„Nachvollziehbar taktisch gewählt“: Die Grünen schneiden gut ab – aber bleiben hinter den Umfragen zurück
Die Grünen können ihren Einfluss in Ostdeutschland ausbauen. Jetzt stehen Koalitionsgespräche an. Am Ende soll auch ein Bündnis im Bund stehen.
Robert Habeck kann sich noch an ganz andere Zeiten in Ostdeutschland erinnern. Als der Grünen-Chef am Sonntagabend in der Parteizentrale vor die Kameras tritt, spricht er von einem „fantastischen Ergebnis“. Es ist das stärkste, das die Grünen je bei einer Landtagswahl in Brandenburg und Sachsen erreichten. In beiden Ländern sei die Partei zu einer eigenen Kraft geworden, sagt Habeck: „Darauf kann man wirklich stolz sein.“
Lange hatte es so ausgesehen, als ob der Höhenflug der Grünen am Osten vorbei gehen würde. Schon oft hatten die Grünen hier in der Vergangenheit um den Einzug in die Landtage bangen müssen. In Brandenburg waren sie 15 Jahre außerparlamentarische Opposition, auch in Sachsen scheiterten sie zwei Wahlperioden lang an der Fünf-Prozent-Hürde. In Mecklenburg-Vorpommern flogen sie bei der letzten Wahl aus dem Landtag.
Doch dieses Zeiten scheinen vorbei zu sein. Schon bei der Europawahl im Mai, bei der die Grünen bundesweit 20,5 Prozent erreichten, legten sie im Osten kräftig zu, ebenso bei den gleichzeitig stattfindenden Kommunalwahlen. Und nun auch in Brandenburg und Sachsen. Gegenüber 2014 konnten sie ihr Ergebnis in beiden Ländern spürbar steigern – vor fünf Jahren kamen sie auf 6,2 (Brandenburg) und auf 5,7 Prozent (Sachsen).
Und doch wurden sie nicht ganz so stark, wie es noch vor einigen Wochen in den Umfragen aussah. Enttäuscht sei er deswegen aber „gar nicht“, versichert Habeck. Es sei „offensichtlich“, dass die liberale Mitte zu einem gewissen Anteil „taktisch“ gewählt habe, also mit einer Stimme für CDU oder SPD dafür sorgen wollte, dass die AfD am Ende nicht vorne liegt.
„Nachvollziehbar“ findet Habeck ein solches Verhalten, für die Grünen sei das kein Grund „rumzuheulen“. Seine Partei habe an der deutlich gestiegenen Wahlbeteiligung ihren Anteil. Es sei gelungen, eine „andere gesellschaftliche Dynamik“ zu entfalten, sagt er.
Für Bundesgeschäftsführer Michael Kellner haben die beiden Landtagswahlen gezeigt, dass die Grünen in Ostdeutschland „angekommen“ seien. Auch wenn sich die Partei hier immer noch schwerer tue als im Westen, sei sie einen „riesigen Schritt“ vorangekommen. Als Beispiel nennt er die Gründung von neuen Ortsvereinen, aber auch gut gefüllte Veranstaltungen mit den beiden Parteichefs Annalena Baerbock und Robert Habeck.
Und das auch in Städten wie Chemnitz, Bautzen oder Freital, fernab der großstädtischen grünen Hochburgen.
„Der Klimawandel ist in den Köpfen angekommen“
Dass im Osten etwas in Bewegung gekommen ist, spürten die Landesverbände schon länger. Während die Grünen in Brandenburg Ende 2017 auf knapp 1100 Mitglieder kamen, sind es inzwischen an die 1900. In Sachsen stieg die Zahl im gleichen Zeitraum von 1560 auf knapp 2500. Für ein Flächenland sind das zwar immer noch bescheidene Zahlen, CDU, SPD und Linke haben nach wie vor deutlich mehr Mitglieder. Aber für den Wahlkampf macht es einen Unterschied, wenn doppelt so viele Helfer da sind, die Plakate kleben.
Es hat den Grünen vermutlich Stimmen gebracht, dass sie um die liberale Mitte kämpften und sich dabei auch als Gegenpol zur AfD präsentierten. Und dass sie neben dem Kohleausstieg auch für eine bessere Versorgung mit Ärzten, Hebammen oder Bussen auf dem Land eintraten. Und dann waren da noch die trockenen Sommer und der Starkregen.
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„Der Klimawandel ist in den Köpfen angekommen“, sagt der Bürgerrechtler Wolfgang Freese, der seit der Wende für die Grünen im Kreistag in Neuruppin sitzt und bei der Landtagswahl in der Ostprignitz als Direktkandidat antrat. „Früher waren die Grünen im Osten ein Fremdkörper“, sagt er. Doch das habe sich geändert.
Neu ist, dass die Grünen nun auch im Osten zum Machtfaktor werden, auch weil sonst keine Mehrheit jenseits der AfD zustande käme. „Wir stellen uns der Verantwortung“, sagt Habeck. Der Grünen-Chef weiß, dass gerade in Sachsen Gespräche mit der CDU kompliziert werden könnten. 30 Jahre lang habe man sich hier „beharkt“, inhaltlich gebe es eigentlich keine Gemeinsamkeiten, sagt Habeck. Doch der Druck auf CDU und Grüne sei groß, gemeinsam etwas hinzubekommen. Ob es rote Linien für mögliche Verhandlungen gebe? Trotz aller Differenzen – unnötig belasten will Habeck die Gespräche offensichtlich nicht: „Atomkraftwerke bauen“, lautet seine Antwort.
Für die beiden Grünen-Chefs, die sich auf einem Parteitag im November wiederwählen lassen wollen, ist das Wahlergebnis auch die Bestätigung des Kurses, sich regierungsbereit zu zeigen, selbst wenn es um komplizierte Bündnisse geht. Unterschiedlichste Konstellationen ist die Partei aus den Bundesländern gewöhnt. Die nächste Etappe haben Baerbock und Habeck bereits im Blick: Auch im Bund wollen sie künftig mitregieren.