Deutsche Rüstungsexporte: Die Grenze zwischen Gut und Böse
Wer Waffen liefert, macht sich immer angreifbar. Aber im Kampf gegen den Terror des IS nichts zu tun, wäre reine Heuchelei. Ein Kommentar.
Als US-amerikanische Studenten 1967 gegen den Konzern Dow Chemical wegen dessen Produktion von Napalm und Agent Orange für den Vietnamkrieg demonstrierten, wurden 47 von ihnen an der Universität von Illinois disziplinarisch belangt und sieben der Hochschule verwiesen. Protestierer wurden auch schon mal von Arbeitern des Chemieriesen verprügelt – sie fürchteten um ihre Arbeitsplätze. Vergleichbares Kriegsmaterial wird in Deutschland nicht hergestellt.
Alle Regierungen seit Gründung und Wiederbewaffnung der Bundesrepublik haben auf Besitz und Herstellung atomarer, chemischer und biologischer Waffen verzichtet. Fast alle anderen Rüstungsgüter werden von deutschen Unternehmen produziert und exportiert. Wohin sie verkauft werden, ist in diesem Land nicht Thema auf dem Campus von Hochschulen, sondern im Parlament. Und wenn die Produktion von Panzern, Gewehren und U-Booten wegen Ausfuhrbeschränkungen reduziert werden muss, gehen die Arbeiter nicht auf die Straße, sondern deren Betriebsräte treffen sich mit dem Wirtschaftsminister.
Gabriel pocht auf Einhaltung der Richtlinien
Die größere Zivilität des Streits ändert nichts an seiner Grundsätzlichkeit: Was liefern wir wohin? Sigmar Gabriel will, anders als ihm von wirtschaftsnahen Unionspolitikern unterstellt wird, nicht auf einen neuen, restriktiveren Kurs wechseln. Er pocht lediglich darauf, dass die im Jahre 2000 von der damaligen rot-grünen Regierung verabschiedeten und seitdem geltenden Richtlinien wieder beachtet werden. Das war vor allem unter Schwarz-Gelb nicht mehr so. Allein im letzten Jahr dieser Regierung, 2013, wurden Ausfuhren an Drittstaaten außerhalb von Europäischer Union und Nato im Wert von acht Milliarden Euro bewilligt.
Wenn man weiß, dass die gesamte deutsche Rüstungsbranche auf einen Jahresumsatz von 23 Milliarden Euro kommt, versteht man aber die Unruhe bei Managern und Betriebsräten. Beim Rüstungsexport gilt, dass es keine ewigen Gewissheiten und keine immer und überall geltenden Kriterien gibt. Es ist gerade einmal ein Jahr her, dass Union und SPD in ihrem Koalitionsvertrag die Kooperation zwischen Nato und Russland am Beispiel des Abzugs aus Afghanistan als „möglich und im gegenseitigen Interesse“ lobten.
Heute kann davon, angesichts der russischen Destabilisierung der Ukraine, keine Rede mehr sein. Der Wirtschaftsminister hat mit Billigung der Kanzlerin die Auslieferung eines 100 Millionen Euro teuren Gefechtsübungszentrums an Moskau untersagt. Die Kurden im Länderdreieck zwischen der Türkei, Syrien und Irak galten Jahrzehnte als potenzielle und, was die PKK betraf, auch tatsächliche Terroristen. Nun werden sie vermutlich auch aus Deutschland Waffen und vielleicht sogar Ausbilder der Bundeswehr erhalten, weil im nicht mehr handlungsfähigen Staat Irak einzig kurdische Soldaten den Vormarsch der Horrortruppen der IS stoppen können.
Kein klar definierten Grenzen
Das mag völkerrechtlich problematisch sein. Aber aus formaljuristischen Gründen nichts zu tun und sich als Hüter einer pazifistischen Moral zu präsentieren, wäre angesichts des Völkermordes dort reine Heuchelei. Wer Waffen liefert, macht sich immer angreifbar, sogar wenn dies innerhalb des eigenen Bündnisses geschieht. Ob deutsche U-Boote Griechenland in der Ägäis jemals vor der Türkei geschützt haben, darf man bezweifeln. Ganz sicher aber hat ihr Bau deutsche Werften ausgelastet und zur Erhöhung des griechischen Staatsdefizits beigetragen – so viel zu Gabriels These, Waffen sollten nicht aus geschäftlichen Gründen geliefert werden.
Ob deutsche Panzer in Saudi-Arabien zu einer anderen Stabilisierung als der einer den Terror unterstützenden Diktatur beitragen, kann auch niemand sagen. Bei Rüstungsgeschäften gibt es keine klar zu definierende Grenze zwischen Gut und Böse, sondern immer nur Einzelfälle, die jeder für sich entschieden werden müssen. Für Deutschland gilt dabei, dass wir uns innerhalb unserer allgemeinen und sicherheitspolitischen Allianzen wie EU und Nato bewegen sollten. Auch dies spricht für eine Europäisierung der Rüstungsindustrie, wie sie Gabriel nun genauso fordert wie der Unionsfraktionsvorsitzende Volker Kauder.
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