zum Hauptinhalt
Zahlreiche Rohingya-Flüchtling warten im Flüchtlingslager Balukhali in Bangladesch auf ihre Registrierung.
© Richard Tsong-Taatarii/ZUMA Wire/dpa

Zahlen zu Asyl: Die meisten Flüchtlinge kommen nicht nach Deutschland

Der Aurora Humanitarian index untersucht zum zweiten Mal die Einstellung zu Asylsuchenden. Die Ergebnisse sind zum teil verblüffend.

Spätestens seit 2015 stellen die Folgen der Migration eine große Herausforderung für Politik und Gesellschaft auch in Deutschland dar. Eine Ursache für die aktuellen Flüchtlingsströme ist der Bürgerkrieg in Syrien. Man sollte annehmen, dass solche Herausforderungen wie die plötzliche Zuwanderung nach Deutschland 2015 die Einstellung der Menschen zum Thema verändert – besondere Situationen erfordern besondere Maßnahmen. Wie aber ist es aktuell um die Bereitschaft bestellt, in außergewöhnlichen Zeiten humanitäre Hilfe zu leisten? Können solche Extremsituationen dazu beitragen, mehr Hilfe zu mobilisieren und die üblichen ideologischen Bedenken beiseite zu stellen?

Das Überleben des armenischen Volkes beruht zum Teil darauf, dass vor mehr als 100 Jahren andere Menschen bereit waren, den verfolgten Armeniern zu helfen, Flüchtlinge aufzunehmen. Vor diesem Hintergrund erklärt sich, dass die Aurora Humanitarian Initiative in diesem Jahr zum zweiten Mal den Aurora Humanitarian Index veröffentlicht hat, zu dem im Frühjahr 2016 jeweils 1000 Bürger in Frankreich, Deutschland, Großbritannien und den Vereinigten Staaten sowie jeweils 300 Personen in Iran und Libanon befragt wurden. Im Frühjahr 2017 wurde der Kreis der Befragten auf zwölf Länder ausgeweitet, hinzu kamen jeweils 300 befragte Personen in Argentinien, Armenien, Japan, Kenia, Russland und der Türkei. Die Studie wurde von dem Soziologieprofessor und Migrationsforscher Dirk Jacobs (Université Libre de Bruxelles) geleitet. Die Stichprobe von jeweils 300 Befragten pro Land ist leider recht dünn, um als repräsentativ zu gelten, diese Einschränkung muss man im Folgenden machen.

Die meisten Flüchtlinge nimmt Pakistan an

Die Ergebnisse sind zum Teil verblüffend. So haben auf die Frage, welche Länder die höchste Anzahl von Flüchtlingen in den vergangenen zehn Jahren aufgenommen haben, 47 Prozent aller Befragten Deutschland an die erste Stelle gesetzt, 27 Prozent Frankreich und 21 Prozent die USA, gefolgt von 17 Prozent für die Türkei. Nur fünf Prozent entschieden sich für Syriens Nachbarland Jordanien. Das spiegelt die gefühlte Lage. Die wirklichen Zahlen – basierend auf den Daten des Flüchtlingswerks der Vereinten Nationen UNHCR – sprechen eine ganz andere Sprache.

Wenn man die Zahlen betrachtet, so steht Pakistan mit rund 4,5 Millionen Asylsuchenden und Flüchtlingen an erster Stelle, gefolgt von Iran mit rund drei Millionen Flüchtlingen und der Türkei mit 2,7 Millionen Flüchtlingen. Platz vier belegt Deutschland mit 2,1 Millionen, gefolgt von Südafrika mit 1,6 Millionen. An sechster Stelle stehen die USA mit fast 1,4 Millionen, dicht gefolgt von Kenia mit fast 1,3 Millionen Flüchtlingen und Asylsuchenden. Danach kommen die beiden kleinen Länder Jordanien und Libanon mit jeweils über einer Million Flüchtlingen. Es ist also bei Weitem nicht so, dass etwa, wie von manchen gerne behauptet wird, „die ganze Welt“ zu uns nach Deutschland kommt.

Fragt man allgemein, welche die größten humanitären Herausforderungen der Menschheit sind, steht in acht Ländern der Terrorismus zwischen 60 und 80 Prozent an erster Stelle, im Libanon sogar mit 98 Prozent. Die erzwungene Migration wird nur mit 54 Prozent in Großbritannien, mit 53 Prozent im Libanon, 63 Prozent in der Türkei und 33 Prozent in Armenien als herausragendes Problem gesehen. Kriegsgefahr, Hunger, Klimawandel und vor allem im Iran die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich sind die drei Top-Themen, die die Menschen beschäftigen.

