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Im Griff der Seuche. Immer mehr Menschen im Jemen infizieren sich mit dem Cholera-Erreger.
© imago/Xinhua
Update

Krieg im Jemen: Die Tragödie im Armenhaus Arabiens

Krieg, Hunger und nun Cholera: Die Jemeniten sind die Leidtragenden einer der schlimmsten humanitären Krisen weltweit. Wie dramatisch ist die Situation?

Zwischen Deutschland und einer der weltweit schlimmsten humanitären Krisen liegen gut 5000 Flugkilometer. Weit genug offenbar, dass der Jemen in der öffentlichen Wahrnehmung kaum eine nennenswerte Rolle spielt. Dabei ist die Lage im Armenhaus der arabischen Welt verheerend.

Seit gut drei Jahren herrscht dort ein erbarmungsloser Bürgerkrieg, der sich längst zu einem überregionalen Konflikt ausgeweitet hat. Saudi-Arabien spielt dabei ebenso eine zentrale Rolle wie der Iran. Staaten wie die USA und Großbritannien wiederum liefern Waffen und befeuern somit die Kämpfe. Auch Deutschland wird immer wieder vorgeworfen, militärisches Gerät zum Beispiel an die Saudis zu liefern, das dann im Jemen zum Einsatz kommt.

Die Leidtragenden sind Millionen Frauen, Kinder und Männer. Tausende Menschen sind bereits durch Feuergefechte und Bombardements ums Leben gekommen. Ein großer Teil der Bevölkerung hungert. Jetzt wütetet auch noch die Cholera. Die Epidemie gerät wegen der kaum noch existierenden Gesundheitsversorgung und fehlender Medikamente außer Kontrolle.

Experten gehen davon aus, dass es bis Ende des Jahres mehr als 600.000 Cholera-Verdachtsfälle geben könnte. Fast 2000 Menschen sind der Durchfallerkrankung bereits zum Opfer gefallen. Der Jemen, so sehen es die Helfer, steht am Abgrund.

Wer kämpft gegen wen?

Seit mehr als drei Jahren führen aufständische Huthi-Milizen und die Regierung unter Präsident Abed Rabbo Mansur Hadi gegeneinander Krieg. Jeder Vermittlungsversuch ist bisher gescheitert. Die Intensität der Gefechte hat in den vergangenen Monaten sogar noch zugenommen. Doch keine der Konfliktparteien ist in der Lage, die Oberhand zu gewinnen.

Zwar konnten die Rebellen Hadi aus dem Amt vertreiben und weite Teile des Landes unter ihre Kontrolle bringen. Einer von Saudi-Arabien geführten Militärallianz gelang es aber, den Vormarsch zu stoppen.

Deren erklärtes Ziel ist es, dem Präsidenten wieder ins Amt zu verhelfen und die „Terroristen“ in die Knie zu zwingen. Trotz des erheblichen militärischen Aufwands kann davon keine Rede sein. Ungeachtet aller Raketen und angeworbener Soldaten sind die schiitisch geprägten Huthis ein Machtfaktor im Land.

Worum geht es bei dem Konflikt?

Der bewaffnete Aufstand der Huthis begann schon vor mehr als zehn Jahren. Als schiitische Zaiditen fühlten sie sich von der sunnitischen Zentralregierung in vielen Belangen benachteiligt und forderten eine politische Neuordnung. Der Konflikt eskalierte, es kam zu Kämpfen mit der jemenitischen Armee.

Nach einer kurzen, relativ ruhigen Phase brach im Zug des Arabischen Frühlings der Machtkampf wieder offen aus. Den Huthis gelang es schließlich, 2014 ohne große Gegenwehr die Hauptstadt Sanaa einzunehmen. Wenig später musste Präsident Hadi fliehen. Damit begann sich jedoch der Konflikt zu „internationalisieren“.

Saudi-Arabien, das den Jemen ohnehin als seinen „Hinterhof“ betrachtet, nahm Partei für den vertriebenen Staatschef und begann im März 2015 im Rahmen der Operation „Sturm der Entschlossenheit“ nach eigener Lesart gegen „Chaos und Anarchie“ vorzugehen.

Bakterien-Flut: Nach starken Regenfällen sind die Straßen voller Müll.
Bakterien-Flut: Nach starken Regenfällen sind die Straßen voller Müll.
© Khaled Abdullah/Reuters

Dass dieses Vorhaben bisher gescheitert ist, hat wohl auch mit dem Iran zu tun. Offiziell gehört Teheran zwar nicht zu den Kriegsparteien. Aber Beobachter gehen davon aus, dass die Islamische Republik die Huthis mit Geld und Waffen ausstattet. Irans Revolutionsgarden sollen zudem Kämpfer trainieren.

Derartige Berichte bestärken wiederum das saudische Herrscherhaus in seiner Überzeugung, dass der schiitische Erzrivale nichts unversucht lässt, um die sunnitische Monarchie zu schwächen und Unruhe in der Region zu stiften. Diese „Iranoia“ dürfte ein wichtiger Grund dafür sein, dass Saudi-Arabien trotz allen Misserfolgs nicht an einen Rückzug aus dem Jemen denkt.

Welche Folgen hat der Krieg für die Zivilbevölkerung?

Dramatische. Die Menschen leben in Angst und Armut. Der Konflikt hat bereits bis zu 10000 Menschen das Leben gekostet, Millionen haben ihre Heimat verloren, irren im Land umher. Es gibt so gut wie keine Jobs mehr. Die Preise sind explodiert. Die meisten Jemeniten können sich kaum noch Lebensmittel leisten. Eine staatliche Infrastruktur gibt es nicht mehr. Das Gesundheitssystem ist weitgehend zusammengebrochen. Medikamente sind Mangelware, Krankenhäuser zerstört. Der Hunger hat das Land fest im Griff.

70 Prozent der 27 Millionen Einwohner gelten als bedürftig, zehn Millionen brauchen Überlebenshilfe. Doch der Krieg macht es den Helfern extrem schwer, die Notleidenden zu versorgen. Ein zentraler Hafen wurde durch Bombardements schwer beschädigt, der Airport der Hauptstadt Sanaa geschlossen. Sich im Land zu bewegen ist sehr gefährlich. Überall gibt es Checkpoints, Entführungen sind ein lukratives Geschäft.

Wie ist es um die Menschenrechte bestellt?

Nach Überzeugung von Fachleuten wird das Völkerrecht von allen Konfliktparteien immer wieder massiv missachtet. Verstöße gegen elementare Menschenrechte gehören für die meisten Jemeniten zum schrecklichen Alltag.

Vor allem gegen das Militärbündnis unter Saudi-Arabiens Führung werden schwere Vorwürfe erhoben. Die Allianz wird vor allem für kriegsrechtswidrige Bombardements verantwortlich gemacht. In der Tat kommt es nach wie vor zu Angriffen auf Schulen, Kliniken, Märkte und Moscheen. Derartige Attacken gelten als Kriegsverbrechen.

„Wir haben seit März 2015 mehr als 80 illegale Luftschläge gezählt“, sagt Kristine Beckerle, Jemen-Expertin der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. Im Frühjahr sei sogar eine Flüchtlingsboot vor Jemens Küste von einem Helikopter aus beschossen worden. Auch die weltweit geächtete Streumunition komme zum Einsatz.

Die Huthi-Miliz rekrutiert immer wieder Kinder als Kämpfer.
Die Huthi-Miliz rekrutiert immer wieder Kinder als Kämpfer.
© Mohammed Huwais/AFP

Doch laut Beckerle steht fest, dass die Huthis ebenfalls Kriegsverbrechen begehen. „Sie feuern Granaten auf bewohnte Gebiete und setzen Landminen ein.“ Hunderte Menschen seien dadurch getötet oder verletzt worden. Dutzende solcher Fälle hat Human Rights Watch dokumentiert.

Ebenso, dass die Milizen immer wieder Nahrungsmittel und Medikamente beschlagnahmen oder Helfer entführen. Zudem werden Kinder als Soldaten rekrutiert und zum Kämpfen gezwungen. Nach Angaben des Kinderhilfswerks Unicef sind mehr als 1600 derartiger Fälle belegt.

Warum kann sich die Cholera so rasant ausbreiten?

Eigentlich ist die Infektion leicht zu behandeln – unter normalen Bedingungen. Doch davon kann im Jemen keine Rede sein. Die Zahl der Verdachtsfälle ist nach Angaben des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz auf mehr als 400.000 gestiegen, innerhalb von gut drei Monaten. Bis zum Ende des Jahres könnte sich die Zahl der Betroffenen auf 600.000 erhöhen. Denn 7000 Menschen infizieren sich mit dem Erreger – täglich. Schätzungsweise 1900 Menschen sind bereits an der Krankheit gestorben.

Dass sich die Seuche so rasant ausbreitet, hat nach Ansicht von Astrid Nissen vom Deutschen Roten Kreuz verschiedene Gründe. Verheerend wirkten sich zum Beispiel die katastrophalen hygienischen Bedingungen aus. „Durch die starken Regenfälle wird der nicht abgeholte Müll in die Straßen geschwemmt.“ Sauberes Trinkwasser sei ebenso rar wie sanitäre Anlagen.

Ganz abgesehen von der fehlenden medizinischen Versorgung. „Nicht einmal die Hälfte der Gesundheitseinrichtungen funktioniert noch“, berichtet Nissen, die vor Kurzem im Jemen war. „Hinzu kommt, dass die Menschen sich erst behandeln lassen, wenn sie bereits in einem kritischen Zustand sind.“ Viele Jemeniten scheuen offenbar den Weg zum Arzt, weil sie glauben, Hilfe sei unbezahlbar. Für Kinder, Alte und Geschwächte kann das den Tod bedeuten.

Wie stark ist der Extremismus?

Chaos, Not und Verzweiflung sind der Nährboden für Terrorismus. Der Jemen hat sich zu einer regelrechten Terrorhochburg entwickelt. Dschihadisten-Gruppen wie Al Qaida und der „Islamische Staat“ profitieren von der herrschenden Anarchie. Sie haben sich in einigen Regionen festgesetzt und verüben zum Teil barbarische Attentate. Beobachter sprechen von einem Konkurrenzkampf in Sachen Brutalität. Die Opfer der Gewalt: Jemeniten.

Anmerkung der Redaktion: Der Text ist um eine Frage ergänzt und aktualisiert worden.

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