Neue Heimat für 600.000 gesucht: Kenia will Flüchtlingslager auflösen
Für Kenias Regierung sind Flüchtlingslager Brutstätten des Terrors. 600.000 Flüchtlinge aus Somalia, Sudan, Äthiopien und Eritrea sollen das Land daher verlassen.
Der deutsche Entwicklungsminister wird auf den meisten seiner Reisen mit Armut konfrontiert. Verhältnisse wie in Dadaab, dem weltweit größten Flüchtlingslager in Kenia, bekommt aber auch Gerd Müller (CSU) selten zu sehen. „Es ist unbeschreiblich, unter welchen Umständen dort Hunderttausende leben müssen“, sagte der Minister kürzlich bei einer Podiumsdiskussion im Tagesspiegel.
Kilometerweit reihen sich im Osten Kenias Zelte und karge Hütten aneinander. Staubpisten teilen das Lager in einzelne Sektionen. Einige davon sind von Sträuchern umgeben, andere stehen schutzlos im trockenen Sand. Auch außerhalb des Lagers gibt es kaum Vegetation. Dadaab ist eine Großstadt im Niemandsland. Etwa 350.000 Menschen haben hier Zuflucht gefunden. Ein großer Teil von ihnen stammt aus dem benachbarten Somalia, das seit mehr als 25 Jahren als gescheiterter Staat gilt und seit Jahren von der islamistischen Terrorgruppe al Schabaab mit Krieg überzogen wird.
Erst Ende März hatte Müller Dadaab besucht. Die UN und andere Organisationen versorgen das Lager mit dem Nötigsten. Auch Deutschland hilft. Viele Flüchtlinge haben sich längst auf Dauer eingerichtet, Schulen, Geschäfte und Viehmärkte sind entstanden, Gesundheitsstationen und sogar Kinos und Kneipen. Manch junger Erwachsener ist in Dadaab geboren und hat sein gesamtes Leben dort verbracht, denn gegründet wurde das Camp schon 1991. Doch nun droht die kenianische Regierung damit, es aufzulösen, ebenso wie das Lager Kakuma, in dem auch Flüchtlinge aus Bürgerkriegsländern wie Somalia und Sudan leben und aus Krisenstaaten wie Äthiopien und Eritrea. Insgesamt rund 600.000 Menschen sollen Kenia verlassen.
Islamisten aus Somalia rekrutieren Terrorhelfer
Die Regierung begründet dies mit der Sicherheitslage im Land. Sie wirft vor allem al Schabaab vor, in den Flüchtlingslagern Rekruten anzuwerben, die dann Anschläge in Kenia verüben. Erst im April hatte ein Kommando der Miliz eine kenianische Universität angegriffen und dort fast 150 Menschen getötet. Auch der sogenannte „Islamische Staat“ (IS) versucht offenbar, in Kenia Fuß zu fassen. Vor wenigen Tagen hoben Sicherheitskräfte eine Terrorzelle mit Verbindungen zum IS aus, die ein Attentat mit Milzbrand-Erregern geplant haben soll.
Hilfsorganisationen und Menschenrechtler leugnen nicht, dass es in den Flüchtlingslagern Probleme gibt. „Doch die kenianische Regierung sollte jene Menschen angemessen strafrechtlich verfolgen, die Verbrechen begangen haben, und die Bemühungen um den Schutz von Flüchtlingen nach internationalen Richtlinien aufrechterhalten“, sagte beispielsweise ein Vertreter der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch.
Präsident Uhuru Kenyatta hatte schon mehrmals mit der Auflösung der Lager gedroht. Diesmal scheint er es ernst zu meinen. Die Zeitung „The Standard“ in Nairobi berichtete am Samstag, die Regierung habe die staatliche Flüchtlingsbehörde aufgelöst und arbeite an einem Abwicklungsplan für Dadaab und Kakuma. Sie will offenbar erreichen, dass die Lager nach Somalia verlegt werden. Doch ohne militärische Unterstützung wären die UN kaum in der Lage, die Flüchtlinge dort zu schützen.
Flucht nach Europa nicht ausgeschlossen
Entwicklungsminister Müller sieht derzeit ebenfalls keine Alternative zu den Großlagern in Kenia. Im Gegenteil: „Wir müssen die Lebensbedingungen dort so verbessern, dass die Menschen bleiben und sich nicht auf den Weg nach Europa machen“, hatte er bei der Podiumsdiskussion im Tagesspiegel zur Flüchtlingskrise gesagt. Mit der Ankündigung der kenianischen Regierung, die Lager zu schließen, könnten sich nun doch viele der Flüchtlinge nach Europa wenden.
Eine Massenflucht ist aber wohl auszuschließen, denn nur wenige der Bewohner Dadaabs oder Kakumas verfügen über genug Geld, um Schlepper zu bezahlen, die sie zunächst nach Libyen oder Ägypten bringen und dann per Boot nach Italien. Die Überfahrt bleibt zudem gefährlich. Schon fast 1000 Menschen sind in diesem Jahr zwischen der nordafrikanischen Küste und Italien im Mittelmeer ertrunken. Die meisten waren Afrikaner.