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Angela Merkel.
© Tobias SCHWARZ / AFP

Angela Merkel gegen neuen Nationalismus: Die Kanzlerin kämpft um Vermächtnis und Zukunft

Angela Merkel weiß um die Endlichkeit ihrer Kanzlerschaft. Bei der Generaldebatte gibt es bei elementaren Fragen für sie keine Kompromisse mehr. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Ruth Ciesinger

Es war vielleicht ihre letzte große Generaldebatte im Bundestag, und niemand weiß das besser als Angela Merkel selbst. Anfang Dezember wird eine neue CDU-Spitze gewählt, was großen Einfluss auf den Verbleib der Kanzlerin im Amt haben dürfte; schon kursieren Gerüchte im politischen Berlin, am Tag der Europawahl im Mai auch den Bundestag neu wählen zu lassen. So hat sich Merkel am Mittwoch vor allem auf das konzentriert, was ihr als die drängendsten und drohendsten Herausforderungen für das Land erscheinen: die Digitalisierung und der neue Nationalismus.

Beim digitalen Wandel räumt Merkel zwar Versäumnisse ein, insgesamt jedoch verbreitet sie den ihr eigenen zurückhaltenden Optimismus ("Deutschland ist auf einem guten Weg"). Den wiedererstarkenden, neuen Nationalismus aber sieht Merkel als grundsätzliche Gefahr. Da wird die Kanzlerin emotional und deutlich. In diesem Moment kämpft sie um ihr Vermächtnis und will zugleich dem Land den entsprechenden weiteren Weg bereiten, auf dem sie es möglicherweise bald nicht mehr führen wird.

Es geht um nicht weniger, so Merkel, als "um unsere gesellschaftlichen Vorstellungen für eine globale Welt". Ihre Vorstellungen jedenfalls sind klar: Merkel schlägt den großen Bogen, sie zitiert als erstes aus der Rede des Bundespräsidenten zum 100-jährigen Jubiläum der Republik. Frank-Walter Steinmeier hat darin den "Kampf für den Zusammenhalt in Europa" beschworen. Merkel tut es ihm gleich, erinnert an das Liebesbekenntnis des französischen Präsidenten zu Deutschland im Bundestag. Für sie ist es "mehr als berührend" und vor allem "eine Verpflichtung".

Gegen den Nationalismus, für Multilateralismus, um den Frieden in Europa und in der Welt zu erhalten, das will die Kanzlerin und diese Botschaft will sie dem Bundestag und den Menschen mitgeben. Ihr Anspruch ist: "Wir nach dem Zweiten Weltkrieg Geborenen müssen zeigen, dass wir dazugelernt haben." Das Gejohle und die beständigen Zwischenrufe seitens der AfD-Fraktion insbesondere der Abgeordneten von Storch zeigen einmal mehr, dass die Gegner dieser Haltung zumindest sehr laut sind.

"Das ist kein Patriotismus"

Aber Merkel würde nicht demnächst als CDU-Chefin abtreten, hätte sie nicht auch Gegner in der eigenen Partei. Auch die spricht sie an in ihrem Werben für die multilaterale Ordnung. Jens Spahn will auf dem kommenden CDU-Parteitag über den UN-Migrationspakt diskutieren lassen. Merkel sagt: Die Behauptung, über den UN-Pakt für Migration sei nie gesprochen worden, sei "das Gegenteil von richtig". Die UN seien aus der Erkenntnis heraus gegründet worden: "Nie wieder gegeneinander", die Charta der Menschenrechte vertrete die selben Werte wie das Grundgesetz. Jetzt sei es auch im nationalen, deutschen Interesse, die Bedingungen für Flüchtlinge und Arbeitsmigranten zu verbessern.

Laut wird es dabei, immer wieder. Aber auch viel Applaus bekommt die Kanzlerin. Für Merkel jedenfalls gibt es bei diesen Fragen zu Recht keine Kompromisse: "Entweder", sagt sie, "man gehört zu denen, die glauben, sie können alles alleine lösen und müssen nur an sich denken. Das ist Nationalismus in reinster Form. Das ist kein Patriotismus. Denn Patriotismus ist, wenn man im deutschen Interesse auch andere mit einbezieht und Win-Win-Situationen akzeptiert."

Mit dieser Haltung spricht die Kanzlerin auch denjenigen Menschen im Land aus der Seele, die für ein geeintes Europa sind, die die Vereinten Nationen wertschätzen und denen der US-Präsident mit seinem unilateralen Kurs und der Freundschaft zu Autokraten und Diktatoren Schauer über den Rücken treibt. Das sind nicht wenige, und viele davon sind auch Mitglieder der CDU. Das sollten diejenigen, die jetzt wie beispielsweise Friedrich Merz ihre Nachfolge anstreben, im Blick behalten, bei der Frage, wie erfolgreich ein Anti-Merkel auch im Blick auf Neuwahlen sein dürfte.

Die Botschaft der Kanzlerin jedenfalls ist: "Deutsches Interesse heißt, immer auch die Anderen mitzudenken. Das ist der Erfolg von Europa. Das ist der Erfolg einer multilateralen Welt." Womit sie sich im Übrigen auch ganz in der Tradition Helmut Kohls wiederfindet.

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