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Kein Wasser. Millionen Menschen leiden unter der Dürre wie hier im Irak. Hitze und ausbleibende Niederschläge zerstören die Ernten der Bauern.
© Ahmad al Rubaye/AFP

Klima und weltweite Hungersnöte: „Die Klimakrise wirkt wie ein Brandbeschleuniger“

Verschärft der Klimawandel den weltweiten Hunger? Martin Frick vom Welternährungsprogramm über Extremwetter, vernichtete Existenzen und Flüchtlinge.

Martin Frick leitet seit Kurzem das Deutschland-Büro des Welternährungsprogramms (WFP). Zuvor war er unter anderem Direktor des UN-Klimareferats.

Herr Frick, wie viel Klimakrise steckt in der weltweiten Hungerkrise?
Der Anteil wird immer größer. Klimawandel ist so etwas wie ein Brandbeschleuniger. Wir sehen einen rasanten Anstieg von Instabilität. Das betrifft vor allem jene Länder, die von der Klimakrise unmittelbar betroffen sind. Die Zahl der wetterbedingten Katastrophen hat sich in den vergangenen 50 Jahren verfünffacht. All das führt zu einer dramatisch steigenden Zahl der Hungernden.

Wer ist besonders betroffen und wie wirkt sich das aus?
Besonders unfair ist, dass diejenigen am härtesten betroffen sind, die am wenigsten zum Klimawandel beigetragen haben, zum Beispiel afrikanische Staaten. Hungerkrisen sind vor allem Nahrungsmittelkrisen. 80 Prozent der hungernden Menschen sind Kleinbäuerinnen und Kleinbauern, die sich selbst versorgen. Sie haben in der Regel keinen finanziellen Puffer, um eine schlechte Ernte überstehen zu können. Deshalb ist es so wichtig, nicht Krisen zu managen, sondern Risiken.

Das heißt?
Bevölkerungen müssen auf Krisen vorbereitet und während der Krisen begleitet werden. Ein extremes Wettereignis darf nicht gleich dazu führen, dass Existenzen vernichtet werden.

Martin Frick leitet seit Kurzem das Deutschland-Büro des Welternährungsprogramms und war zuvor leitender Direktor des UN-Klimareferats.
Martin Frick leitet seit Kurzem das Deutschland-Büro des Welternährungsprogramms und war zuvor leitender Direktor des UN-Klimareferats.
© WFP

Aber genau das passiert jeden Tag: Orkane, Dürren, Überflutungen führen zu Ernteausfällen und wirtschaftlicher Not.
Das stimmt! Jeder Kleinbauer und jede Kleinbäuerin lebt von Saison zu Saison. Wenn es eine Missernte gibt, sind die Menschen zumeist am Ende. Darauf antworten wir mit humanitärer Hilfe. Nur können wir Menschen nicht in einer beliebigen Zahl mit dem Notdürftigsten versorgen. Deshalb gilt es, die Menschen in die Lage zu versetzen, mit Katastrophen umzugehen. Das wird vom Welternährungsprogramm vielerorts umgesetzt, muss aber viel stärker bei der Finanzierung von unseren Programmen eingepreist werden. Eines darf dabei jedoch auf keinen Fall aus den Augen verloren werden.

Und zwar?
Die Emissionen müssen dringend und umfassend heruntergefahren werden. Wir können nicht immer mehr Brandherde löschen und zugleich mehr Feuer legen.

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Die Menschen leiden jedoch jetzt. Was muss geschehen?
An lebensrettender humanitärer Hilfe führt leider oft kein Weg vorbei. Wir versuchen aber weiterzudenken. Schulmahlzeiten sind ein sehr geeignetes Mittel, um ganze Familien zu stabilisieren. Damit wird unter anderem sichergestellt, dass die Kinder zur Schule gehen und wenigstens einmal am Tag ein Essen bekommen, dass sie lebens- und leistungsfähig hält. Generell müssen wir versuchen, den Menschen nach Dürren oder Fluten wieder auf die Beine zu helfen. Humanitäre Soforthilfe, also das Verteilen von Nahrungsmitteln, kann nur ein erster Schritt sein.

Und der nächste Schritt?
Die Menschen müssen rasch wieder in die Lage versetzt werden, sich selbst mit Nahrung zu versorgen. Zudem könnten kleine Geldbeträge helfen, damit Familien Vorsorge treffen können, bevor Krisen ihnen alles nehmen.

Zu viel Wasser. Extremwetter mit Überflutungen nehmen den Menschen ihre Lebensgrundlage.
Zu viel Wasser. Extremwetter mit Überflutungen nehmen den Menschen ihre Lebensgrundlage.
© Sayed Asif Mahmud/WFP

Werden Klimawandel und damit einhergehende Hungersnöte die Flüchtlingszahlen in die Höhe treiben?
Fakt ist: Migrationsbewegungen finden in erster Linie innerhalb der Länder statt. Die Binnenvertriebenen machen sich oft in die Städte auf, hoffen dort auf ein besseres Leben. Zwanzig Prozent der Weltbevölkerung leben in Regionen, die besonders unter dem Klimawandel leiden. Aber aus diesen Ländern stammen 90 Prozent der Flüchtlinge weltweit. Das ist ein Risikobeschleuniger, der auch schwere Konflikte hervorruft.

Worauf muss sich die Welt einstellen bei immer mehr verzweifelten Menschen?
Noch einmal: Wir müssen aggressiv die Emissionen herunterfahren, sonst ist das Problem in absehbarer Zeit nicht mehr zu managen. Konkret geht es jetzt darum, die Widerstandsfähigkeit der vom Klimawandel Betroffenen zu stärken, sie in die Lage zu versetzen, mit Krisen umzugehen. Wir dürfen uns von Wetterextremen nicht mehr überraschen lassen, sondern müssen auf sie vorbereitet sein.

Die Zahl der Hungernden nimmt wieder deutlich zu. Heute haben mehr als 800 Millionen Menschen zu wenig zum Essen. Wird sich diese Entwicklung fortsetzen, wenn es der Menschheit nicht gelingt, den Klimawandel in den Griff zu bekommen?
Allein im vergangenen Jahr sind mehr als 160 Millionen Hungernde hinzugekommen. Das hat zwar viel mit der Corona-Pandemie zu tun, die ja immer noch wütet. Aber ganz klar ist eben auch, dass es eine Verbindung zwischen Erderwärmung und Hunger gibt. Wir sind jetzt bei 1,2 Grad. Wenn es zwei Grad werden, rechnet das Welternährungsprogramm mit weiteren 190 Millionen Hungernden. Sollte die Erderwärmung sogar um vier Grad steigen, könnten es unfassbare 1,8 Milliarden Menschen werden. Fest steht: Jedes Zehntel Grad mehr führt zu schrecklichem Leid.

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