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Viele Kinder in Afghanistan sind lebensgefährlich unterernährt und müssen in Kliniken versorgt werden.
© Hector Retamal/AFP

Not in Afghanistan: „Die meisten Menschen haben nicht genug zu essen“

Wie leben die Menschen nach der Machtübernahme der Taliben? Mohammad Rasool von der Hilfsorganisation Handicap International über die Not in Afghanistan. Ein Interview.

Mohammad Rasool ist bei Handicap International als Landesdirektor für Afghanistan zuständig. Die Hilfsorganisation ist in 60 Ländern aktiv.

Herr Rasool, wer in Konfliktregionen den Menschen helfen will, der braucht Schutz. Wie ist es um die Sicherheitslage in Afghanistan bestellt?
Im Großen und Ganzen hat sich die Lage seit der Machtübernahme der Taliban verbessert. Aber in einigen Regionen und Städten wie Kundus, Kabul oder Kandahar kommt es in jüngster Zeit immer wieder zu Anschlägen. Womöglich ist das ein Hinweis darauf, dass die Zahl der Attacken vor allem von Kämpfern des „Islamischen Staats“ steigen wird.

Welche Folgen hat das für Ihre Arbeit?
Für uns ist sehr kompliziert. Wir leben in Furcht und wissen nicht, was auf uns zukommen wird. Vor allem können wir schwer einschätzen, wie groß die Bedrohung durch den IS tatsächlich ist. Wir versuchen auf jeden Fall, unsere Teams so gut wie möglich zu schützen.

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Wie zum Beispiel?
Wir meiden Gegenden, in denen gekämpft wird und die dadurch mit explosivem Material gewissermaßen verseucht sind. Und unsere Teams werden besonders geschult, bevor sie ihnen unbekannte Dörfer oder Gegenden betreten. Auch wenn die Kriegshandlungen auf den Schlachtfeldern nun erst einmal vorbei sind, ist die Gefahr von Anschlägen groß.

Erst vor drei Tagen gab es eine Explosion in Kabul, mehrere Menschen wurden verletzt. Und denken Sie an den schlimmen Angriff auf eine Moschee Mitte Oktober – mehr als 150 Menschen kamen dabei ums Leben. Auch Angehörige unserer Mitarbeiter waren unter den Toten.

Oft bleibt den Familien nichts anderes übrig, als ihr Hab und Gut zu verkaufen.
Oft bleibt den Familien nichts anderes übrig, als ihr Hab und Gut zu verkaufen.
© Julian Frank/WFP/dpa

Wie prekär ist die humanitäre Lage?
Sie ist dramatisch. Die meisten Menschen haben nicht genug zu essen, ihnen mangelt es an allem Lebensnotwendigem. Und sie sind als Opfer des Konflikts oft traumatisiert. Hinzu kommt eine verheerende Wirtschaftskrise. Auf den Märkten sieht man viele Afghanen, vor allem Frauen und Kinder, die betteln.

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Vor wenigen Tagen traf ich eine Frau, die weinte, weil sie nicht mehr weiterwusste. Sie war mal Lehrerin und putzt heute Schuhe auf dem Basar. Doch das reicht bei Weitem nicht aus, um ihre Familie über Wasser zu halten. Tausende verkaufen alles, was sie noch haben, zum Beispiel ihre Möbel oder Haushaltsgeräte. Erschreckend ist auch, dass immer mehr minderjährige Mädchen verheiratet werden. Die Not zwingt die Eltern, das zu tun.

Immer wieder ist von einer Hungerkrise die Rede. Wie äußert die sich?
Dieses Jahr herrschte eine extreme Dürre in Afghanistan. Es gab so gut wie keinen Regen. Die Bauern konnten weder ihre Felder bestellen noch Nennenswertes ernten. Alles war vertrocknet. Hinzu kam, dass Krieg herrschte. Es gab immer wieder Kämpfe und Bombardements. Dadurch war es für die Farmer auch fast unmöglich, ihre magere Ernte zu verkaufen. Das alles hat die Hungerkrise verschärft.

Schon Kinder lernen, wie sich sich von Sprengfallen und Landminen fernhalten müssen.
Schon Kinder lernen, wie sich sich von Sprengfallen und Landminen fernhalten müssen.
© Javed Tanveer/AFP

Hat dies auch dazu geführt, dass Bauern ihre Heimat verlassen und woanders nach einem Auskommen suchen?
Ja, das ist aber eine Entwicklung, die vor einigen Jahren begonnen hat. Die Zahl der intern Vertriebenen hat seitdem stark zugenommen. Allein in diesem Jahr sind Hunderttausende zu Flüchtlingen im eigenen Land geworden.

Afghanistan ist eines der Länder, das am meisten unter Kriegsüberresten wie Blindgängern und Landminen leiden. Wie gefährlich ist der Alltag für die Menschen?

Das Land ist schon seit Jahrzehnten übersät mit explosiven Kriegsüberresten. Die betroffenen 263 Distrikte sind extrem kontaminiert. Die Menschen können viele dieser Gegenden gar nicht betreten, es ist einfach lebensgefährlich. In Afghanistan werden täglich Menschen durch Sprengsätze und Munitionsreste verletzt oder gar getötet.

Allein zwischen April und September dieses Jahres starben 275 Frauen und 339 Männer durch explodierende Kampfmittel. In den vergangenen Jahren waren mehr als 40.000 Opfer zu beklagen. Erst jüngst hat ein Siebenjähriger hier in Kandahar seine Beine verloren.

Mohammad Rasool ist bei Handicap International als Landesdirektor für Afghanistan zuständig.
Mohammad Rasool ist bei Handicap International als Landesdirektor für Afghanistan zuständig.
© Privat/Handicap International

Ihre Organisation versorgt die Opfer solcher Blindgänger und Minen. Wie sieht die Arbeit konkret aus?
Handicap International ist in fünf afghanischen Provinzen mit verschiedenen Programmen tätig. Dazu gehört zum Beispiel, dass wir die Opfer mit Prothesen und Rollstühlen versorgen, ihnen Reha anbieten und sie psychologisch unterstützen. Ganz wichtig ist auch, dass wir die Menschen über die Gefahren aufklären, die von Minen und Blindgänger ausgehen. Und nicht zuletzt setzen wir uns dafür ein, dass Menschen mit Behinderungen in die Gesellschaft integriert werden.

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