Kommt es jetzt zu einem Krieg?: Die wichtigsten Fragen und Antworten nach dem US-Angriff
Nach der gezielten Tötung des Chefs der Al-Quds-Truppen stehen der Iran und die USA vor einer weiteren Eskalation. Was könnten die Folgen sein?
Qassem Soleimani war mitten in der Nacht in Bagdad gelandet, um neue Befehle zu erteilen. Als Chef der Al-Quds-Elitetruppe der iranischen Revolutionsgarden gehörten Geheimmissionen außerhalb des eigenen Landes zu den Kernaufgaben des 62-Jährigen. Nach seiner Ankunft fuhr Soleimani zusammen mit Abu Mahdi al Muhandis, einem Anführer pro-iranischer Milizen im Irak, in einen Wagen zu einer Besprechung los, gefolgt von einem Fahrzeug mit Leibwächtern.
Sie kamen nicht weit. Mindestens zwei Raketen, abgefeuert von amerikanischen Kampfdrohnen, töteten Soleimani und Muhandis, weitere Geschosse trafen den zweiten Wagen.
Der Anschlag markiert den Beginn eines gefährlichen Kapitels in der Auseinandersetzung zwischen dem Iran und den USA. Die Region steht am Rand eines Krieges. Der Ölpreis schoss in die Höhe. Die EU und Deutschland warben zwar für Mäßigung. Auch US-Präsident Donald Trump rief den Iran zu Verhandlungen auf – doch es ist unwahrscheinlich, dass Teheran darauf eingehen wird.
Wie begründen die USA die gezielte Tötung?
Soleimani habe „aktiv" an der Vorbereitung von Anschlägen gegen amerikanische Diplomaten und Soldaten im Irak und im ganzen Nahen Osten gearbeitet, erklärte das US-Verteidigungsministerium nach dem Tod des Generalmajors. Auch für die Raketenangriffe irakischer Milizionäre auf amerikanische Militäreinrichtungen im Irak in den vergangenen Monaten sei Soleimani verantwortlich gewesen.
Zuletzt habe der Quds-Kommandeur den Sturm auf die amerikanische Botschaft in Bagdad am Silvestertag in Bagdad gebilligt. Außenminister Michael Pompeo sagte, Soleimani habe einen „großen“ Anschlag geplant, bei dem Dutzende, wenn nicht Hunderte von Amerikanern in Gefahr gewesen wären. Beweise für iranischen Angriffspläne legte der nicht vor.
Dass Soleimani einer der gefährlichsten Gegner der USA in Nahost war, ist unbestritten. Als sein Flugzeug in der Nacht zum Freitag in Bagdad landete, kam er entweder aus dem Libanon oder aus Syrien, wo er ebenfalls pro-iranische Gruppen befehligte. 2018 hatte der Top-Militär den Amerikanern mit einer vernichtenden Niederlage gedroht, falls sie einen Angriff auf den Iran wagen sollten.
Warum ist Soleimanis Tod so bedeutsam für den Iran - und wie wird Teherans Führung reagieren?
Fast jeder im Nahen Osten kennt das Gesicht des iranischen Generalmajors. Syrien, Jemen, Irak, Libanon – Soleimani tauchte immer dann auf, wenn es die Führung in Teheran für wichtig erachtete, also wenn es darum geht, den Machtbereich der Islamischen Republik auszuweiten. Überall in der Region hatte er mit großem Geschick ein Netzwerk von Verbündeten geschaffen.
Als Mastermind organisierte er immer wieder schmerzhafte Schläge gegen die USA und ihre Mitstreiter. Als berühmt-berüchtigter Befehlshaber stand der ideologische Hardliner wie kein anderer Vertreter des Establishments für die Expansionspolitik des Regimes.
Für viele Iraner war Soleimani seit dem Krieg gegen Iraks Diktator Saddam Hussein ein Held. Wenn sich der General seinen Landsleuten zeigte, jubelten diese ihm zu. Über ihm gab es nur einen – Revolutionsführer Ali Chamenei. Der Ajatollah ernannte Soleimani 1998 zum Chef der Al-Quds-Brigaden, der Abteilung der Revolutionsgarden für Auslandseinsätze. Über die Jahre hinweg stieg der General zum stillen Star der iranischen Politik auf. Immer wieder war er auch als möglicher Präsidentschaftkandidat im Gespräch.
Seinen Tod dürfte der Iran kaum unbeantwortet lassen. Die Machthaber werden dabei keine direkte militärische Konfrontation wagen, sondern auf gezielte Vergeltungsschläge gegen amerikanische Stellungen setzen. Dem Irak kommt aus Teherans Sicht dabei besondere Bedeutung zu. Dort sind 5000 US-Soldaten stationiert. Der Iran kann wiederum auf die 150.000-Mann starken schiitischen Milizen zurückgreifen, die der Führung der Islamischen Republik treu ergeben sind.
Der Iran ist sicher alles andere als ein Friedensengel, aber für das, was jetzt passiert, trägt die US-Regierung unter Trump die Hauptverantwortung. Das ist das Ergebnis der Politik der Härte und der selbstverliebten Machtposen seitens des amerikanischen Präsidenten.
schreibt NutzerIn Gophi
Welche Folgen könnte das für die Region haben?
