Große Koalition: Die Knackpunkte zwischen Union und SPD
Die Koalitionsgespräche gehen in die Schlussphase. Noch ungelöst: sachgrundlos befristete Arbeitsverträge und die Ungleichbehandlung von Kassen- und Privatpatienten.
Die Verhandler von CDU, CSU und SPD sind in Berlin zusammengekommen, um ihre Beratungen über eine erneute große Koalition fortzusetzen. Die Parteien hatten ursprünglich einen Abschluss ihrer Verhandlungen am Sonntag angepeilt, sich Montag und Dienstag aber von Anfang an als Reservetage offen gehalten.
Zu den noch ungelösten Knackpunkten zählen die sachgrundlos befristete Arbeitsverträge und die Ungleichbehandlung von Kassen- und Privatpatienten, die den Sozialdemokraten besonders am Herzen liegen.
Die SPD fordert eine Angleichung der Arzthonorare für Privat- und Kassenpatienten, was die Union bisher ablehnt. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet warnt vor möglichen Kostensteigerungen durch die von der SPD geforderte Angleichung von Arzthonoraren. „Es gibt ja viele, die sagen, das wird extrem teuer, wenn plötzlich die Honorare der gesetzlich Versicherten auf die der privat Versicherten angeglichen werden“, sagte der CDU-Politiker am Montag im ARD-„Morgenmagazin“.
Finanzierung der Krankenversicherung
Beide Seiten legten sich bereits darauf fest, dass die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung ab dem 1. Januar 2019 von Arbeitgebern und Beschäftigten wieder in gleicher Höhe zu leisten sind. Schon bei ihren Sondierungen hatten sich Union und SPD auf eine Wiederherstellung der sogenannten Parität verständigt. Strittig ist allerdings noch, ob der bisherige Zusatzbeitrag an die Kassen, den die Arbeitnehmer bisher allein aufbringen müssen, komplett entfällt oder künftig ebenfalls paritätisch finanziert wird. Die Union ist für letzeres, die SPD möchte sich ganz von den kassenindividuellen Zusatzbeiträgen verabschieden.
Für Selbständige sollen die Mindestbeiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung sinken. Unklar ist bisher, in welcher Höhe. Die Union will sich bei der Bemessung an der Regelung für Existenzgründer orientieren, für die derzeit ein Monatseinkommen von 1490 Euro zugrunde gelegt wird. Die SPD hätte für die Mindestbeiträge von Selbständigen lieber nur die Obergrenze für Midi-Jobs unterstellt, sie liegt momentan bei 850 Euro.
Um die Kernfragen eines behutsamen Einstiegs in die Bürgerversicherung – durch eine Angleichung von Arzthonoraren oder durch die Öffnung der gesetzlichen Kassen für Beamte – werden Union und SPD bei den Koalitionsverhandlungen bis zuletzt ringen. CDU-Vizevorsitzender Laschet zeigte sich zuversichtlich, dass bei dem Thema ein "gutes Ergebnis" erzielt werde, damit auch "für gesetzlich Versicherte das Gesundheitssystem besser wird".
Experten zufolge würde eine Komplettangleichung der Medizinerhonorare zwischen fünf und sechs Milliarden Euro kosten, die von den Beitragszahlern aufgebracht werden müssten. Die Union findet, dass es auch billiger geht. Sie schlägt Lockerungen bei der Honorar-Budgetierung vor, die lediglich einige hundert Millionen Euro kosten. Eine gemeinsame Honorarordnung würde nur „zusätzliche Belastungen für GKV-Versicherte durch Beitragserhöhungen erzeugen“, heißt es in einem ihrer Papiere.
Denkbar wären für CDU und CSU demnach Ausnahmen vom Budget, wenn es in bestimmten Regionen an Fachärzten mangelt oder wenn Ärzte Patienten übernehmen, die ihnen von Terminservicestellen übermittelt wurden. Auch für besonders förderungswürdige Leistungen wie Hausbesuche könnte es aus ihrer Sicht fixe Einzelleistungsvergütungen in Euro und Cent geben.
Sachgrundlose Befristung
Neben der „Zwei-Klassen-Medizin“ geht es in den Verhandlungen auch darum, bei der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen etwas zu erreichen. Hier waren die Diskussionen bislang am schwierigsten.
Die Union, unterstützt von den Arbeitgeberverbänden, will nur wenig am Status quo ändern. Denn die sachgrundlose Befristung gilt im Unternehmerlager als zweckmäßige Form flexibler Vertragsgestaltung.
Betroffen sind meist jüngere Arbeitnehmer: Der Ersteinstieg ins Berufsleben erfolgt oft befristet, um Mitarbeiter erst einmal risikolos erproben zu können. Die Arbeitnehmer müssen ihre Lebens- und Familienplanung oftmals zurückstellen.
Das gilt nicht nur für Angestellte in der Privatwirtschaft, sondern auch im öffentlichen Dienst. Dort wird sogar häufiger sachgrundlos befristet als im privaten Sektor.
Nach einem Bericht des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), das zur Bundesagentur für Arbeit gehört, haben sachgrundlose Befristungen vor allem im öffentlichen Dienst stark zugenommen – der Anteil verdoppelte sich in diesem Sektor zwischen 2004 und 2013 auf ein Drittel aller befristeten Verträge.
Das hat mehrere Gründe. So wurden Stellen beim Staat häufiger nur befristet finanziert, was wohl auch mit dem Zwang zur Haushaltskonsolidierung nach der Finanzkrise zu tun hatte. Oder man nutzte das Instrument, um Arbeitnehmer – etwa Vertretungslehrer – flexibler nach Bedarf einzusetzen. Ein wichtiger Grund: Bei sachgrundlosen Befristungen schätzen auch die öffentlichen Arbeitgeber laut IAB die Rechtssicherheit höher ein, es gibt also weniger Klagen. Das wird in der Bundesregierung bestätigt.
Etwa zwei Drittel dieser sachgrundlosen Befristungen enden mit Verlängerung oder sogar der festen Übernahme. Freilich könnte der öffentliche Dienst seine Befristungspraxis auch ändern, ohne dass das Gesetz geändert wird. Wie es heißt, wäre es durchaus möglich, viele der bisher sachgrundlos befristeten Verträge auch mit den im Gesetz genannten Sachgründen zu befristen.
"Da sollte der öffentliche Dienst erst einmal Vorbild sein, ehe er das von anderen verlangt", sagte der CDU-Vizevorsitzende. Zudem werde darüber geredet, "was kann man an welchem Punkt korrigieren".
Der Druck auf die SPD ist groß. Die Gewerkschaften machen schon seit längerem mobil gegen diese Praxis der Stellenbefristung, die sich nicht an dem vorgegebenen Katalog der Befristungsgründe im Teilzeit- und Befristungsgesetz orientieren muss. Einzige Bedingung: Sachgrundlos befristete Arbeitsverträge dürfen nicht länger als zwei Jahre laufen.
Zu den Aussichten auf eine Einigung meinte Laschet: „Ich bin zuversichtlich, aber ich war schon oft zuversichtlich und dann kam es doch anders.“ Das Klima der Verhandlungen sei aber so, dass eine Einigung möglich sei - „wenn alle wollen“. (TSP/dpa)