Sexualisierte Gewalt: Die Komplizen
Mit den massiven Vorwürfen gegen Dieter Wedel hat auch Deutschland seinen Weinstein-Skandal. Die Debatte über Schweigekartelle und Tabuisierung steht dabei noch am Anfang. Ein Kommentar.
Der Mann sagt: Du tust, was ich will, oder ich mach dich fertig, vor allen anderen. Sein Opfer denkt: Meine Karriere steht auf dem Spiel, ich muss da durch. Die Agentin, der Assistent, der Coach, die Kollegen sehen das auch so.
Ein Szenario aus einem schlechten Film? Nein, grausame Realität. So soll es bei Dreharbeiten von Regisseur Dieter Wedel geschehen sein – ausgerechnet zur Serie „Bretter, die die Welt bedeuten“, die einen Blick hinter die Theaterkulissen wirft. Hauptfigur ist eine junge Schauspielerin, die frisch aus der Ausbildung kommt. Wedel bestreitet alle Vorwürfe. Es geschah und geschieht auf den Fotosets des Modefotografen Bruce Weber, beim US-Produzenten Harvey Weinstein, bei Probespielen mit Stardirigent James Levine, in Tonstudios, auf Bühnen, in Schauspielschulen, beim Sport. Es sind Milieus, in denen der äußere Glamour nur dem winkt, der sein Innerstes verausgabt.
Die Konstellation ist die immergleiche: Erfolgsdruck, Abhängigkeit, Machtmissbrauch, Körperarbeit, Intensität und Intimität. Hinzu kommt eine Gesellschaft, die sich für Fragen der sexualisierten Gewalt zwar sensibilisiert hat seit den 70er und 80er Jahren. Aber sie schaut immer noch weg. Sie toleriert, verdrängt, vertuscht – und boulevardisiert gleichermaßen. Sensation: Frau vergewaltigt! Alle wussten, alle wissen Bescheid – und sagen nichts, handeln nicht, aus Fassungslosigkeit, aus Angst, aus Scham. Vielen Männern fehlt das Unrechtsbewusstsein, bis heute.
Erschrocken weggeschaut
Wie sonst lässt sich erklären, dass der Saarländische Rundfunk jahrzehntelang Indizien für sexuelle Übergriffe Wedels archivierte, aber weder die Staatsanwaltschaft informierte, noch sich vom Regisseur trennte? Und dass der Sender in den vergangenen Wochen selbst nichts veröffentlichte? Gibt es kein Bewusstsein für mögliche Mitschuld?
Mit den massiven Vorwürfen gegen Wedel, mit den „Zeit“-Recherchen über die Mitwisserschaft von ARD-Sender und Produktionsfirmen hat Deutschland jetzt seinen Weinstein-Skandal. Er ist so ungeheuerlich wie der Fall des US-Produzenten. Mehr noch: Weinstein ist ein Protagonist der millionenschweren US-Filmindustrie, er nutzte den Leistungsdruck und die Hire-and-Fire-Mentalität der Branche aus. Sollten sich hingegen die Anschuldigungen bei Wedel bestätigen, hätte er mit Wissen eines ARD-Senders gehandelt. Einer öffentlich-rechtlichen, gebührenfinanzierten, nicht unter Profitdruck stehenden Rundfunkanstalt lagen Anwaltsschreiben zu „versuchter Notzucht“ vor. Worauf sie die Schauspielerin drängte weiterzumachen. Hauptsache Starregisseur?
Jetzt ist wieder von Schweigekartellen die Rede. Kollegen und Teams haben erschrocken weggeschaut, aber etabliert wurde das Kartell von Produzenten, Redakteuren, Menschen mit Macht. Mit den Schauspiel-Agentinnen gehören auch Frauen zu den Komplizen.
Die Tabuisierung ist immer noch da. Wer traut sich in Deutschland aus der Deckung? Bei Wedel waren es Anfang Januar nicht die großen Namen, sondern weniger bekannte Frauen. Erst danach ging auch Iris Berben an die Öffentlichkeit, berichtete von Demütigungen. Sie ist eine populäre Schauspielerin und Präsidentin der Deutschen Filmakademie. Ruhm bietet einen Schutz, den andere nicht haben. Erst recht nicht die, die in der Familie oder an Bildungsstätten missbraucht werden. Sie stellen die große Mehrheit der Opfer. Wenn alle auf Weinstein und Wedel starren, gerät das in Vergessenheit.
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