Entwicklungsminister Gerd Müller: Die Methode Müller
Mitfühlend, leicht zu begeistern und als Politiker ein Sponti: Der Entwicklungsminister macht es den Praktikern nicht leicht. Armut empört ihn. Und: Er will Afrikaner daran hindern, den Weg nach Europa anzutreten. Eine Analyse.
Gerd Müller (CSU) ist eine ehrliche Haut, mitfühlend und im Umgang unkompliziert. Und er ist schnell zu begeistern. Die Ergebnisse dieser sympathischen Eigenschaften des Entwicklungsministers lösen in seinem Ministerium und bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) oftmals hektische Betriebsamkeit aus. Erst vor wenigen Tagen hat er mit einem „Marshallplan für Afrika“ von sich reden gemacht. Müller verbindet damit zwei Grundmotive seiner Regierungszeit: sein Herz für die Armen und seinen Versuch, möglichst viele Afrikaner daran zu hindern, ihren Kontinent in Richtung Europa zu verlassen.
Seit seinen ersten Wochen als Minister will Müller mit viel Geld „Fluchtursachen bekämpfen“. Seine „Sonderinitiative Flüchtlinge“ ist mit drei Milliarden Euro ausgestattet. Im Jahr 2016 waren demnach 580 Millionen Euro zur „Bekämpfung der Fluchtursachen“ vorgesehen. Die Kooperationspartner des Ministeriums schreiben deshalb seit 2014 Anträge, die ihre Projekte unter einer Überschrift zusammenfassen, die neuerdings eben „Fluchtursachen bekämpfen“ heißt.
In einem Interview mit dem Tagesspiegel Anfang 2016 sagte Müller, Hunger sei eine der Hauptursachen für Flucht. Wörtlich sagte er: „Wer über Jahre im Dreck leben muss und nicht einmal genügend Lebensmittel erhält, weil die Rationen gekürzt werden, der hat keinen Grund zu bleiben.“ Dieses Motiv griff er in seiner Haushaltsrede vor wenigen Tagen wieder auf: „Dass wir den Flüchtlingen die Nahrungsrationen streichen, so etwas darf nie wieder passieren.“
Tatsächlich hatte Deutschland seine Zahlungen an das Welternährungsprogramm (WFP) 2016 deutlich aufgestockt. Allein für die syrischen Flüchtlinge in der Türkei, dem Libanon und Jordanien gab Deutschland 70 Millionen Euro zusätzlich aus. Und nach seinem Besuch im immer noch größten Flüchtlingslager der Welt in Dadaab im Nordosten Kenias, wo mehr als 350 000 vor allem somalische Flüchtlinge leben, versprach Müller im Frühjahr weitere elf Millionen Euro für die Nahrungsmittelhilfe in Dadaab. In diesem Monat sind in Dadaab und dem anderen großen Flüchtlingslager in Kenia, in Kakuma im Nordwesten, die Nahrungsmittelrationen trotzdem wieder halbiert worden.
"Das reicht für eine Mahlzeit - muss aber einen Monat reichen"
Ein junger südsudanesischer Flüchtling in Kakuma hält eine Tüte mit einer Handvoll Mehl in der Hand und sagt: „Das reicht gerade mal für eine Mahlzeit. Es muss aber den ganzen Monat reichen.“ Bis mindestens März wird es bei den Mini-Portionen Mehl, Öl und Bohnen bleiben. Viel mehr hat das WFP in Kakuma gerade nicht zu bieten. Zwar bekommen die Flüchtlinge zusätzlich noch einen Gutschein, um in ausgewählten Läden einkaufen zu können. Doch die Summe darauf sei so klein, dass sie auch damit nicht allzu weit kämen, klagt eine alleinstehende Somalierin. Müllers Appell an andere Geberländer, ihre Zahlungen an das WFP zu erhöhen, hat diese nicht weiter beeindruckt. Und nun passiert in den großen afrikanischen Flüchtlingslagern genau das, wovor Müller doch so leidenschaftlich gewarnt hat: Die Flüchtlinge haben nicht mehr genug zu essen, nichts zu verlieren, und manche machen sich vielleicht bald auf den Weg durch die Sahara und in Richtung Europa. Andere sind so arm, dass sie keine Wahl haben: Sie werden in Kakuma bleiben, ohne große Aussicht jemals aus diesem Wüstenlandstrich in der kenianischen Provinz herauszukommen.
Der Entwicklungsminister ist viel in Afrika gereist. Bei seinem Besuch im Südsudan war er ehrlich erschrocken über die Verhältnisse, in denen die Binnenvertriebenen dort leben mussten – und immer noch müssen. Im März 2014 begleitete er seinen französischen Amtskollegen Pascal Canfin und den damaligen EU-Entwicklungskommissar Andris Piebalgs spontan auf einer Reise in die Zentralafrikanische Republik (ZAR). Wieder war Müller ziemlich beeindruckt und verkündete, dass da jetzt mal etwas geschehen müsse, und dass Deutschland sich daran auf jeden Fall beteiligen werde.
