Angela Merkel in Polen: Die Kanzlerin auf ungewöhnlicher Mission in Warschau
Die Bundeskanzlerin möchte die PiS-Regierung in Warschau überzeugen, dass ein Pole einen Machtposten in Brüssel behält. Eine Analyse.
Es sind keine gewöhnlichen Gespräche, die Kanzlerin Merkel heute in Warschau führt. Die entscheidende Begegnung ist nicht die mit ihrer Amtskollegin, Regierungschefin Beata Szydlo, sondern die mit Jaroslaw Kaczynski. Der hat zwar kein Amt im Staat, ist aber Chef der Regierungspartei PiS und bestimmt, wo es langgeht in Polen. Neben den deutsch-polnischen Beziehungen, die wegen der PiS-Attacken auf die Unabhängigkeit der Gerichte und die Freiheit der Medien in einer Krise sind, geht es um einen europäischen Spitzenposten: Bleibt Donald Tusk EU-Ratsvorsitzender? Er leitet die Versammlung der Staats- und Regierungschefs seit gut zwei Jahren, als erster Pole.
Für die PiS ist Donals Tusk der innenpolitische Feind
Was zur zweiten Ungewöhnlichkeit führt. In der Regel sind EU-Staaten darauf erpicht, Machtposten in Brüssel mit Landsleuten zu besetzen. Polen lehnt Tusks Wiederwahl ab. Andere EU-Staaten wollen, dass er bleibt. Er selbst will es auch. Die PiS aber sieht ihn als Feind, innenpolitisch. Der 59 Jahre alte Danziger war bis 2014 Premier. Er steht für das liberale, nach Westen offene Polen. Die PiS vertritt die nationale, klerikale und ländliche Wählerschaft. Deshalb soll Tusk gehen.
Damit aber, auch wieder ungewöhnlich, begeben sich Kaczynski und die PiS in ein machtpolitisches Dilemma. Eigentlich müsste es ihr Interesse sein, Tusk von der polnischen Innenpolitik fern zu halten, ihn in Brüssel zu belassen, damit er die liberale Opposition nicht in den nächsten Wahlkampf führt. Er hat die PiS zwei Mal geschlagen, 2007 und 2011, ehe seine Partei 2015 der PiS unterlag.
Was will Kaczynski: nur wettern oder verhindern?
Merkel will herausfinden, was Kaczynski wirklich will: gegen Tusk wettern, aber ihn nicht blockieren? Oder ein Veto gegen ihn einlegen, weil er nicht ernsthaft mit seiner Rückkehr nach Polen rechnet? Es ist unklar, ob der jetzige Oppositionsführer Grzegorz Schetyna ihm Platz machen würde, weil Tusk die besseren Aussichten hätte.
Der Widerspruch zwischen der Rhetorik der PiS und ihren machtpolitischen Interessen betrifft nicht nur Tusk, sondern generell die bilateralen Beziehungen. Trotz der polnischen Verstöße gegen die Werteordnung der EU hielt sich die Bundesregierung bisher zurück mit Kritik. Nach Donald Trumps Wahl zum US-Präsidenten und dessen Rhetorik gegen die Nato und pro Putin ist Polen noch mehr auf Westeuropas Solidarität angewiesen. Kaczynski jedoch erlaubt sich vor Merkels Besuch offensive Worte. Sie wird ihn zu nehmen wissen.