Viele Menschen misstrauen den sozialen Medien

Es muss also etwas getan werden, um die Menschen für das Thema Flucht zu sensibilisieren. Interessant ist dabei, wie sich die Menschen über das Thema Flüchtlinge informieren. Das Fernsehen war 2016 mit 67 Prozent die erste Quelle für Information in allen zwölf Ländern, 2017 bezogen nur noch 59 Prozent ihre Informationen von dort. Die Zeitung erzielte mit 26 Prozent in diesem Jahr Rang zwei, verlor aber neun Punkte gegenüber dem Vorjahr. Die sozialen Medien als Informationsquelle belegten 2017 Rang drei mit 23 Prozent vor dem Radio mit 20 Prozent. Alle diese Nutzerzahlen sind rückläufig. Zehn Prozent aller Befragten gaben an, in der vergangenen Woche überhaupt nichts zu dem Thema gehört zu haben, und der Anteil derer, die keine der üblichen Informationsquellen nutzen, ist von sechs Prozent auf 35 Prozent gestiegen, eine beunruhigende Entwicklung. 42 Prozent aller Befragten vertrauen den gedruckten Medien und dem Fernsehen, während die sozialen Medien nur bei 20 Prozent Glaubwürdigkeit genießen.

Auf die Frage, warum Asylsuchende ausgerechnet in ihr Land kämen, antworten immerhin 70 Prozent, dass sie wohl vor einem Konflikt oder Krieg geflohen seien. 53 gaben als Fluchtursachen an, dass die Geflüchteten um ihr Leben fürchteten, 52 Prozent meinten, die Flüchtlinge kämen, weil sie hier ein besseres Leben erhofften und 43 Prozent glauben, dass Flüchtlinge kommen, weil ihre Häuser zerstört worden sind. Mit etwas Abstand vermuten 29 Prozent, sie kämen, um hier Arbeit zu finden, und 28 Prozent glauben, sie kämen wegen des besseren Wohlfahrtsystems. Die Wiedererlangung der persönlichen Freiheit sehen 27 Prozent der Befragten als Fluchtgrund.

Die Situation wird von vielen Befragten also durchaus differenziert eingeschätzt, aber befragt, wie sie zu dem Schicksal der Flüchtlinge persönlich stehen, verschiebt sich das Bild. 57 Prozent der Interviewten sind von dem Schicksal der syrischen Geflüchteten erschüttert, aber 51 Prozent glauben auch, dass sie keinen bedeutenden Beitrag zur Verbesserung der Situation der Flüchtlinge leisten können. 39 Prozent wollen helfen, 31 Prozent denken, dass sie mit einer Geldspende dazu beitragen können, Flüchtlingen eine zweite Chance zu geben, und 31 Prozent geben an, dass die Flüchtlinge nicht das Problem ihres Landes seien. Weitere 31 Prozent verhalten sich indifferent und 39 Prozent sagen immerhin, dass diese Krise ihr Land sehr wohl etwas angehe. Über 60 Prozent der Befragten zeigen Mitgefühl mit den Geflüchteten und 68 Prozent bezeugen den Helfern Respekt, die in die Krisengebiete reisen, um zu helfen.

Arme Länder sind am ehesten bereit, Geflüchtete aufzunehmen

Aber dann sagen 42 Prozent der Befragten in den zwölf Ländern, dass ihr Land schon genug für Geflüchtete getan habe, nur 25 Prozent denken, dass es zu wenig war. Nur 37 Prozent würden Flüchtlinge in ihrem Land willkommen heißen, und 29 Prozent fühlen sich schlecht dabei, wenn sie daran denken, wie ihr Land Geflüchtete behandelt.

Schaut man sich die einzelnen Länder genauer an, ist Russland unter den ausgewählten Staaten mit 17 Prozent das Land, in dem die Flüchtlinge am wenigsten willkommen sind, während Kenia mit 87 Prozent Anführer in der Willkommenskultur ist, gefolgt von Armenien mit 80 Prozent. Deutschland liegt mit 47 Prozent einen Punkt hinter Iran auf Platz fünf. Im Libanon ist die Zustimmung zu mehr Flüchtlingen von 52 Prozent im vergangenen Jahr auf 36 Prozent zurückgegangen, aber dort stellen die Geflüchteten ja bereits ein Viertel der Bevölkerung. Insgesamt ist die Bereitschaft, Geflüchete willkommen zu heißen, in den sechs Ländern der Befragung von 2016 zurückgegangen. Die Bereitschaft, Geflüchtete willkommen zu heißen, ist umgekehrt proportional zum Bruttoinlandsprodukt: Länder mit niedrigem Bruttoinlandsprodukt sind am ehesten bereit, Geflüchtete aufzunehmen, eine Bereitschaft, die mit wachsendem Wohlstand sinkt.