In Berlin und bei der GIZ fürchten sie sich
In Berlin haben sie sich im Auswärtigen Amt, in seinem eigenen Haus und bei der GIZ gleich zu fürchten angefangen. Denn 1997 hat Deutschland seine Botschaft in der Hauptstadt Bangui geschlossen. Es gibt nur noch ein Verbindungsbüro, das der Botschaft in Jaundé im Nachbarland Kamerun zugeordnet ist. Peter Weinstabel, der früher einmal für die GIZ in Bangui war, ist nun der letzte Vertreter der deutschen Diplomatie in Bangui. Die GIZ hat die Zentralafrikanische Republik übrigens ebenfalls verlassen und koordiniert ihre Beratungsprojekte von Kamerun aus. Weinstabel ist zudem Honorarkonsul von Österreich. In Bangui ist er bestens vernetzt. Er kennt jeden, der in der Stadt irgendetwas zu sagen hat, und er hat es der Welthungerhilfe wenige Monate später dann auch ermöglicht, in Bangui wieder neu anzufangen.
Wenn Georg Dörken, der den Aufbau des neuen Länderbüros der Welthungerhilfe in Bangui bis vor wenigen Wochen geleitet hat, von den Anfängen erzählt, ist leicht zu verstehen, warum die deutsche Präsenz im Land so überschaubar ist. Dörken hat zuvor mehr als 20 Jahre lang in der benachbarten Demokratischen Republik Kongo gearbeitet. Im Ostkongo ist es auch schwierig zu arbeiten. Die Navigation zwischen Dutzenden verfeindeten Milizen ist ein heikle Aufgabe. Dörken hat gelernt, damit fertig zu werden. In Bangui dagegen „kann jederzeit alles passieren“, berichtet er. Absprachen mit Milizen, die im Kongo zumindest die Sicherheit der eigenen Mitarbeiter garantiert haben, „werden hier oft nicht eingehalten“. Das sei „eigentlich der größte Unterschied zum Kongo“. Ein zweiter großer Unterschied zu anderen Ländern ist das Ausmaß der Armut im Land. Wylmyne Dumorne ist die Finanzchefin des Welthungerhilfe-Büros. Sie stammt aus Haiti, es ist ihre erste Auslandsstation, und sie war „überrascht, dass es den Leuten noch schlechter geht als in Haiti“.
Ein umtriebiger Diplomat und Honorarkonsul
Weinstabel jedenfalls brachte Dörken mit all den relevanten Politikern zusammen, die seit Beginn der jüngsten Krise im Land 2013 für den Wiederaufbau zuständig sind. Im Landwirtschaftsministerium in Bangui entstanden zwei Ideen, die dem vor fast genau einem Jahr gewählten Präsidenten Faustin-Archange Touadéra besonders am Herzen liegen: die Umsiedlung von einigen hundert Gärtnern, die derzeit auf dem Gelände des Internationalen Flughafens von Bangui M’Poco ihr Gemüse anbauen, und der Wiederaufbau des Agrarforschungsinstituts Icra. Die Welthungerhilfe hat die Umsetzung im Auftrag der GIZ übernommen. Wegen der angespannten Sicherheitslage lebt die bunte Truppe der Ex-Pats, der ausländischen Mitarbeiter, die die Projekte anschieben sollen, immer noch über dem Projektbüro in einer unfreiwilligen Wohngemeinschaft. Außerhalb von Bangui gibt es nur ein Saatgutprojekt von Icra, wo die Welthungerhilfe bereits arbeiten kann. Da die Regierung nur einen kleinen Streifen des Landes unter Kontrolle hat und in anderen Landesteilen weiterhin gekämpft wird, dürfte es dabei vorläufig auch bleiben.
Die Gärtner müssen weg
Das Gärtnerprojekt ist besonders dringlich. Denn um den Status als internationaler Flughafen zu behalten, muss die Regierung die Gärtner dringend umsiedeln. Sie muss auch ein Flüchtlingslager, in dem immer noch rund 20.000 intern vertriebene Menschen seit Dezember 2013 in einem Abstand von 50 bis 500 Metern vom Flugfeld entfernt hausen, dringend umsiedeln. Aber beides hat sich als schwierig erwiesen. Der Zaun, der den Flughafen von den Siedlungen trennen soll, ist schon lange angekündigt. „Aber bevor er wirklich gebaut wird, sehen die Gärtner keinen richtigen Grund, auf die Ausweichfläche umzuziehen“, sagt Christophe Bouvier, der das Projekt für die Welthungerhilfe betreut.
Ganz praktisch ist die Umsetzung von gelegentlich spontanen Ministerwünschen nicht immer einfach.
Die Autorin war auf Einladung der Welthungerhilfe in Bangui/Zentralafrikanische Republik und auf Einladung der Aktion Deutschland hilft in Kakuma/Kenia.