Freiwilligkeit statt Überwachungsstaat: Die Stärke der Corona-App ist auch ihre größte Schwäche
Die Corona-App soll die Pandemie eindämmen. Aber dafür müssten sie 60 Prozent der Menschen nutzen – und selbst das reicht nicht. Ein Kommentar.
Jetzt also doch. Die Bundesregierung will, dass die Bürger eine Handy-App nutzen, um die Verbreitung des Corona-Virus einzudämmen. Die App soll ihre Nutzer warnen, wenn sie einer infizierten Person zu lange zu nahe gekommen sind.
Details dazu wurden lange geheim gehalten: Ein Handytracking, wie es die asiatischen Staaten schon lange praktizieren, ruft in Deutschland Ängste vor dem Überwachungsstaat hervor – zu Recht. Andererseits wächst mit jedem Tag, an dem Schulen und Geschäfte geschlossen bleiben, der Druck, Wege aus dem Lockdown aufzuzeigen.
Die Technologie könnte zumindest eine flankierende Maßnahme sein. Wenn Infektionsketten leichter nachvollzogen und Infizierte schneller isoliert werden, könnte das öffentliche Leben wieder aufgenommen werden, noch bevor das Coronavirus ganz verschwunden ist.
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Die Lösung, die jetzt präsentiert wurde, trägt den Bedenken der Datenschützer Rechnung. Erstens soll die App freiwillig sein, niemand wird gezwungen, sie herunterzuladen. Zweitens bleiben ihre Nutzer komplett anonym, niemand, auch der Staat nicht, soll erfahren, wer sich wann und wo mit wem getroffen hat.
Es ist gewissermaßen die europäische Variante des Trackings. Wenn das klappt, wäre viel gewonnen. Zuallererst Bewegungsfreiheit. Langfristig aber geht es um die Frage, ob Deutschland und Europa es schaffen, die Vorteile zu nutzen, die das Teilen und Analysieren von Daten bringen kann.
Ob Bilderkennung in der Krebsforschung, die energiesparende Steuerung von Stromnetzen oder Mobilitätsdaten zur Stadtplanung: Daten können Profit für Wirtschaft, Staat und Gesellschaft bringen. Oft genug scheitert Innovation hierzulande noch an datenschutzrechtlichen Bedenken. Die Schlüsselfrage ist, ob man beides in Einklang bringen kann: Technologie und Bürgerrechte.
Die größten Vorteile der europäischen Corona-App, die Freiwilligkeit und die Anonymität, sind zugleich ihre größten Schwachstellen. Damit sie ihr Potenzial voll entfalten kann, müssten 60 Prozent der Bevölkerung sie herunterladen – und ihr Telefon dann auch immer bei sich tragen, es nicht etwa in der Jacke an der Garderobe lassen.
Hinzu kommt: Wenn niemand außer den Betroffenen erfährt, wer wann wo mit dem Virus in Kontakt gekommen ist, kann auch niemand kontrollieren, ob die per App Gewarnten sich tatsächlich in die Quarantäne oder zum Testen begeben (zumal die Kapazitäten erst aufgestockt werden müssten).
Die Bundesregierung und die Macher der App müssen jetzt massiv Werbung für das Projekt machen und vor allem eines tun: erklären, erklären, erklären. Kritiker tun gut daran, zuzuhören und zu diskutieren, statt vorschnell zu urteilen.