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Joachim Herrmann drängt auf mehr Polizei und Abschreckung.
© Daniel Karmann/dpa

Joachim Herrmann: "Mr. Sicherheit" der CSU

Erst „Balu, der Bär“, jetzt „Mr. Sicherheit“ – Joachim Herrmann ist Aushängeschild der CSU. Dass er der neue Bundesinnenminister wird, gilt in der Union als abgemacht.

Nun, beim Getränkenachschub, muss der Moderator die Sache mal ein wenig auflockern. „Eigentlich kann Ihnen doch keiner das Wasser reichen“, sagt er und lacht. Der Angesprochene auf der Bühne geht nicht darauf ein, dreht sein frisch gefülltes Glas unschlüssig in den großen Händen. „Komisch“, murmelt er. „Steht Pepsi drauf, und ist nur Wasser drin. Beim andern stand Coca-Cola drauf, war auch nur Wasser drin.“

Man kann das weiterdenken, an diesem Abend in der Hofer Freiheitshalle, wenn man möchte. Vielleicht ist das auch so gewollt. Bei Joachim Herrmann weiß der Wähler, was drin ist. Es ist genau das, was draufsteht.

„Mr. Sicherheit“ nennen sie ihn neuerdings in den Einladungen. Im Mai, als die CSU den bayerischen Innenminister mit 98 Prozent zu ihrem Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl kürte, hat der 60-Jährige versprochen, bis zum 24. September alle 46 Bundestagswahlkreise des Freistaats zu besuchen. Die Orts- und Kreisverbände reißen sich um den Mann. Die Christsozialen konzentrieren sich ganz auf Law and Order, und Herrmann ist ihr Aushängeschild. Im Bierzelt oder bei einer lockeren Bürgerfragestunde, wie dieser hier.

Ein nüchtern gehaltener Saal, dekoriert in bayerischem Blau-Weiß. Das Podium mittendrin wirkt wie ein Boxring, drum herum die gut 250 Zuhörer, doch es gibt keinen Sparringspartner für das fränkische Schwergewicht, nur einen Stichwortgeber vom CSU-Organ „Bayernkurier“. Nach Fanfarenklängen gehört den beiden die Bühne. Und ein bisschen hat man den Eindruck, als präsentierten sich hier die Pole der Partei. Auf der einen Seite, tänzelnd und jung-agil, der Nachwuchs mit Gel im Haar und spitzen Lederschuhen zum eng geschnittenen Anzug – man denkt an den gestylten Verkehrsminister, den schulbubenhaft-frechen Parteigeneral, den gescheiterten Superstar Guttenberg. Und auf der andern, wuchtig, die Verkörperung der alten, bodenständig-biederen CSU.

Das Modernste an ihm? Seine randlose Brille

Manche sagen, das Modernste an Herrmann sei seine randlose Brille. Und vielleicht muss man, um dem Hoffnungsträger näherzukommen, in Gedanken noch mal kurz an einen anderen Ort: ins unterfränkische Veitshöchheim. Der Fasching dort, vom Bayerischen Fernsehen übertragen, ist ein Schaulaufen der Landespolitik, mit Hilfe professioneller Maskenbildner wirft sich jeder in fantasievolle Verkleidungen. Vor allem Finanzminister Markus Söder entwickelt dabei höchsten Ehrgeiz. Herrmann dagegen steckt seit Jahren im gleichen Kostüm. Er gibt – mit Stern und breitkrempigem Hut – den Schwarzen Sheriff. Selbstironisch, denn die schwarz Uniformierten, die in München unter diesem Namen jahrzehntelang als privater Sicherheitsdienst Einsatz schoben, waren wegen ihres martialischen Auftretens berüchtigt. Den Spott darüber, dass ihm wieder nichts anderes eingefallen sei, nimmt Herrmann in Kauf. Er hat seine Rolle, warum sich in eine andere zwängen?

Im Hofer Publikum sitzen etliche, die darauf anspielen – aber nicht, um sich lustig zu machen. Auf ihren T-Shirts prangt das Konterfei des Schwarzen Sheriffs. Auch den Cowboy-Hut gibt’s als Wahlkampf-Accessoire zu kaufen. Herrmann ist Kult in der Partei, oder soll es zumindest werden. Selbst diejenigen, denen der Dreifachminister für Inneres, Verkehr und Bau als zu behäbig galt, die ihm den Spitznamen „Balu, der Bär“ verpassten, sind dem Fanclub beigetreten. Herrmanns ruhig-sonore Auftritte, seine Entspanntheit gepaart mit Entschiedenheit – das wirke doch unglaublich professionell. Und ein bisschen lockerer sei der Mann schließlich auch geworden.

