Coronavirus-Mutationen in Berlin: Die neue Gefahr und wie sie eingedämmt werden soll
Der Ausbruch der Coronavirus-Mutation im Humboldt-Klinikum stellt Berlin vor enorme Herausforderungen. Wie gefährlich ist die Situation? Fragen und Antworten.
In Berlin gibt es immer mehr Infektionen durch die Coronavirus-Mutation B117. Das stellt die Stadt vor neue, schwierigere Herausforderungen. Wie das Pandemiegeschehen in der Hauptstadt in den nächsten Wochen aussehen wird, hängt nun davon ab, ob sich diese britische Virusvariante verbreiten kann – oder wie das unterbunden wird.
Wie schlimm ist der Ausbruch im Berliner Humboldt-Klinikum?
Inzwischen ist bekannt, dass sich allein in diesem Großkrankenhaus in Berlin-Reinickendorf zwölf Patienten und zehn Mitarbeiter mit der Corona-Varianten B117 infiziert haben. Dazu kommen zwei Fälle im Spandauer Vivantes-Krankenhaus außerhalb der Klinik. Der Reinickendorfer Amtsarzt, Patrick Larscheid, gab am Montag zudem bekannt, dass eine Angehörige und eine Nachbarin früherer Patienten aus dem Humboldt-Klinikum ebenfalls positiv auf die Virusvariante getestet wurden.
Sowohl die Angehörige als auch die Nachbarin, die allein lebe, seien isoliert, sagte Larscheid in einer digitalen Pressekonferenz. Man spreche mit Blick auf das B117-Virus noch von „Containment“, also Eindämmung, sagte er. Alle 26 betroffenen Menschen stünden unter Quarantäne. Larscheid sagte allerdings auch, einer der beiden von der britischen Corona-Mutation betroffenen Spandauer Patienten habe keinen Kontakt zu den Fällen aus dem Reinickendorfer Humboldt-Klinikum gehabt. Unklar sei, wie der neue Virus-Typ in das Humboldt-Klinikum kam.
Auch der Pandemiestab der Charité arbeitet seit Wochen intensiv daran, wie es ein Arzt sagte, „die Mutante kleinzuhalten“. Zwei ambulante B117-Betroffene wurden von der Universitätsklinik schon vergangene Woche registriert. Am Montag meldete die Charité, es gebe einen neuen Fall der „sogenannten englischen Variante“. Betroffen sei ein Patient der Notaufnahme, der Mann werde nun „durchgehend“ isoliert behandelt. Alle 29 Berliner B117-Betroffenen befinden sich also auf isolierten Stationen oder stehen unter häuslicher Quarantäne.
Der Vivantes-Hygiene-Beauftragte Christian Brandt sagte, die Lage ähnele der vor einem Jahr in Bayern. Damals war ein Mitarbeiter eines Autozulieferers von einer aus China eingereisten Kollegin angesteckt worden – der erste Corona-Fall in Deutschland. Nun müsse man ebenfalls versuchen, alle Kontakte nachzuverfolgen, zu isolieren, wenn nötig zu behandeln. „Wir können aber nicht sagen, ob die Virusvariante nicht von woanders nach Berlin getragen wird“, sagte Brandt. „Wir erwarten jedenfalls, weitere B117-Fälle zu entdecken.“
Wie will der Berliner Senat vorgehen?
Der Senat wird sich am Dienstag dem Vernehmen nach nicht mit weiteren Verschärfungen der Corona-Regeln befassen. Erst vergangene Woche habe man sich – schon unter dem Eindruck der Virus-Mutation – für striktere Regeln entschieden, heißt es übereinstimmend aus Koalitionskreisen. Lockerungen werden von allen Parteien ausgeschlossen.
Nach Tagesspiegel-Informationen ist die Linkspartei allerdings von einer verschärften Homeoffice-Pflicht abgerückt. Der Senat wird am Dienstag die Bundesverordnung eines Rechts auf Homeoffice übernehmen. Allerdings soll in den kommenden Wochen anhand von Mobilitätsdaten geprüft werden, ob die Regel wirkt – falls nicht, sind Verschärfungen möglich.
