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Ein F-16I Jet der israelischen Luftwaffe.
© dpa

Streit um Atomprogramm: Was würde Deutschland tun, wenn Israel Irans Atomanlagen angreift?

Israel schließt einen Angriff auf die iranischen Atomanlagen schon lange nicht mehr aus. Verteidigungsminister de Maizière hat kein Interesse daran, dass mögliche Planungen für die Reaktion darauf bekannt werden.

Es ist später Nachmittag, als die in nur 30 Meter Höhe heranrasenden israelischen Kampfflugzeuge die Luftabwehr rund um den Leichtwasserreaktor überraschen. In waghalsigen Flugmanövern klinken die F-16-Piloten über der Atomfabrik mehr als ein Dutzend Bomben vom Typ „Mark 84“ aus, die erst die Reaktorhülle aufbrechen, dann im Inneren der fast fertiggestellten Anlage explodieren und sie komplett zerstören.

Einer der israelischen Piloten erzählt Jahre später, dass bei der Mission die Erinnerung an das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte eine wichtige Rolle spielt: „Ich war überzeugt, dass der Einsatz, auch wenn ich ihn selbst nicht überleben würde, einen neuen Holocaust verhindern könnte – und das war ich meinem Großvater schuldig.“ Der erstaunliche Erfolg der israelischen Luftwaffe bei der Ausschaltung des irakischen Nuklearreaktors Osirak nahe Bagdad im Juni 1981 liefert mehr als drei Jahrzehnte später die Blaupause für den Kampf Israels gegen die neue Bedrohung durch das iranische Atomprogramm.

Zwar sehen sich die israelischen Planer diesmal vor eine weit schwierigere Aufgabe gestellt, denn das neue Ziel ist viel weiter entfernt, auf Dutzende von Atomfabriken verteilt und an manchen Orten schon tief unter der Erde verbunkert. Zudem sind die politischen Risiken so hoch, dass ranghohe israelische Sicherheitsexperten untereinander erbittert streiten, ob man es überhaupt eingehen darf. Auch haben sich Cyber-Attacken und die Ermordung iranischer Atomwissenschaftler inzwischen als wirksame Mittel zur Verzögerung des Programms erwiesen. Und doch mehren sich die Anzeichen dafür, dass ein Schlag wahrscheinlicher wird.

Die israelische Regierung selbst befeuert die Debatte darüber, während die iranische Regierung Fortschritte beim Aufbau ihrer Nuklearindustrie feiert. Beim Kampf gegen eine atomare Aufrüstung des Iran könne „später“ schon „zu spät“ sein, warnte kürzlich Israels Verteidigungsminister Ehud Barak. Weil die Iraner schon in wenigen Monaten wesentliche Komponenten des Programms gegen Luftangriffe schützen könnten, schließe sich das Fenster der Möglichkeiten. Was aber würde Deutschland tun, falls Israel mit 70 bis 80 Kampfflugzeugen sowie Marschflugkörpern die Nuklearanlagen angreift und der Iran zurückschlägt – mit Mittelstreckenraketen auf das kleine Land am Mittelmeer und dem ganzen Arsenal der asymmetrischen Kriegführung, die ihm mit seinen Verbindungen zur Hisbollah im Libanon und zu islamistischen Terrorgruppen in anderen Ländern zur Verfügung steht?

Die Kernfrage lautet, was das Bekenntnis von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) im Ernstfall wert ist, wonach das Existenzrecht Israels Teil der deutschen Staatsräson ist. Israel könne sich darauf verlassen, dies würden „in der Stunde der Bewährung keine leeren Worte sein“, versicherte Merkel im März 2008 vor der Knesset. Die Beunruhigung in Berlin ist jedenfalls so groß, dass Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) ausdrücklich vor einem israelischen Militärschlag warnte: „Ein Erfolg wäre höchst unwahrscheinlich und der politische Schaden unübersehbar.“ Der Vertraute der Kanzlerin hatte vor wenigen Monaten angedeutet, dass die Bundesregierung vor einem Jahr ein militärisches Engagement in Libyen auch deshalb abgelehnt hatte, weil sie eigene militärische Kapazitäten nicht binden wollte, die sie möglicherweise in einem Konflikt um Israel noch benötigt. Aus den Oppositionsparteien SPD und Grüne kamen unmissverständliche Solidaritätserklärungen. Deutschland sei in dem Fall zu militärischem Eingreifen verpflichtet, „wenn die Existenz des Staates Israel tatsächlich gefährdet ist“, erklärte SPD-Fraktionsvize Gernot Erler kürzlich.