Tatsächlich ist Herrmann, wie er immer war. Aber jetzt passt es einfach. Der Minister mit dem breiten Kreuz ist bei diesem Wahlgang ein Glücksfall für die CSU. Das Thema Sicherheit hat für die Bürger hohe Priorität, die gestiegene Zahl von Wohnungseinbrüchen treibt die Leute ebenso um wie die Angst vor Terrorakten – und der Kandidat kann geballte Erfahrung ausspielen. Herrmann ist seit zehn Jahren bayerischer Innenminister. Im Umgang mit Extremismus, organisiertem Verbrechen, Alltagskriminalität kennt er sich aus wie kein anderer. In der Ministerkonferenz ist er die dominierende Figur.

Er dringt auf mehr Kontrollen

Der CSU-Mann setzt auf den starken – oder überhaupt erst einmal handlungswilligen – Staat. Auch bei den Flüchtlingen. Er dringt auf mehr Kontrollen, schnellere Asylentscheide, rigorose Abschiebung. Er will mehr Polizei, härteres Durchgreifen gegen Straftäter, Abschreckung. Und er verweist auf seine Erfolge. Die Kriminalitätsrate im Freistaat ist – bereinigt um rein ausländerrechtliche Verstöße wie illegale Einreise – bundesweit am niedrigsten und die Aufklärungsquote am höchsten, rechnet Herrmann den Hofern vor. „Wir können mit Fug und Recht sagen: Bayern ist am sichersten.“ Das sei aber „nicht naturgegeben“, man müsse schon was dafür tun.

Mit der Kriminalität in U-Bahnen sei beispielsweise Berlin „eine völlig andere Welt“. Rentner trauten sich dort zu bestimmten Zeiten gar nicht mehr rein, behauptet der Wahlkämpfer. Und so was wie die „Rote Flora“ in Hamburg sei in Bayern undenkbar. Dort bleibe kein Haus länger als 24 Stunden besetzt. „Null Toleranz. Das wissen alle. Daher versucht es bei uns auch keiner mehr.“

Herrmann ist in Fahrt. Er schimpft über unsichere Außengrenzen, Lücken beim Datenaustausch zwischen EU-Ländern, die Hemmungen hierzulande, im Terrorfall auf die Bundeswehr zurückzugreifen. Doch obwohl man bei alldem längst den Bundesinnenminister in spe heraushört: Zu den Plänen von Horst Seehofer fürs Bundeskabinett verliert Herrmann im Wahlkampf kein Wort. Dabei hat der Parteichef das Innenressort längst für die CSU und ihr Schwergewicht reklamiert.

Der Wechsel könnte sich für den Mann aus Erlangen auch parteipolitisch auszahlen. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass in zwei Jahren, wenn die Wahl des CSU-Chefs ansteht, Herrmann für diesen Posten dann die erste Wahl ist. Seehofer will, das weiß man, seinen aufstrebenden Finanzminister Söder partout nicht als Nachfolger. Er hat ihm „charakterliche Schwächen“ bescheinigt, Herrmann dagegen als „grundanständigen Kerl“ gelobt. Man darf ja nicht vergessen: Als der Parteichef mitten im Flüchtlingsstreit verkündete, dass die CSU jetzt ihre Alphatiere nach Berlin schicken müsse, hat sich der vermeintliche Kronprinz Söder weggeduckt. Der zehn Jahre Jüngere wollte keinesfalls auf unbekanntes Terrain und dadurch womöglich seine Karrierechancen schmälern.

Das Gespür des Erfahrenen

Herrmann hat sich auch nicht vorgedrängt. Aber mit dem Gespür des erfahrenen Politikers hat er realisiert, dass er jetzt springen muss. Außerdem galt es noch etwas gutzumachen. 2011 hatte ihn sein Parteichef schon einmal nach Berlin schicken wollen. Herrmann weigerte sich aus familiären Gründen, der Job des Bundesinnenministers wurde wie Sauerbier herumgereicht und fiel schließlich an Hans-Peter Friedrich.

Jetzt also der Neuanlauf. In der CDU haben sie mit Herrmanns Ressortanspruch kein großes Problem – auch wenn es der bisherige Amtsinhaber den Bayern übel genommen haben soll, dass man ihn vor der Ankündigung nicht informiert hatte. Die Kanzlerin könnte mit dem Neuen allemal gut leben. Der Professorensohn aus Erlangen vergriff sich ihr gegenüber nie im Ton. Er verrannte sich auch nicht in Klagedrohungen und Ultimaten wie sein Parteichef, der eine Obergrenze für Flüchtlinge zur Koalitionsbedingung machte, von der er nun wieder abrücken muss.

Bei einem gemeinsamen Wahlkampfauftritt am Mittwochabend in Herrmanns Heimatstadt wirkt es, als wolle der Franke der Kanzlerin die bayerischen Methoden präsentieren. Bei der Kundgebung auf dem Rathausplatz sind beide geradezu eingekesselt von Sicherheitskräften. Und damit Merkel störungsfrei vom Hubschrauberlandeplatz zur Tribüne gelangen kann, hat die Polizei ganze Straßenzüge gesperrt. Prompt lobt die Kanzlerin den Gastgeber für die Ausstattung der bayerischen Polizei. Sie wolle, kündigt sie an, ein „Musterpolizeigesetz“ einführen, das sich am Freistaat orientiere.