90 Prozent der Libanesen, 83 Prozent der Türken und 63 Prozent der Kenianer sind der Meinung, dass ihr Land bereits zu viel Geflüchtete aufgenommen habe. Bei Deutschland ist diese negative Einstellung von 56 Prozent auf 52 Prozent geschrumpft.

Dass die Ankunft der Geflüchteten ihr Land voranbringt, glauben 34 Prozent, 22 Prozent fürchten negative Folgen. 41 Prozent denken, dass die Einbürgerung erleichtert werden sollte, was 32 Prozent ablehnen, die übrigen bleiben indifferent.

Was kann der Einzelne tun?

Dass ethnische Minderheiten eine Bedrohung für die lokale Kultur sind, glauben im Schnitt 44 Prozent, in Deutschland 45 Prozent, dass dies nicht so ist, sehen im Schnitt 36 Prozent – in Deutschland 35 Prozent. Dass durch die Geflüchteten auch neue Jobs entstehen, glauben 45 Prozent der Armenier, 44 Prozent der Kenianer und 32 Prozent der Deutschen – sie bilden damit die Spitzengruppe der Zuversicht unter den zwölf Nationen.

Was kann nun angesichts der schwierigen Lage der Einzelne tun? Nur neun Prozent glauben, dass sie persönlich etwas bewirken können, 32 Prozent setzen auf die internationale Gemeinschaft und auf die entwickelten Nationen, gleichzeitig sinkt aber der Glaube an die Effektivität der geleisteten Hilfe in der Syrien-Frage. Für am fähigsten halten noch 40 Prozent die Europäische Union, vier Punkte weniger als im Vorjahr, und die Vereinten Nationen mit 39 Prozent. Der Arabischen Liga schreiben nur noch 27 Prozent Kompetenz zu, dem Golf Kooperationsrat gar nur noch elf Prozent. Insgesamt ist das Vertrauen in die internationalen Organisationen rückläufig, 31 Prozent gegenüber 15 Prozent im Vorjahr denken, dass diese überhaupt nichts ausrichten können.

Junge Generation ist die Hoffnung

Fragt man danach, was die Menschen mobilisieren könnte, um anderen zu helfen, sagen immerhin 30 Prozent, sie wollten dazu beitragen, das Leben der Menschen zu verändern, 29 Prozent fühlen sich verantwortlich und 28 Prozent denken, dass sie sich glücklich fühlen, wenn sie spürbar helfen können, und ebenso viele Menschen würden sich über Berichte in den Medien freuen.

Zeichen der Hoffnung sehen die Forscher in der jungen Generation. 41 Prozent der Altersgruppe 18–34 denkt, dass Immigranten leichter eingebürgert werden sollten. 68 Prozent dieser Altersgruppe finden, dass syrische Geflüchtete Hilfe und 65 Prozent, dass sie eine zweite Chance verdienten. 43 Prozent der jüngeren Befragten glauben, dass die meisten Mitbürger in ihrem Land die Neuankömmlinge eher als Kriminelle sehen. 47 Prozent würden gerne persönlich helfen und 44 Prozent würden Flüchtlinge willkommen heißen. Rund 35 Prozent schämen sich, dass ihr Land nicht mehr für diese Menschen tut. Die jungen Leute sind auch eher bereit als die anderen Altersgruppen, in den nächsten zwölf Monaten aktiv zu werden. 53 Prozent würden einmal spenden, 37 Prozent würden regelmäßig spenden, und 47 Prozent wären bereit, an Fundraising-Aktivitäten teilzunehmen. Diese Aktionen in den Sozialen Medien würden 55 Prozent unterstützen, 42 Prozent würden dafür auch an Demonstrationen teilnehmen, um nur die wichtigsten Aktivitäten zu nennen.

Die Aurora Humanitarian Initiative will durch den von ihr verliehenen Preis mehr Vorbilder für aktives Helfen geben. Der Index zeigt, dass dabei den Medien überall auf der Welt eine große Bedeutung zukommt, vor allem dem Fernsehen und den Printmedien. Gerade das schwindende Vertrauen in die großen internationalen Organisationen erfordere neue ganzheitliche Projekte, in denen Regierungen, Zivilgesellschaft und Unternehmen zum Wohle aller zusammenarbeiten. Die Aurora Humanitarian Initiative schließt aus dem Index, dass die Zukunft bei der Jugend liege, dass sie im humanitären Geist erzogen werden müsse, damit junge Leute die Ursachen und Konsequenzen von humanitären Katastrophen besser verstehen und handeln. Das will die Initiative mit Stipendien in Zusammenarbeit mit der Near East Foundation und anderen Partnern vorantreiben.

Zur Startseite