"Wer glaubt, wir könnten Israel in so einer Situation helfen, überschätzt unsere Möglichkeiten"

Auch Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin legte ein deutliches Bekenntnis ab: Am Grundprinzip des Eintretens für die gesicherte Existenz des Staates Israel ändere sich nichts „durch eine von uns für falsch erachtete Entscheidung der israelischen Regierung“. Was aber heißt das konkret? Manche Sicherheitspolitiker im Bundestag und Wissenschaftler halten kein Szenario für wahrscheinlich, in dem Israel in Berlin um wirksamen militärischen Beistand bittet. „Wer glaubt, die Deutschen könnten Israel in so einer Situation helfen, überschätzt die deutschen Möglichkeiten“, sagt etwa der SPD-Wehrexperte Hans-Peter Bartels.

Das Raketenabwehrsystem der Israelis sei heute auf einem weit höheren Stand als etwa im Jahr 2003, als das Land noch deutsche „Patriot“-Raketen anforderte. Auch Oliver Thränert von der Stiftung Wissenschaft und Politik, Experte für den Umgang mit dem iranischen Atomprogramm, sagt im Hinblick auf deutsche Angebote an Israel: „Militärische Unterstützung sehe ich nicht.“ Nur im Falle einer tatsächlichen Existenzgefährdung des jüdischen Staates, sagt auch der Grünen-Abgeordnete Jerzy Montag voraus, werde die Bundesregierung eigenes Militär in Marsch setzen.

Die Entsendung der Bundeswehr zur Unterstützung Israels nach einer Attacke auf iranische Atomanlagen jedoch, meint der Vorsitzende der Deutsch-israelischen Parlamentariergruppe, „wäre in der deutschen Politik nicht mehrheitsfähig“. Allerdings gibt es auch gewichtige Stimmen, die dann zumindest deutsche Militärhilfe bei der Abwehr von Angriffen auf Israel für geboten halten. Die Palette der iranischen Reaktionsmöglichkeiten gegen einen israelischen Angriff auf Atomanlagen hält der Kieler Professor Joachim Krause, der sich seit Jahren mit Fragen atomarer Rüstung befasst, für „überschaubar“.

Denkbar seien Raketenangriffe auf Israel durch die Hisbollah im Libanon und die Hamas im Gaza-Streifen, das Verlegen von Minen im Persischen Golf, Angriffe kleiner maritimer Einheiten auf Tanker und womöglich auf US-Kriegsschiffe sowie weltweite Attacken auf israelische Diplomaten ähnlich den jetzt bekannt gewordenen in Georgien, Indien und Bangkok. „Da können wir wenig ausrichten“, meint der Direktor des Kieler Instituts für Sicherheitspolitik zu den deutschen Hilfsmöglichkeiten. Allenfalls könnten die Deutschen Minensuchboote in den Persischen Golf schicken. Jenseits militärischer Aktionen aber könnte die Bundesregierung für Israel eine entscheidende Rolle in Europa spielen.

Berlin müsse nach einem Schlag gegen den Iran „politisch klar auf Seiten Israels Stellung beziehen“, erwartet SWP-Experte Thränert: „Das wird schon schwierig genug.“ Israels Interesse wäre in diesem Fall, dass die Kanzlerin das mit Selbstverteidigung gegen einen neuen Holocaust begründete Vorgehen nicht verurteilt, sondern in allgemeiner Form zur Deeskalation mahnt und damit eine gemeinsame politische Front der EU-Länder gegen das Mittelmeerland unwahrscheinlich macht.

An der Erörterung militärischer Handlungsmöglichkeiten durch Experten will sich die Bundesregierung nicht beteiligen. Verteidigungsminister de Maizière hat kein Interesse daran, dass mögliche Planungen für die Reaktion im Falle eines Krieges zwischen Israel und Iran bekannt werden. Sein Argument: Es ist immer besser, wenn der Gegner in einem Konflikt nicht weiß, womit er rechnen muss.

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