Jamaika-Koalition: Die Schwampel als Kulturschock
Wie CDU/CSU, FDP und Grüne auf dem Weg zu einer gemeinsamen Koalition ihre Eigenheiten pflegen und wo sie Schnittmengen suchen.
Die Bildung einer Jamaika-Koalition aus CDU/CSU, FDP und Grünen wird nach einer Umfrage von der Mehrheit der Bürger positiv gesehen. 57 Prozent der Befragten fänden laut ARD- „Deutschlandtrend“ eine solche Regierung gut oder sehr gut. Das sind ganze 34 Prozentpunkte mehr als noch am Wahltag. Eine erneute große Koalition aus CDU/CSU und SPD stößt in der Umfrage von Infratest dimap nur noch auf eine Zustimmung von 31 Prozent. Sollte die derzeit einzige plausible Regierungskonstellation nicht zustande kommen, befürworten 65 Prozent der Befragten Neuwahlen.
In den betroffenen Parteien wird seit Montag um Einfluss und Deutungshoheit für die Sondierungs- und mögliche Koalitionsverhandlungen gekämpft. Während die Grünen sich beeilten, schnell ihre Verhandlungskommission festzulegen und offenbar schon ausführliche sachpolitische Szenarien zusammengestellt haben, wies der CDU-Vizevorsitzende Volker Bouffier Liberalen und Grünen in einer möglichen Koalition nur Nebenrollen zu: „Jamaika funktioniert nur, wenn die mit Abstand stärkste Kraft, die Union, das bestimmende Element ist und wenn die anderen Partner wissen, dass sie nicht die Bestimmer sein können“, sagte der Ministerpräsident, der in Hessen zusammen mit den Grünen regiert, dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“.
Er warnte vor einem „Hauruck-Verfahren“ und drang auf Verhandlungen „ohne Vorbedingungen“ – die Bayerns Innenminister Joachim Herrmann am Dienstag schon einmal formulierte. Die CSU werde auf einer klaren Begrenzung der Flüchtlingszahlen bestehen. „Wir sind nicht bereit, darauf zu verzichten, sagte er im Deutschlandfunk. Die Grünen sind strikt gegen eine Obergrenze – gemeinsam mit der FDP plädieren sie für ein Einwanderungsgesetz. Vor Gesprächen mit den Grünen und der FDP findet Herrmann es auch wichtig, dass sich die Unionsparteien „selber noch mal vergewissern, was die wesentlichen Punkte für eine Koalition sind“, schließlich sei „eine Zusammenarbeit mit den Grünen etwas ganz Neues“. Mit „einem guten Willen aller Beteiligten ist das möglich“ – aber: „Davor muss man klare Pflöcke einschlagen.“
Das dürfte auch zu deutlichen Differenzen in der Asyl- und Abschiebungspolitik führen – und im Thema Innere Sicherheit. Denn bei Bürgerrechten und Datenschutz sind sich FDP und Grüne weitgehend einig, während die Union mehr Überwachung will.
Schleswig-Holstein könnte das strategische Vorbild sein
Aus Schleswig-Holstein wird aus allen drei Parteien für die „Schwampel“ geworben, wie eine Jamaika-Koalition früher genannt wurde. Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) sieht seine Regierung als norddeutsches Vorbild. Von einem solchen Bündnis „kann eine richtig gute Strahlkraft für Deutschland ausgehen“, sagte er der „Rheinischen Post“ – wenn in Verhandlungen nicht nur der kleinste gemeinsame Nenner gesucht werde. Jede Partei müsse ihre Identität behalten. Der Erfolg hänge „sehr stark davon ab, dass sich die Partner auch gegenseitig eigene Erfolge gönnen“.
FDP-Vizechef Wolfgang Kubicki, noch Fraktionschef in Kiel, sieht Bundes-Jamaika kritisch, nennt als realistische Kernpunkte aber ein Zuwanderungsgesetz und eine beschleunigte Digitalisierung. Und er betont immer wieder, dass eine Zusammenarbeit deutlich leichter würde, wenn der schleswig-holsteinische Umweltminister Robert Habeck von den Grünen auf die Bundesebene wechseln würde.
Habeck selbst nennt zumindest Sondierungsgespräche „logisch, notwendig und irgendwie zwingend“, sprach im Hessischen Rundfunk aber auch von einem „Kulturschock“. In seinem Blog schreibt er unter dem Titel „Tränen und Trotzdem“, Verhandlungen müssten „ernsthaft, nicht taktisch“ geführt werden: „Weder regieren um jeden Preis noch regieren um keinen Preis. Eng und streng entlang von inhaltlichen Maßgaben.“ Es brauche „nicht nur ein paar symbolische Punktsiege“ für die Grünen, sondern „tatsächlich in bestimmten Bereichen eine andere Politik“ – dazu gehörten eine „ökologische Transformation“, eine „europäische, solidarische Finanzpolitik, die eine Grundlage schafft, um die Risse in der EU zu schließen“ und „eine solidarische Arbeits- und Sozialpolitik“. Die Grünen könnten sich so mit Blick auf Union und FDP explizit links und als Kraft für Veränderungen positionieren.
Die Einigkeit aller drei Parteien bei Bildung, Digitalisierung und Themen wie Startups, IT- und Kreativwirtschaft kommt dem Image einer Koalition für Erneuerung und Innovation entgegen. Auch in der Steuerpolitik könnten sie sich wohl zügig einigen. Beim Klimaschutz und dessen wirtschaftlichen Chancen wie Herausforderungen gibt es vor allem kulturelle und sprachliche Hürden zwischen denen, die sich gern als Autofreunde inszenieren und denen, die das Auto als großen Feind des Klimas verstehen. Verkehrs- und Energiepolitik dürften erst zu Streit und dann zu Kompromissen bei Jahreszahlen, konkreten Klimazielen und im dazu für notwendig (oder auch nicht) erachteten Regelungsbedarf führen.
Die grünen Europafans und die Europaskeptiker der FDP – in der Union gibt es gleich beide – zu einer gemeinsamen europäischen Euro-Finanzpolitik zusammenzubringen, wird deutlich schwieriger.
Die Unterschiede scheinen den Koalitionären in spe allerdings erst einmal wenig Sorgen zu machen. Sie sind Chancen zur Profilierung – erst einmal als harte Verhandler, später vielleicht als selbstbewusste Partner.
Selbstbewusst über eine künftige Regierung verhandeln könne man ohnehin nur, „wenn man jederzeit bereit ist, nicht zu regieren“, mahnt Habeck.
Die zu den Großen Antillen gehörende Insel Jamaika steht für Reggae, Lockerheit – und politische Stabilität und Unabhängigkeit seit 1962, ihr Staatsoberhaupt ist länger im Amt als Angela Merkel: die britische Königin Elisabeth II. Jamaika gehört zum Commonwealth. Der deutsche Botschafter in Jamaika übrigens, Joachim Schmillen, war lange Büroleiter von Joschka Fischer als Grünen-Fraktionschef und Außenminister.
(mit dpa)
Carsten Werner