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Katarina Barley, Juristin und MdB, ist Generalsekretärin der SPD.
© Thilo Rückeis

SPD-Generalsekretärin Katarina Barley im Interview: "Die Geschwindigkeit des Zuzugs muss verringert werden"

Die Generalsekretärin der SPD, Katarina Barley, über die Begrenzung der Zuwanderung, straffällige Asylbewerber - und was man braucht, um gegen Parteichef Sigmar Gabriel bestehen zu können.

Frau Barley, in den ersten zwei Wochen des neuen Jahres haben über 50000 Menschen hierzulande Asyl beantragt. Wie lange kann Deutschland das verkraften?
Keine Frage: Die Geschwindigkeit des Zuzugs muss verringert werden. Eine Million Flüchtlinge pro Jahr kann das Land auf Dauer nicht aufnehmen, denn auch unsere Kapazitäten sind begrenzt.

Rückt die Schließung der deutschen Grenzen näher, wenn es nicht gelingt, den Zustrom zu drosseln?
Wer meint, einfach die Grenzen schließen zu können, um so dem Zuzug ein schnelles Ende zu setzen, macht den Leuten etwas vor. Abgesehen davon würde ein solcher Schritt das Zusammenleben in Europa massiv beeinträchtigen und dem europäischen Projekt erheblich schaden.

Ihr Parteifreund, der niedersächsische Ministerpräsident Weil, sagt bereits ein "Comeback der Binnengrenzen" in Europa voraus, wenn Kanzlerin Merkel nicht bald für eine Sicherung der EU-Außengrenzen und eine bessere Flüchtlingsverteilung innerhalb der EU sorgt.

Soweit darf es nicht kommen. Ich bezweifle auch, dass wir das Flüchtlingsproblem durch die Schließung nationaler Grenzen wirklich in den Griff bekommen. Anders als Dänemark oder Schweden, die nur eine Landesgrenze oder zwei haben, liegen wir in der Mitte Europas. Da ist eine vollständige Grenzsicherung schon logistisch kaum machbar.

Steht die SPD noch hinter Merkels Flüchtlingspolitik?
Das müssen Sie eher die CSU und die Kritiker in der CDU fragen. Das sind diejenigen, die Frau Merkels Flüchtlingskurs hintertreiben. Man muss Konflikte auch offen austragen. Auf dem CDU-Parteitag im Dezember wurde genau das vermieden.

Altkanzler Schröder wirft Frau Merkel vor, sie habe den Eindruck erweckt, nationale Grenzen hätten keine Bedeutung mehr. Dies sei falsch und gefährlich. Irrt er?
Es war eine humanitäre Entscheidung von Frau Merkel, die in Ungarn festsitzenden Flüchtlinge ins Land zu lassen. Sie hätte sich vorher aber mit den europäischen Partnern abstimmen müssen, nicht nur mit Österreich. Diese Unterlassung rächt sich jetzt, auch deshalb verweigern manche EU-Mitglieder die Aufnahme von Flüchtlingen.

Schröder kritisiert aber etwas anderes, nämlich dass Merkel die Aufnahme der Flüchtlinge aus Ungarn nicht sofort zur Ausnahme erklärt hat. Damit habe die Kanzlerin den unbegrenzten Zuzug von Flüchtlingen zur Normalität gemacht. Ist dieser Vorwurf berechtigt?
Im Nachhinein findet man immer Möglichkeiten für Verbesserungen. Aber wir müssen die Probleme jetzt anpacken und sollten uns nicht in müßigen Diskussionen verlieren.

In der Bevölkerung schwindet das Vertrauen in die Flüchtlingspolitik der großen Koalition. Inzwischen bezweifeln 51 Prozent, dass Deutschland die Krise bewältigen kann. Wer ist dafür verantwortlich?
Die schleppende Registrierung der Flüchtlinge und die zu langsame Bearbeitung der Asylanträge durch das Bundesamt für Migration haben dem Vertrauen der Bürger in die Flüchtlingspolitik sicher geschadet. Das muss besser werden - und zwar schnell. Die Verantwortung trägt der Innenminister. Es ist doch bemerkenswert, dass die SPD dafür sorgen musste, dass er zusätzliche Stellen bei der Bundespolizei und beim Bundesamt für Migration erhält.

