei spielte auch eine Rolle, dass der Würgegriff (englisch: chokehold) von der New Yorker Polizei zwar seit über 20 Jahren untersagt, aber absurderweise nicht vom Gesetz verboten ist. Dass Polizist Pantaleo zum wiederholten Male durch Gewalt aufgefallen war, interessierte das Geschworenengericht dagegen wenig.
"Ich kann nicht atmen, ich kann nicht atmen"
Der Fall Garner sorgte schon im Sommer für große Aufmerksamkeit. Allerdings nicht weil es sich um ein besonders ungewöhnliches Verhalten der Polizei handelte, vielmehr weil das erschreckend gewöhnliche Verhalten der Staatsgewalt ungewöhnlich genau dokumentiert wurde. Ein Bekannter Garners hatte den gesamten Vorgang mit seiner Videokamera aufgenommen, für Jedermann auf YouTube zu sehen. Diese Bilder zeigen vor allem: Eric Garner war mit seinen 1,90 Meter und rund 150 Kilogramm zwar ein durchaus einschüchternder Kerl, aber nicht gefährlich. Er erklärte den Polizisten lautstark, dass sie ihn in Ruhe lassen sollen, wirkte dabei aber mehr genervt als aggressiv. Außerdem hob er die Hände. Am Boden wiederholte er mit dünner Stimme nur noch einen Satz: „Ich kann nicht atmen.“ Die Beamten hörten ihn. Doch sie ließen nicht locker.
Polizeigewalt und Rassismus
Die Themen Polizeigewalt und Rassismus sind in den USA so präsent wie seit Jahren nicht. Im August wurde in Ferguson (Missouri) der 18-jährige Afroamerikaner Michael Brown von dem weißen Polizisten Darren Wilson erschossen. Auch hier hatte eine Grand Jury entschieden, dass der Todesschütze nicht vor Gericht muss. In der vergangenen Woche kam es zu schweren Ausschreitungen. In Cleveland (Ohio) wurde ein zwölfjähriger Junge, schwarz, von einem Polizisten, weiß, erschossen, weil der dachte, dass die Spielzeugpistole des Kindes eine echte Schusswaffe sei. Tamir Rice wurde am Mittwoch beerdigt.
Wie angespannt die Gesamtlage ist, erkennt man auch daran, wie schnell Politiker reagierten. US-Präsident Barack Obama sollte in Washington D.C. am Nachmittag die große Abschlussrede einer Konferenz der Native Americans halten. Doch Obama sprach zunächst nur über den Fall Garner. „Wenn jemand in diesem Land vom Gesetz anders behandelt wird als andere, dann ist das ein großes Problem“, sagte Obama.
Kurz zuvor hatte bereits Bill de Blasio, der Bürgermeister von New York, ein bemerkenswertes Statement abgegeben und darin deutlich Haltung gezeigt. Er sprach von einem „tief emotionalen Tag für alle New Yorker“ und zitierte Martin Luther King: „Wo auch immer Ungerechtigkeit geschieht, ist sie eine Gefahr für Gerechtigkeit überall.“ Viele Bewohner New Yorks attestieren de Blasio einen guten Willen, werfen ihm aber vor, dass er an Polizeichef Bill Bratton festhält, der in den Augen der Aktivisten wie kein Anderer für Restriktion und verhältnislose Gewalt steht. Am frühen Abend schließlich trat auch US-Justizminister Eric Holder vor die Presse und verkündete, dass nun staatliche Ermittlungen in dem Fall laufen.
"Der Kampf hat gerade erst begonnen"
Obama, de Blasio und Holder – alle drei Männer ließen in ihren Reden zumindest durchklingen, dass sie von der Entscheidung der Grand Jury enttäuscht sind. Ebenso appellierten alle drei Politiker an die Protestler, friedlich zu bleiben. Tatsächlich kam es nur zu wenigen Festnahmen. Was auch daran lag, dass die Polizei deutlich deeskalierender als in Ferguson agierte.
Auch die Familie des Opfers sprach am Mittwoch zur Öffentlichkeit. Esaw Garner, die Witwe, sagte, dass „in dem Video jeder sehen kann, dass der Polizist falsch gehandelt hat“. Der Kampf sei noch nicht vorbei, so die Frau, „er hat gerade erst begonnen“. Für die kommenden Tage sind im ganzen Land große Demonstrationen geplant.
In den USA läuft derzeit auch eine Diskussion über Körperkameras für Polizisten. Das Weiße Haus hat gerade erst angekündigt, 263 Millionen US-Dollar für die Ausrüstung bereitzustellen. Der Fall Garner zeigt, dass selbst die besten Bilder einer Tat keine Garantie für Konsequenzen sind.