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Jugendliche an der Alster in der Abendsonne.
© Christian Charisius/dpa
Update

Was Deutschlands Jugend wichtig ist: Mehr Angst vor Ausländerhass als vor Ausländern

Die Shell-Studie zeigt: Die Jugend ist sich in ihren Werten weitgehend einig. „Kosmopoliten“ und  „Nationalpopulisten“ machen nur einen kleinen Teil aus.

Deutschland geht weitgehend geeint in die Zukunft – jedenfalls die junge Generation ist, was Werte, Weltbilder und Erwartungen an die Zukunft betrifft, weitgehend einig. Das ist das wesentliche Ergebnis der 18. und neuesten Shell-Jugendstudie, die seit 1953 in regelmäßigen Abständen Haltungen und Lebensgefühl der jungen Generationen in der Bundesrepublik untersucht.

"Kosmopoliten" und "Nationalpopulisten"

Man habe "keine unüberbrückbaren Polarisierungen" unter den Jugendlichen feststellen können, dies gelte sowohl für die Geschlechter wie für Ost und West wie auch für junge Menschen mit und ohne Migrationshintergrund. Die Unterschiede würden "eher kleiner", bilanzieren die Autorinnen und Autoren. Die Mehrheit der Jugendlichen sei "nicht zugänglich für Populismus", sagte Studienleiter Matthias Albert - die Studie hat sich Rechtspopulismus angesehen. Aber das sei "keine erdrückende Mehrheit". Auch wenn die Demokratiezufriedenheit seit Jahren steige, gebe es auch unter jungen Leuten eine "signifikante Aufgeschlossenheit" gegenüber nationalistischen oder autoritären Einstellungen.

Für die vom Ölkonzern Shell gesponserte Untersuchung, die in Abständen von jeweils vier bis fünf Jahren entstehen – die letzten stammten aus den Jahren 2002, 2006, 2010 und 2015 – wurden zwischen Januar und März dieses Jahres 2572 Jugendliche zwischen zwölf und 25 Jahren per Fragebogen befragt. Mit 20 Jugendlichen fanden vertiefende qualitative Interviews statt.

So stellten das Forschungsteam der Studie zwar weltanschaulich die stärksten Unterschiede zwischen zwei Gruppen fest, die sie aufgrund ihrer Antworten als "Kosmopoliten" und "Nationalpopulisten" identifizieren.

Diese beiden Typen, besonders weltoffen, für Vielfalt begeistert und international orientiert die einen, die andern massiv skeptisch bis feindlich gegen Grenzüberschreitungen jeder Art, machten zusammengenommen jedoch "lediglich etwa ein Fünftel" der jungen Leute in Deutschland aus.

Grundlegende gemeinsame Werte - aber Teilung in Oben und Unten

Sonst sind die Einstellungen sich verblüffend ähnlich: So haben etwa Mädchen und Jungen kaum abweichende Vorstellungen über die Familien, die sie einmal gründen wollen; auch in ihrer Bereitschaft, sich politisch zu engagieren, gibt es keinen signifikanten Unterschied zwischen den Geschlechtern. Den gibt es auch nicht zwischen Ost- und Westjugendlichen.

Sowohl in Ost als auch im Westen haben junge Leute außerdem mehr Angst vor Ausländerhass als vor Zuwanderung – im Osten sogar noch deutlicher -, gleichzeitig sind Jugendliche in beiden Teilen Deutschlands  zurückhaltender geworden, wenn es um die Neuaufnahme von Flüchtlingen geht – was im Haupt-Migrationsjahr 2015 noch anders war.

Und Mädchen und Jungen aus Einwandererfamilien teilen dieselben grundlegenden Werte wie diejenigen ihrer Generation, die keinen Migrationshintergrund haben. Einen deutlichen Unterschied gibt es nur, was ihre Religiosität angeht: Für zwei von drei Jugendlichen mit muslimischem Familienhintergrund und für 50 Prozent derer mit osteuropäischen Wurzeln ist Religion wichtig. Für ihre übrigen Altersgenossen trifft das im Schnitt nur auf ein Viertel zu.

Was die Generation tatsächlich teilt - , auch wenn Studienleiter Matthias Albert bei der Vorstellung der Studie betonte, diese Polarisierung sei nicht stark: Die soziale Lage, Teilhabe, Bildung. So finde nur eine Minderheit der Jugendlichen mit Hauptschulabschluss in Ordnung, dass Deutschland viele Flüchtlinge aufgenommen hat, und distanziere sich von sozial- und nationalpopulistischen Statements. Unter den Gebildeteren ist das die Mehrheit.

Ausgezeichnetes Verhältnis zu den Eltern

Insgesamt sehen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihren Befund einer "pragmatischen Generation" aus den Umfragen seit den 2000er Jahren bestätigt. Deren Charakteristika träten auch 2019 noch stark hervor: Die Jugendlichen, die mit Migrationshintergrund wie die ohne, legten einerseits mehr Wert auf gute soziale Beziehungen als auf alles andere – etwa Karrieren und wirtschaftliche Unabhängigkeit – und Lebensgenuss "in vollen Zügen" ist vier von fünf jungen Menschen sehr wichtig.

Gleichzeitig bejahen sie wie in allen Studien seit fast 20 Jahren mit stabilen Werten Fleiß und Ehrgeiz (81 Prozent) und halten Respekt für Gesetz und Ordnung für wesentlich (87 Prozent). Ehrgeiz sei dabei kein Mittelschichtsphänomen, sondern werde auch von Jugendlichen geschätzt, die sich selbst als benachteiligt einstuften.

Anteil mit positivem Verhältnis zu Eltern steigt

Einen Generationenbruch gibt es nach wie vor nicht. Seit 2002, heißt es in der Studie, nehme "der Anteil Jugendlicher, die ein positives Verhältnis zu den Eltern

haben, stetig zu". Inzwischen sagen 42 Prozent der Jugendlichen, sie kämen "bestens" mit ihren Eltern aus, Vater und Mutter bleiben auch Vorbilder für die Erziehung, die man sich für die eigenen Kinder einmal vorstellt.

Womöglich ein Grund für erstaunlich stabile und traditionelle Rollenideale in der Familie: Die deutliche Mehrheit der Mädchen wie der Männer ist der Meinung, dass die Frau, nicht der Mann beruflich kürzertreten soll, wenn kleine Kinder da sind – die Mädchen sogar häufiger als die Jungen. 51 Prozent wünschen sich dann einen in Vollzeit arbeitenden Vater ihrer Kinder, während weniger Jungen (40 Prozent) angeben, dass sie mit kleinen Kindern voll arbeiten wollen würden.

 Toleranz Markenzeichen der Jugend

Insgesamt bleibe "Toleranz ein Markenzeichen der Jugend", stellt die Studie fest. Zwar können demnach neun Prozent der Jugendlichen den hart autoritären "Nationalpopulisten" zugerechnet werden, die große Mehrheit bleibt aber offen für ethnische, religiöse oder sexuelle Minderheiten.

Auf die Frage "Fändest du es gut, wenn X deine Nachbarn wären?! ergaben sich diesmal für fast alle Gruppen geringere Werte. So sank die Abneigung gegen eine türkische Familie seit 2010 von 27 auf jetzt 18 Prozent der Jugendlichen.

"Bestürzend" nennen die Autorinnen und Autoren die Daten zur Abneigung gegen Jüdinnen und Juden. Zwei Drittel der "nationalpopulistischen" Gruppe will sie nicht als  Nachbarn haben – dabei sind unter den Jugendlichen insgesamt antisemitische Ressentiments am geringsten verbreitet.

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