Teheran und die Welt: Die Kernfrage im Atomkonflikt
Der Iran droht und bietet zugleich Gespräche an. Wie ernst ist die Gefahr einer militärischen Eskalation?
Der Konflikt mit dem Iran über dessen Atomprogramm hat sich gefährlich zugespitzt. Zwar will man auf amerikanischer wie iranischer Seite keine militärische Auseinandersetzung, und auch in Israel ist sich die sicherheitspolitische Elite in dieser Frage alles andere als einig. Andererseits aber, so Volker Perthes, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, erinnere die Situation inzwischen an die Kuba-Krise: Man teste sehr nachdrücklich den Willen des jeweils anderen, militärisch zuzuschlagen. Die Dringlichkeit, im Atomstreit wieder zu einem politischen Prozess zurückzufinden, sei deshalb enorm. Und Perthes sieht auch auf iranischer Seite dazu eine gewisse Bereitschaft.
In dem Zusammenhang lässt sich sogar der am Sonntag verhängte Öl-Exportstopp Irans an Frankreich und Großbritannien interpretieren. Abgesehen davon, dass die EU Anfang des Jahres ohnehin ab dem 1. Juli ein vollständiges Ölembargo gegen den Iran beschlossen hatte, sind die wichtigsten europäischen Abnehmer iranischen Öls nicht London oder Paris, sondern Griechenland und Italien. So demonstriert ein solcher Schritt nach innen Stärke, durchaus nicht unwichtig vor den Parlamentswahlen Anfang März. Er verbaut aber zugleich nach außen nicht den Weg zu Verhandlungen, „die man sicher will“, sagt Perthes.
Tatsächlich hat der Iran in der vergangenen Woche in einem Brief an die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton seine Bereitschaft zur Wiederaufnahme der Gespräche über sein Atomprogramm erklärt. Die Verhandlungen mit den fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats und Deutschlands waren vor einem Jahr aus Mangel an Ergebnissen ausgesetzt worden.
Der Westen verdächtigt den Iran, unter dem Deckmantel eines zivilen Nuklearprogramms am Bau einer Atombombe zu arbeiten, und verlangt von Teheran, die Urananreicherung zu stoppen. Doch stattdessen hat der Iran hier seine Kapazitäten stetig weiterentwickelt. Am Sonntag berichtete die britische BBC unter Berufung auf einen nicht näher genannten Diplomaten in Wien, der Iran stehe kurz davor, tausende neue Zentrifugen zur Produktion von hochangereichertem Uran zu installieren. In Wien sitzt die Internationale Atomenergie Organisation (IAEO), die den Bericht offiziell nicht kommentieren wollte, und deren Mitarbeiter diese Woche erneut in den Iran gereist sind. Laut BBC-Bericht befinden sich die Zentrifugen in einer unterirdischen Anlage nahe der Stadt Ghom und könnten, einmal in Betrieb, sowohl angereichertes Uran für den Betrieb von Kernkraftwerken als auch den Bau von Atombomben liefern.
Die USA befürchten einen Militärschlag Israels gegen den Iran.
Die israelischen Befürworter eines Militärschlags gegen iranische Nukleareinrichtungen verweisen auf ebensolche Entwicklungen. Und die US-Regierung nimmt diese Möglichkeit sehr ernst. Erst vor kurzem sagte Verteidigungsminister Leon Panetta, er halte einen israelischen Angriff auf iranische Atomanlagen im Frühsommer dieses Jahres für durchaus möglich. Am Wochenende reiste Barack Obamas Nationaler Sicherheitsberater Tom Donilon nach Israel, um Irans Atomprogramm zu diskutieren. Der Zeitung „Haaretz“ sagte in dem Zusammenhang ein US-Offizieller, ein israelischer Angriff werde immer wahrscheinlicher. Der Iran wiederum provozierte am Wochenende und schickte, wie schon vor einem Jahr, Kriegsschiffe durch den Suez-Kanal Richtung Syrien. Ein Signal der Unterstützung an den einzigen arabischen Verbündeten, Präsident Baschar al Assad, sowie ein Nadelstich in Richtung Israel.
Die US-Regierung ist nach Medienberichten zwar entschlossen, die Wirkung der neuen Sanktionen erst einmal abzuwarten. Zugleich aber würden sich Zweifel an deren Wirksamkeit ausbreiten. Ein einzelner Fehler könnte die angespannte Situation eskalieren lassen. Die Sanktionen wiederum sind inzwischen derart umfassend, dass der Iran sie nicht nur deutlich spürt, sondern dass sich auch die Frage stellt, ob diese Spirale noch sehr viel weitergedreht werden kann. Aus beiden Gründen, sagt Perthes, sei deshalb die Wiederaufnahme von Gesprächen entscheidend. Er erinnert an einen russischen Vorschlag, sich auf jeweils einzelne Schritte und nicht einen großen Plan zur Lösung des Konfliktes zu einigen. So könnte der Iran jeweils Zugeständnisse machen, für die im Gegenzug einzelne Sanktionen wieder aufgehoben werden könnten.
Perthes sieht durchaus Möglichkeiten, „wieder von den Bäumen herunterzukommen“. Grund zu übertriebenem Optimismus gebe es aber nicht. Denn: Von einer 100-prozentigen Lösung des Problems „sind wir meilenweit entfernt“.