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Am Montag äußerten sich weder Berlins Regierungschef Michael Müller noch Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (beide SPD). Allerdings wird intern beraten, was getan werde könne: Kalayci hatte am Sonntag gemahnt, den Corona-Maßnahmen zu folgen und den Infektionsschutz streng einzuhalten. Der CDU-Wissenschaftsexperte Adrian Grasse hatte am Montagmorgen im Abgeordnetenhaus gesagt, es sei „unwahrscheinlich, dass es an den anderen Berliner Krankenhäusern keine Fälle der Mutation geben soll. Naheliegender ist, dass sie nicht festgestellt wurden. Warum wurde bisher nicht auf die Mutation getestet?“
Tatsächlich haben bislang nur die Vivantes-Kliniken und die Charité viele ihrer positiven Corona-Proben auf die britische, aber auch die südafrikanische Mutation hin getestet. Dies wird seit fast zwei Wochen im „Labor Berlin“ getan, das die Universitätsklinik und Vivantes gemeinsam betreiben. Kalayci hatte nach dem Reinickendorfer Ausbruch gesagt: „Alle Berliner Labore werden mitmachen und gezielt nach Virusmutationen suchen.“ Ein führender Mediziner erklärte, die Proben auf die Mutationen zu testen, sei „kein Hexenwerk“, das könnten letztlich alle Labore – nur es kostet eben Zeit und 200 Euro pro Test. Der Senat will die Kosten für die Kliniken übernehmen.
Was planen die Kliniken?
Die Krankenhaus-Leiter fordern seit Wochen ausreichend Impfstoff, den der Bund aber nicht liefert. Etwa 400 Covid-19-Patienten werden allein in den Vivantes-Häusern versorgt – die meisten der stationären Corona-Fälle in Berlin. Noch sind weniger als 2300 Vivantes-Mitarbeiter geimpft, rund 13 Prozent der Belegschaft. Nun gibt es die Sorge, dass sich auch Polizisten infiziert haben könnten.
Die Gewerkschaft der Polizei teilte am Montag mit, die Abschnittsleiter versuchten, sich einen „detaillierten Überblick zu den rund 70 am Klinikum eingesetzten Kolleginnen und Kollegen“ zu verschaffen. Das Humboldt-Krankenhaus war schon am Wochenende abgesperrt worden. Zahlreiche Ärzte und Pflegekräfte mussten es aber betreten und verlassen können. Zudem versammelten sich Angehörige von Patienten vor der Klinik.
Was weiß man über die Mutationen – wie gefährlich sind sie?
Die Mutation B117 wurde zuerst in England nachgewiesen. Sie gilt als deutlich ansteckender als die ursprünglichen Varianten. In England hat sie sich, darauf weisen Datenerhebungen hin, vor allem zunächst unter Schulkindern ausgebreitet und ist dann in die höheren Altersstufen gewandert. Ähnliches scheint derzeit in Portugal, wo Schulen bis vor kurzem geöffnet waren, zu passieren. Es gibt auch erste Hinweise darauf, dass B117 häufiger tödliche Verläufe auslöst. Soweit es dazu bislang Daten gibt, werden die bislang verfügbaren Impfstoffe hier aber unverändert gut wirken.
Die zuerst in Südafrika aufgetauchte Variante „501Y.V2“ scheint ebenfalls stärker ansteckend zu sein, wenn auch möglicherweise nicht in dem Ausmaß wie B117. Vor allem aber sind bei ihr Mutationen nachgewiesen, die es der Mutante ermöglichen könnten, auch Geimpfte und Personen mit einer durch eine Infektion erworbenen Immunität effektiv zu infizieren. Auch hier sind die wissenschaftlichen Daten aber alles andere als klar.