Das Berliner Lageso, wo Flüchtlinge in der Kälte tagelang warten müssen, ist deutschlandweit zur Chiffre für Politikversagen in der Flüchtlingskrise geworden. Trägt der Regierende Bürgermeister Michael Müller dafür keine Verantwortung?
Klar ist: Die Zustände am Berliner Lageso können so nicht bleiben. Sie sind unzumutbar für die Betroffenen und schaden dem Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der Politik. Deshalb bin ich froh, dass mit Michael Müller jetzt die Dinge in die Hand nimmt, nachdem der Sozialsenator es offensichtlich nicht kann.

Verheerend für die Akzeptanz der Flüchtlingspolitik waren auch die sexuellen Übergriffe auf Frauen in der Silvesternacht von Köln. Welche Konsequenzen ziehen Sie?
Um solche massiven Straftaten zu verhindern, müssen alle Ebenen funktionieren: Verwaltung, Polizei, Justiz und Politik. Die SPD hat bereits vor den Kölner Vorfällen eine Erhöhung der Bundespolizei durchgesetzt. Wir brauchen aber eine weitere Aufstockung um 3000 Stellen. Zusätzlich muss der Bund die Länder aber auch finanziell stärker unterstützen, damit die Landespolizeibehörden mehr Personal erhalten. Eine Reform des Sexualstrafrechts hat Justizminister Heiko Maas bereits im letzten Sommer vorgelegt. Damit wird das Begrapschen von Frauen zum Straftatbestand, wenn die Union endlich zustimmt.

Haben Migranten ihr Gastrecht verwirkt, wenn sie Straftaten begehen?
Ein Rechtsstaat muss sein Recht auch durchsetzen, sonst verliert er seine Legitimation. Das gilt für alle Menschen, die hier leben. Vorfälle wie in Köln müssen deutliche und schnelle Konsequenzen für die Täter haben. Dazu zählt auch die rasche Ausweisung und Abschiebung von Menschen, die nach Deutschland kommen, um hier Straftaten zu begehen.

Straftäter aus Marokko oder Algerien können aber nicht in ihre Heimat abgeschoben werden, da es mit diesen Ländern keine oder keine tragfähigen Rücknahmeabkommen gibt.
Stimmt: Wir brauchen dringend funktionierende Rücknahmeabkommen mit Marokko und Algerien. Dafür müssen wir auch diplomatischen Druck ausüben.

Die SPD begreift sich als Spezialistin für gesellschaftlichen Zusammenhalt. Was wollen Sie gegen die fortschreitende innere Spaltung im Land tun?
Wenn wir den inneren Zusammenhalt verlieren, wird Deutschland die riesige Herausforderung durch die vielen Flüchtlinge nicht bestehen. Deshalb steht das Thema heute und morgen im Mittelpunkt der SPD-Vorstandsklausur in Nauen. Flüchtlinge, die sich integrieren wollen und sich rechtstreu verhalten, verdienen unsere Unterstützung. Wer hierher kommt, um Straftaten zu begehen, muss bestraft werden. In einem Rechtsstaat wird jeder danach beurteilt, wie er sich verhält.

Machen wir es konkret: Wie sieht der Plan der SPD zur Integration der Flüchtlinge aus?
Wir müssen eine doppelte Integrationsaufgabe bewältigen: Nicht nur Flüchtlinge integrieren, sondern den Zusammenhalt der ganzen Gesellschaft sichern. Dafür bedarf es zahlreicher Maßnahmen, die unserer ganzen Bevölkerung zu Gute kommen. Ein Schlüssel sind etwa massive Investitionen in Bildung. Wir wollen unter anderem 80.000 zusätzliche Kita-Plätze und 20.000 Stellen für Erzieherinnen und Erzieher schaffen. Darüber hinaus wollen wir die Qualität und die Anzahl von Integrationskursen erhöhen und die Mittel für sozialen Wohnungsbau um insgesamt fünf Milliarden aufstocken. Speziell für Flüchtlinge wollen wir die Qualität und die Anzahl von Integrations- und Sprachkursen erhöhen.