Auch die USA und ihre Partner im Nahen Osten erwarten eine scharfe Reaktion des Iran. Die Botschaft in Bagdad rief am Freitag alle US-Bürger auf, den Irak so schnell wie möglich zu verlassen, auch amerikanische Ölexperten im Süden des Irak packten ihre Koffer. Konkrete Konsequenzen könnte der Mordanschlag vor allem für die amerikanischen Soldaten im Irak haben.
Irakische Milizenchefs forderten einen Rauswurf der Amerikaner, auch Noch-Ministerpräsident Adel Abdul Mahdi sprach von einer Verletzung der irakischen Souveränität und einem Verstoß gegen die Genehmigung für die amerikanische Truppenstationierung in seinem Land. Er rief das Parlament zu einer Sondersitzung zusammen.
In anderen Ländern des Nahen Ostens drohen ebenfalls heftige Spannungen. Experten halten erneute iranische Angriffe auf die Ölschifffahrt im Persischen Golf und auf Ölanlagen in Saudi-Arabien für möglich; deshalb zog der Preis für den Rohstoff am Freitag stark an. Militärstützpunkte der Amerikaner in Katar und in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) sind ebenfalls potenzielle Ziele iranischer Vergeltungsangriffe.
Außerdem könnten Teheran-treue Verbündete in Syrien gegen die dort stationierten US-Soldaten vorgehen. Möglich, wenn auch weniger wahrscheinlich, sind darüberhinaus Terroranschläge iranischer Extremisten in Europa oder den USA selbst.
Die größte Gefahr droht Israel, das im Norden an den Libanon grenzt, wo die hoch gerüstete, vom Iran geführte Hisbollah-Miliz mit Raketen droht. Im Nordosten des jüdischen Staates versuchen proiranische Gruppen seit Langem, auf syrischem Boden eine dauerhafte militärische Präsenz aufzubauen, was Jerusalem unbedingt verhindern will.
Die israelische Armee wurde nach Soleimanis Tötung in Alarmbereitschaft versetzt, Ministerpräsident Benjamin Netanjahu brach seinen Griechenland-Besuch vorzeitig ab. Das macht deutlich, dass Israels Führung die Lage als ernst erachtet – auch wenn der Tod des iranischen Generals ihr zupass kommt. Qassem Soleimani galt als Israels Todfeind. Mehrfach hatten die Sicherheitskräfte des jüdischen Staats den mächtigen Mann im Visier.
Jetzt muss sich Israel auf Vergeltungsschläge einstellen. Im schlimmsten Fall könnte es zu einem Drei-Fronten-Abwehrkampf kommen: Im Libanon steht die Hisbollah für Angriffe bereit, in Syrien schiitische Milizen sowie iranische Einheiten. Und von Gaza aus könnte zum Beispiel der Islamische Dschihad Israel mit Raketen attackieren.
Droht auch Gefahr für die Bundeswehr?
Dafür spricht einiges. Denn Deutschland ist ein Partner der USA. Kein Wunder, dass die Sicherheitsvorkehrungen nach dem Anschlag auf Soleimani verschärft wurden. Das Hauptquartier der internationalen Militärkoalition gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“ habe Einschränkungen für Bewegungen am Boden und in der Luft angeordnet, sagte ein Sprecher des Einsatzführungskommandos in Potsdam.
An den Ausbildungsmissionen im Irak soll aber vorerst festgehalten werden. Die Grünen halten das für falsch. Die Bundeswehr-Mission im Irak müsse sofort ausgesetzt werden, bis klar sei, „wie die Sicherheit unserer Soldatinnen und Soldaten gewährleistet werden kann“, erklärte der außenpolitische Sprecher der Grünen, Omid Nouripour.
Kommt es jetzt zu einem Krieg?
Einige Experten werten den Anschlag auf Soleimani als „Sarajevo-Moment“ und vergleichen den Tod des iranischen Generalmajors mit der Ermordung des österreichischen Thronfolgers Franz Ferdinand, die 1914 den Ersten Weltkrieg auslöste.
Eine unheilvolle Kettenreaktion wie damals in Europa drohe nun im Nahen Osten, schreibt Carlo Masala, Sicherheitsexperte und Professor an der Bundeswehr-Universität München, auf Twitter: „Keiner will einen Krieg, aber es reicht nur ein kleines Ereignis und man befindet sich in einem solchen.“
Die Kriegsgefahr steigt auch deshalb, weil die USA und der Iran bereits seit Monaten in einer Eskalationsspirale stecken und keine der beiden Seiten jetzt Schwäche zeigen will. Der Iran ist zudem durch die amerikanischen Wirtschaftssanktionen geschwächt. Soleimanis Tod sei eine Kriegserklärung an ein Land, das nicht mehr viel zu verlieren habe, kommentiert Ali Vaez, Iran-Experte bei der Denkfabrik International Crisis Group.
Trump geht jedoch offenbar davon aus, dass er aus einer Position der Stärke heraus nun mit Teheran verhandeln kann. „Der Iran hat noch nie einen Krieg gewonnen, aber noch nie bei Verhandlungen verloren“, twitterte der US-Präsident am Freitag. Selbst wenn das Angebot ernst gemeint sein sollte, gäbe es wahrscheinlich niemanden zum Verhandeln: Kein iranischer Politiker könnte es sich nach Soleimanis Tod leisten, mit den Amerikanern nach Kompromissen zu suchen.