Dem Coronavirus auf der Spur: Mit Handy-Tracking auf der Suche nach Infizierten
Mobile Daten könnten helfen, um Kontakte von Coronavirus-Patienten zu ermitteln – theoretisch. Aber funktioniert das wirklich in Deutschland?
In Berlin und anderen Bundesländern übermitteln die Gesundheitsämter die Namen möglicher Kontaktpersonen von Coronapatienten zum Teil noch per Fax. Das könnte sich bald ändern. Nach Tagesspiegel-Informationen wird in Wissenschaftskreisen und internationalen Tech-Unternehmen jetzt eine außergewöhnliche Maßnahme diskutiert: Anstatt zu versuchen, die Kontaktpersonen von Infizierten durch zeitintensive und am Ende trotzdem ungenaue Abfragen herauszubekommen, könnte ein Abgleich von Bewegungsdaten etwa eines Handys die Ausbreitung drastisch verlangsamen.
Wie werden Kontaktpersonen bislang ermittelt?
Bisher läuft das Tracking der Bewegungsdaten analog ab – und offensichtlich unkoordiniert. So sollen Menschen, die aus Ländern wie Italien, China, Südkorea und dem Iran per Bus, Bahn oder Flugzeug nach Deutschland kommen, so genannte „Aussteigerkarten“ ausfüllen, wie Innenminister Horst Seehofer (CSU) Ende Februar erklärte.
Damit solle gewährleistet werden, dass die Eingereisten beim Auftreten eines Corona-Falls kontaktiert werden können. Doch eine Woche später ist offenbar noch immer unklar, wer diese Karten verteilt und wie die Daten überhaupt gesammelt, zusammengeführt und ausgewertet werden.
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Bei der Deutschen Bahn werden die Karten tatsächlich in Papierform verteilt. Sie sollen vom Zugpersonal „bei Bedarf“, also im Verdachtsfall, verteilt werden, sukzessive würden die Züge damit ausgestattet. Wie viele Züge bisher solche Karten mitführen, wann ein „Verdachtsfall“ besteht und wie viele Karten bereits an Behörden weitergeleitet wurden, teilte der Bahn-Sprecher nicht mit.
Apple und Google etwa speichern jedoch Ortsdaten minutenweise sehr genau für mehrere Wochen. Auf ihren Servern können auch Bewegungsprofile der vergangenen Wochen abgespeichert sein.
Welche technischen Hürden gibt es?
In Deutschland haben laut Alf Zugenmaier, Professor an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften München, im Wesentlichen zwei Akteure Zugriff auf Bewegungsdaten: „Netzbetreiber wie die Telekom oder O2 und App-Anbieter, denen ich auf meinem Smartphone eine Berechtigung erteilt habe.“
Doch Bewegungsdaten von Telekom, O2 oder Vodafone reichen wahrscheinlich nicht aus. Netzbetreiber in Deutschland seien technisch in der Lage, Mobiltelefone geografisch zu lokalisieren. Dies werde beispielsweise genutzt, wenn über ein Telefon ein Notruf abgesetzt wird. Die Ortung erfolge dabei aber punktuell – üblicherweise senden Mobilfunkgeräte nicht kontinuierlich Daten über ihren Standort.
Einen Datenbestand von Bewegungsdaten möglichst vieler Bundesbürger, den die staatlichen Gesundheitsstellen nun einfach für die Eindämmung des Coronavirus anzapfen können, gibt es also nicht.
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Wäre die Nutzung der Daten erlaubt?
Es sei „auf den ersten Blick keine spezifische Rechtsgrundlage ersichtlich“, die die Erhebung von Bewegungsdaten zur Eindämmung des Coronavirus ermögliche, sagt eine Sprecherin des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV). Auch der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber sieht solche Eingriffe rechtlich problematisch, denkbar sei es mit einer freiwilligen Zustimmung der betroffenen Personen.
Die umstrittene Praxis der Vorratsdatenspeicherung, bei der Provider in Deutschland bestimmte Daten für eine mögliche spätere Strafverfolgung durch staatliche Organe abspeichern müssen, hilft beim Kampf gegen Corona auch nicht: „In der Vorratsdatenspeicherung finden sie nur eine Liste der Kommunikationsvorgänge, keine lückenlosen Bewegungsdaten der Handynutzer“, sagt Zugenmaier.
So könnte der Staat zwar nachverfolgen, wann jemand sein Mobiltelefon benutzt habe, nicht aber, wo sich der Handybesitzer zwischen zwei Telefonaten überall bewegt haben könnte. Gegen die Vorratsdatenspeicherung laufen zudem Klagen, das Bundesverwaltungsgericht hatte im September 2019 den Fall an den europäischen Gerichtshof verwiesen und die Speicherpflicht bis zur Entscheidung ausgesetzt.
Auch der Experte mahnt: „Die wichtigen Fragen zu Datenschutz und Privatsphäre müssen vor einer App-Entwicklung diskutiert werden.“
Was bedeutet das für den Patientenschutz?
Mediziner, Wissenschaftler und Gesundheitspolitiker klagen in Deutschland immer wieder darüber, dass hiesige Datenschutz-Bedenken häufig dem Patientenwohl entgegenstünden. Das zeige auch das Patientendaten-Schutzgesetz (PDSG), das Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) gerade auf den Weg schickt – und das der Bekämpfung von Epidemien künftig Steine in den Weg legen könnte, so die Befürchtung.
Das PDSG regelt Datenschutzbestimmungen für die elektronische Patientenakte (ePA), die im kommenden Jahr allen gesetzlich Versicherten angeboten werden muss. In der Akte sollen Patientendaten zusammengeführt werden, die Versicherten bestimmen, ob sie die ePA nutzen und worauf ihre behandelnden Ärzte Zugriff bekommen.
Mit dem PDSG werde Daten- über Seuchenschutz gestellt, beklagt der Deutsche Landkreistag. Die kommunalen Gesundheitsämter hätten bei Epidemien keinen Zugriff auf die ePA-Daten, könnten diese also auch nicht zur Eindämmung von Infektionskrankheiten nutzen.
Der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) soll laut Gesetzentwurf zwar an das System angeschlossen werden, über die die ePA-Inhalte ausgetauscht und eingespeist werden, allerdings hätten Amtsärzte nur sehr eingeschränkte Zugriffsrechte: nämlich ausschließlich auf elektronische Impfdokumentationen und U-Untersuchungshefte. Ausgeschlossen wäre damit die Nutzung aller anderen Daten, etwa beim Ausbruch von Tuberkulose.
Solche Daten würden, sagte die beim Landkreistag für Digitalisierungsfragen zuständige Leiterin Ariane Berger, bislang von den Gesundheitsämtern genutzt werden können, „sofern sie elektronisch vorliegen“. Die Möglichkeit fiele mit dem PDSG weg. Gerade vor dem Hintergrund der Corona-Epidemie wirke eine solche Regelung völlig kontraproduktiv, meint Berger.
Die jetzt vorgesehenen Regelungen für den ÖGD würden „es diesem unmöglich machen, seine Aufgaben im Zuge der Gefahrenabwehr“ zu erfüllen.
Welche zusätzlichen Bedenken gibt es?
Unter der deutschen Bevölkerung gibt es zahlreiche, gerade ältere Menschen, deren Handys kein Ortstracking zulassen. Laut einer Umfrage des Digitalverbands Bitkom vom Januar 2020 nutzen 76 Prozent der Bundesbürger ab 16 Jahren ein Smartphone. In der Altersgruppe 65 plus sind es nur 40 Prozent. Dabei gehören insbesondere ältere und kranke Menschen zu den Hauptrisikogruppen bei den Coronakranken.
Außerdem: Was passiert, wenn durch das Tracking zeitgleich tausende Menschen aufgefordert werden, sich testen zu lassen, weil sie vor Tagen in einer U-Bahn mit einem Coronainfizierten gefahren sind? Vermutlich wären die Gesundheitseinrichtungen in einem solchen Fall von einem Tag zum anderen überfordert.
Welche Beispiele gibt es für mobiles Corona-Tracking?
In China wird dieses Verfahren sehr umfangreich praktiziert (siehe nebenstehenden Beitrag). Auch in Korea gibt es bereits Apps, die anzeigen, an welchen Orten infizierte Personen festgestellt wurden. Dabei werden auch Alter und Nationalität der Erkrankten genannt und wo sie sich zuvor aufgehalten haben.
Die Daten werden von den Behörden veröffentlicht, die Entwickler der Apps „Corona 100m“ und „Corona Map“ nutzen die Informationen, indem sie sie auf Karten veranschaulichen. Allein „Corona 100m“ war in den ersten drei Wochen mehr als eine Million Mal heruntergeladen worden.
Sebastian Christ, Paul Dalg, Robert Ide, Fabian Löhe, Lorenz Maroldt, Antje Sirleschtov, Sonja Álvarez, Oliver Voß, Miriam Schröder, Thomas Trappe