Muss es Sanktionen für Integrationsverweigerer geben, etwa Leistungskürzungen, wie die CSU verlangt?
So lange es nicht genügend Sprach- und Integrationskurse gibt, ist das blanker Populismus. Auch hier muss der Innenminister mehr tun.

Also hat die SPD nichts gegen Sanktionen, wenn für alle Flüchtlinge solche Kurse angeboten werden?
Selbstverständlich fordern wir Integration auch ein. Integrationskurse sind im Übrigen bereits heute nach geltender Gesetzeslage verpflichtend, wenn man sich rechtmäßig und auf Dauer in Deutschland aufhält. Dazu gehören auch Sanktionsmöglichkeiten, wenn man sich nicht an getroffene Vereinbarungen hält.

Profiteur der Flüchtlingskrise ist die AfD. Können die Rechtspopulisten nur gestoppt werden, wenn es eine Wende in der Flüchtlingspolitik gibt, wie Altkanzler Schröder fordert?
Die beste Antwort auf Populisten ist seriöse Politik. Wir haben eine klare Haltung: Schutz für diejenigen, die verfolgt werden, kontrollierte Einwanderung und eine konsequente Linie gegenüber denjenigen, die nicht bleiben können. In der Vergangenheit gab es einen starken Zuzug aus den Balkanstaaten. Der ist aufgrund verschiedener Maßnahmen deutlich zurückgegangen. Jetzt müssen wir auf die vielen Menschen reagieren, die aktuell aus Nordafrika nach Deutschland kommen.

Wie soll die SPD mit der AfD umgehen?
Wir müssen klar machen, dass man nicht nur gegen die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin protestiert, wenn man für die AfD stimmt. Man sagt damit auch "Ja" zu einem völlig rückwärtsgewandten und reaktionären Weltbild. Wer AfD wählt, stimmt auch gegen den Mindestlohn, gegen die Gleichberechtigung von Mann und Frau und gegen homosexuelle Partnerschaften. Das müssen wir den Leuten klipp und klar sagen.

Frau Barley, Sie sind jetzt einen Monat im Amt. Wie oft sind in dieser Zeit schon mit Parteichef Gabriel aneinandergeraten?
Natürlich sind wir beide leidenschaftliche Politiker und da diskutiert man auch mal heftiger. Aber es ist noch nie laut geworden - und ich gehe davon aus, dass das so bleibt.

Welche Voraussetzung muss man mitbringen, um mit Gabriel klarzukommen?
Humor.

Etliche Genossen haben Probleme mit Gabriel - zu rüde im Umgang, zu sprunghaft bei den Themen, zu viele Alleingänge. Sind die alle humorlos?
Sigmar Gabriel ist eine beeindruckende Person mit viel politischem Instinkt und großer rhetorischer Kraft. Es macht Spaß mit ihm zusammenzuarbeiten.

Gabriel hat sein mageres 74-Prozent-Ergebnis bei der Wiederwahl zum Parteichef als Bestätigung dafür gewertet, die Partei weiter in die Mitte zu führen. War das ein Basta?

Auf unserer Klausurtagung in Nauen werden wir das Gegenteil von Basta anstoßen, nämlich einen sehr breiten Beteiligungsprozess für unser Regierungsprogramm 2017. Wir beziehen unsere Mitglieder, Experten und Interessierte in diesen Prozess ein. Darauf freue ich mich sehr.

Die SPD liegt nach zwei Jahren großer Koalition immer noch bei 25 Prozent. Wie wollen Sie das ändern?
Erstens, indem wir weiter gute Politik machen. Alle großen und erfolgreichen Projekte dieser Regierung sind sozialdemokratisch geprägt. Künftig brauchen wir immense Investitionen in Bereiche wie Bildung und Infrastruktur. Da fahren wir zum Teil auf Reserve. Dafür werden wir  ein großes Augenmerk auf die Wirtschaftspolitik legen, die unseren Wohlstand sichert. Und auf die Familienpolitik, die uns alle betrifft. Zweitens braucht es eine gute Vermittlung unserer Politik. Das wird künftig auch meine Aufgabe sein.

Von welcher Summe sprechen wir?
Es geht uns um ein Investitionsprogramm von zusätzlich 60 Milliarden Euro jährlich für die kommenden zehn Jahre. Dabei soll es sich um öffentliche und private Investitionen handeln. