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Regisseur Dieter Wedel bei der Generalprobe des Theaterstücks "Hexenjagd" im Juli 2017 bei den Festspielen in Bad Hersfeld.
© Swen Pförtner/dpa

Sexueller Missbrauch: Neue schwere Vorwürfe gegen Dieter Wedel

Die "Zeit" dokumentiert erschütternde Zeugenaussagen und Unterlagen: Produktionsfirma und Saarländischer Rundfunk waren informiert - und hielten am Regisseur fest.

Vier weitere Frauen bezichtigen Regisseur Dieter Wedel sexueller wie seelischer Gewalt, bis hin zur Vergewaltigung. Das Dossier der aktuellen „Zeit“ versammelt – nach ersten Enthüllungen im „Zeit-Magazin“ Anfang Januar – neue Leidensberichte von Betroffenen, ebenso Aussagen einer Kostümbildnerin, eines Produzenten und des Schauspielers Michael Mendl, die die Berichte bestätigen oder an ähnliche Vorfälle erinnern. Auch über den Schriftverkehr der jeweiligen Produktionsfirma, des Senders und von Wedels Agentur gibt das Dossier detailliert Auskunft. Insgesamt sollen sich inzwischen 18 betroffene Frauen bezüglich Dieter Wedel bei der „Zeit“-Redaktion gemeldet haben.

Die Beweislast ist erdrückend. Anfang der Woche hatte Dieter Wedel sämtliche bisherigen Vorwürfe erneut abgestritten, er sprach von einem Klima der Vorverurteilung und davon, dass „vermeintliche Zeuginnen“ versucht hätten, ihn zu erpressen. Von „Hexenjagd“ war die Rede, Wedels Ex-Partnerin sprach noch am Mittwoch von Rufmord. Seine Intendanz bei den Bad Hersfelder Festspielen legte Wedel nieder; zu den neuen Vorwürfen wollte er sich wegen seines schlechten Gesundheitszustands nicht äußern.

Die Verletzung der Schauspielerin wurde vom FC-Bayern-Mannschaftsarzt Müller-Wohlfahrt behandelt

In der Wochenzeitung berichtet die Schweizer Schauspielerin Esther Gemsch von mehreren Versuchen Wedels, vor und während der Dreharbeiten zu dem TV-Achtteiler „Bretter, die die Welt bedeuten“ im Jahr 1980 mit ihr Sex zu haben, gegen ihren vielfach erklärten Willen. Während einer versuchten Vergewaltigung im Dezember in einem Hotel im Bad Kissingen verletzte sie sich durch einen Sturz auf die Bettkante so schwer an der Halswirbelsäule, dass die Dreharbeiten unterbrochen werden mussten. Ihr behandelnder Orthopäde war Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt, der namhafte Mannschaftsarzt des FC Bayern München. In einem Schreiben des Arztes, das im Archiv von Telefilm Saar aufbewahrt wurde und sich nun beim Saarländischen Rundfunk befindet, heißt es, Gemschs Symptome könnten „eindeutig als Folge der Gewalttätigkeit vom 12.12.80 angesehen werden“. Das Schreiben wird von der „Zeit“ dokumentiert. Das heißt, die Produktionsfirma wusste Bescheid – und der Sender.

Gemsch musste die Dreharbeiten schließlich abbrechen, sie wurde durch die Schauspielerin Ute Christensen ersetzt. Diese berichtet, dass sie sich zwar gegen Wedels Übergriffsversuche wehren konnte, aber danach am Set massiv von ihm gemobbt und gedemütigt wurde, auch mit Hilfe eines Regieassistenten. Nach 40 Drehtagen erlitt sie einen Nervenzusammenbruch und eine Fehlgeburt. In beiden Fällen gab es Schriftwechsel zwischen Anwälten, Produktionsfirma und Sender, in denen unter anderem von „versuchter Notzucht, vorsätzlicher Körperverletzung, Freiheitsberaubung, Nötigung und Beleidigung“ die Rede ist.

Die Schweizer Schauspielerin Esther Gemsch berichtet in der "Zeit", wie Wedel sie massiv sexuell bedrängte - und sie dabei schwer verletzt wurde.
Die Schweizer Schauspielerin Esther Gemsch berichtet in der "Zeit", wie Wedel sie massiv sexuell bedrängte - und sie dabei schwer verletzt wurde.
© picture alliance / dpa/Urs Flueeler

Wedel selbst wurde von Produzenten und Redakteuren offenbar nicht belangt, im Gegenteil. Wegen der Drehunterbrechung auch nach dem Zusammenbruch von Ute Christensen drohten Kostensteigerungen; es sei gelungen, die Darstellerin trotz der Vorfälle zur Weiterarbeit zu bewegen, heißt es in Bericht des Senders. Der SR trennte sich der „Zeit“ zufolge zwar von Wedels Produktionsfirma, nicht jedoch von dem Regisseur selbst. Die Schauspieleagentinnen, heißt es auch, hätten ihre Klientinnen damals nicht unterstützt, nach dem Motto, die Karriere steht auf dem Spiel.

Sexuelle Dienste oder Schikane: Zwei weitere, namentlich nicht genannte Schauspielerinnen, berichten von ähnlichen Übergriffen, beim Dreh zum Mehrteiler „Der König von St. Pauli“ 1997 und bei den Dreharbeiten zur NDR-Serie „Pariser Geschichten“ 1975. In letzterem Fall soll es zur Vergewaltigung gekommen sein, im Auto in einem Waldstück. Wieder bekräftigen die Frauen ihre Berichte mit eidesstattlichen Versicherungen. Die meisten der mutmaßlichen Taten sind verjährt, aber wegen einer Gesetzesänderung im Jahr 2015 nicht alle. Deshalb ermittelt die Staatsanwaltschaft München jetzt bezüglich der Aussagen von Jany Tempel wegen ihres Vorwurfs von erzwungenem Sex im Jahr 1996. Sie war damals unter 30, eine Straftat wäre nicht verjährt .

Mit den neuen Berichten hat der Fall Wedel eine weitere Stufe erreicht. Wie beim Weinstein-Skandal geht es jetzt auch um die Mitwisser, die Komplizen, Männer wie Frauen. Um das institutionalisierte Schweigen, in diesem Fall im öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

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