Einige Tage vorher, in Bad Kissingen, war ihr der Name des Kandidaten kurz entfallen. Ein paar Sekunden stockt die Kanzlerin, dann hilft ihr ein Zuruf. „Joachim Herrmann. So!“ Merkel lacht und knufft den CSU-Mann beim Abgang in den Arm, auch Herrmann nimmt es mit Humor. Dass sie in Sachen innere Sicherheit große Stücke auf Herrmann hält, hat sie auch hier durchblicken lassen. Über das Thema wolle sie gar nicht groß reden, sagte sie. Der CSU-Politiker sei darin ohnehin „viel kompetenter“.

Die Methode CSU

Merkel hat sehr wohl registriert, dass Aufnahme und Versorgung von Asylbewerbern trotz aller Proteste in Bayern weit besser liefen als in anderen Bundesländern. Sie erlebte, wie routiniert und ruhig der Minister mit dem Amoklauf in München und den Islamisten-Anschlägen von Ansbach und Würzburg umging.

Vor allem aber könnte Merkel mit dem Innenpolitiker eine neue Rollenaufteilung testen. Hier die liberale Großkanzlerin, dort der unnachgiebige Garant innerer Sicherheit. Es wäre die Methode CSU, bei der das Strecken in alle Ecken zu einem der wichtigsten Erfolgsrezepte gehört. Die Querschüsse aus Bayern würden aufhören. Wenn es mit den Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber nicht klappt, weil Herkunftsländer die Rücknahme blockieren, wäre ein anderer dafür verantwortlich. Und weil das Innenressort so wichtig ist, könnte man die CSU je nach Wahlergebnis und Koalition vielleicht sogar auf zwei statt der bisherigen drei Ministerien herunterhandeln.

Die Flüchtlingspolitik ist auch im Wahlkampf Kernthema – und für Herrmann besonders. In Hof fühlen sich Stadt und Bürger überfordert von den vielen Ankömmlingen. „Unsere Integrationskraft neigt sich dem Ende zu“, klagt der Sozialbürgermeister. Für andere wäre das ein willkommener Anlass, gegen die in Berlin und insbesondere die im Kanzleramt zu wettern. Und Herrmann? Versichert in Sachbearbeiter-Tonlage erst mal, dass man bereits einen Zuzugsstopp verhängt habe. Referiert dann über Details des Asyl- und Aufenthaltsrechts. Und stellt klar, dass sich diejenigen, die am liebsten gar keine Flüchtlinge im Land hätten, gefälligst auch an rechtsstaatliche Vorgaben zu halten hätten.

Wutbürger wären wohl enttäuscht gewesen

Aus alldem wird auch dem verärgertsten Zuhörer klar: Ein gesetzestreuer Flüchtling, der seine Verfahren durchlaufen hat, sich um Integration und einen Arbeitsplatz bemüht, kann auf Herrmann genauso zählen wie ein Einheimischer. Und Fakt ist auch, dass Bayern eben nicht nur am rigorosesten abschiebt, sondern auch weit mehr als alle anderen Bundesländer in die Integration derer investiert, die bleiben dürfen.

Wutbürger wären, hätten sie denn im Publikum gesessen, wohl enttäuscht gewesen vom Auftritt des angeblichen Hardliners. Die tatsächlich Gekommenen finden es in Ordnung. Schließlich ist man hier nicht im Bierzelt. Dass Herrmann seine politischen Gegner im Wahlkampf möglichst gar nicht erwähnt, hat indes Methode. Ihm genüge der Ländervergleich, sagt er. Die Leute verstünden das dann schon. Wer wolle, so Herrmann zum Abschluss, könne sich natürlich auch für „mehr Schulden, mehr Kriminalität und mehr Arbeitslosigkeit“ entscheiden und „die andern“ wählen. Empfehlen könne er dies aber nicht.

Er habe keine Probleme mit dem Hardliner-Etikett, sagt Herrmann nach der Veranstaltung. Aber es stimme auch nicht, dass Bayern mit ihm „kurz vor dem Polizeistaat“ stehe. Eigentlich sei „leben und leben lassen“ seine Devise.

Beifallsstürme bekommt Herrmann an diesem Abend nicht, die Leute im Saal klatschen wohlwollend. Bisschen mehr Glanz in der Hütte und ein paar rumpelnde Hallodris, das mag der CSU-Wähler zwar auch. Aber die Zeiten sind gerade nicht so. „Basst scho“, sagt ein Mann mit Sheriff-T-Shirt. Und ist ganz schnell draußen.

Dieser Text erschien auf der Dritten Seite des Tagesspiegel vom 1. September 2017.

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