Die im brasilianischen Manaus derzeit grassierende Mutante hat eine Mutation namens E484K mit 501Y.V2 gemein. Sie hat nachgewiesenermaßen viele Menschen, die schon eine Covid-19-Infektion durchgemacht hatten, infiziert und auch schwer erkranken lassen. Die Zahlen weisen auch hier darauf hin, dass die Variante gefährlicher ist als die ursprüngliche.
Auch unerwünschte Effekte der Erstinfektion, die zu einem Überschießen der Immunreaktion führen könnten, spielen hier möglicherweise zum Teil eine Rolle. Auch hier ist aber nicht geklärt, inwiefern die gängigen Impfstoffe gegen sie trotzdem wirken könnten. Ein Grund dafür ist, dass eine Impfung, beziehungsweise das Programm aus zwei Impfdosen pro Person, normalerweise eine robustere Immunität hervorruft als eine durchgemachte Infektion.
Wie sollte reagiert werden – und drohen weitere Mutationen?
Obwohl – schlicht weil die Varianten erst seit kurzem bekannt sind – bei fast allen wichtigen Fragen die letztgültigen Antworten noch fehlen, halten es Fachleute wie etwa die deutsche Virologin Isabella Eckerle für gerechtfertigt, nach dem Vorsorgeprinzip zu handeln. Das würde bedeuten, von einer erhöhten Gefahr auszugehen und Anstrengungen zur Eindämmung zu verstärken.
Die gilt vor allem für die neuen Varianten, aber auch allgemein. Denn die Infiziertenzahlen auch insgesamt zu reduzieren, macht es auch Varianten schwerer. Diese entstehen durch Mutationen. Das sind spontane Veränderungen im Erbgut, die sich auf die Eigenschaften des Virus auswirken können. In den allermeisten Fällen ist eine Anhäufung mehrere solcher Erbgutveränderungen notwendig. Das zeigen auch die bekannten Beispiele der problematischen Mutanten. Je mehr Infizierte es also gibt und je mehr von ihnen andere anstecken, desto mehr können sich nicht nur die bekannten Mutanten verbreiten.
Ein großer „Pool“ von Millionen Infizierten trägt auch rein statistisch dazu bei, dass mehr neue Mutationen entstehen und sich in letztlich problematischer Weise anhäufen können. Tausende Mutanten sind bereits bekannt, täglich wächst die Datenbank, weitere entstehen mit Sicherheit derzeit. Auch die gefährlichste Mutante ist aber für den Verlauf der Epidemie völlig unbedeutend, wenn man ihre Verbreitung verhindert. Entwickelt sie sich in einer infizierten Person, diese infiziert aber niemand anderen, dann verschwindet sie wieder – möglicherweise ohne dass sie je identifiziert wurde.
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Um gezielt, also etwa mit intensivierter Kontaktnachverfolgung und Quarantäne, gegen Mutanten vorgehen zu können, muss flächendeckend und repräsentativ nach ihnen gesucht werden. Das ist einerseits möglich mit Hilfe spezieller, aber nur auf einzelne Mutanten anspringender Tests. Vor allem aber muss die Methode der Gensequenzierung angewandt werden, die jegliche, auch komplett neue Mutanten, identifiziert.
Die Impfstoffe auch an neue Varianten anzupassen, ist grundsätzlich möglich und wird notwendig sein. Fachleute halten es jedoch für zunehmend wahrscheinlich, dass die evolutionären Anpassungen des Virus weitergehen werden, also auch mehrfach neue Impfstoffe nötig sein könnten. Diese Gefahr sinkt ebenfalls mit dem Grad der Einhaltung von Infektionsschutzvorkehrungen.
Das würde aber etwa bedeuten, dass auch Geimpfte und Personen, die eine Infektion überstanden haben, auf absehbare Zeit versuchen müssten, über Social Distancing, Maskentragen, Nutzung von effektiven Lüftungsanlagen und dergleichen Übertragungen weniger wahrscheinlich zu machen.
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