Proteste gegen Lucke und de Maizière: Die Krawalle der Linken sind so falsch wie dumm
In Deutschland steigt die Bereitschaft, aus Dissens auch brachiale Formen des Protests abzuleiten. Die Meinungsfreiheit muss verteidigt werden. Ein Kommentar.
Ein Verdacht drängt sich auf: Je unerbittlicher der Kampf gegen rechts geführt wird, desto größer die „klammheimliche Freude“ der Rechten über den Fanatismus ihrer Gegner. Es folgt eine Ableitung in fünf Schritten. Die Anlässe sind aktuell, die Argumentation basiert zum großen Teil auf anekdotischer Evidenz:
Erstens: Die Fähigkeit sinkt, Dissens auszuhalten. Bei der Wochenzeitung „Die Zeit“ gibt es ein neues Ressort, das „Streit“ heißt. Darin wurde jüngst ein Doppelinterview mit dem Urliberalen Gerhart Baum und dem ururkonservativen Hans-Georg Maaßen abgedruckt. Es hagelte Kritik, Abonnements wurden gekündigt. Einem wie Maaßen, hieß es erbost, dürfe keine Plattform gegeben werden. Derselbe Einwand wird vorgebracht, wenn Vertreter der AfD in Talkshows auftreten. Dahinter steckt oft der Irrglaube, Ressentiments würden verschwinden, wenn deren Verbreiter vom Diskurs ausgeschlossen sind.
Zweitens: Die Neigung steigt, aus Dissens auch brachiale Formen des Protests abzuleiten. Linke Demonstranten verhindern in Hamburg wiederholt eine Vorlesung von AfD-Mitbegründer Bernd Lucke. Ein Auftritt des früheren Innenministers Thomas de Maizière in Göttingen muss aufgrund massiver Proteste abgesagt werden. Bei der Buchmesse vor zwei Jahren wurde eine Veranstaltung rechtslastiger Verlage gesprengt.
Intolerant, undemokratisch und nicht akzeptabel
Drittens: Die Bereitschaft schwindet, für das Recht auf freie Meinungsäußerung parteiübergreifend einzutreten. Die „Frankfurter Rundschau“ verteidigte gar die Blockade der Veranstaltung mit de Maizière als „Akt des zivilgesellschaftlichen Protests“. Als einer von wenigen Kritikern tat sich immerhin der Innenexperte der Grünen, Konstantin von Notz, hervor. Er nannte die Aktion intolerant, undemokratisch und nicht akzeptabel.
Viertens: Immer mehr Deutsche beklagen ein repressives Meinungsklima. In der jüngsten Shell-Studie meinten 68 Prozent der Zwölf- bis 27-Jährigen, dass man „nichts Schlechtes über Ausländer sagen kann, ohne gleich als Rassist beschimpft zu werden“. Laut dem Autor der Studie hat eine Mehrheit der Jugend das Gefühl, dass zu sehr mit Denkverboten operiert wird. Eine Allensbach-Umfrage ermittelte, dass 41 Prozent der Deutschen der Ansicht sind, dass die „Politische Korrektheit“ übertrieben wird. 35 Prozent sagen, freie Meinungsäußerungen seien nur noch im privaten Kreis möglich.
Nicht alles darf gesagt werden
Fünftens: Von linken Aktionen gegen die Redefreiheit profitieren in aller Regel Rechtspopulisten. Zu deren Narrativ gehört es, sich über „linken Tugend- und Meinungsterror“ zu empören, den Linken Intoleranz vorzuwerfen und sich selbst als Opfer dieser Intoleranz zu inszenieren. Wer Veranstaltungen mit Lucke und de Maizière sprengt, nährt dieses Narrativ. Solche Handlungen sind daher nicht nur falsch, sondern auch kontraproduktiv und damit dumm.
Nicht alles darf gesagt werden. Antisemitismus, Rassismus, Aufruf zur Gewalt, Holocaust-Leugnung: Das ist verboten und gehört bestraft. Aber die Entscheidung darüber, was von der Meinungsfreiheit gedeckt ist, sollte stets nach Recht und Gesetz gefällt werden, nicht nach persönlichen Vorlieben und der willkürlichen Macht der jeweils Stärkeren. Wer sich über eine Polarisierung der Gesellschaft echauffiert, aber radikale Meinungsdifferenzen nicht erträgt, vergrößert die Polarisierung.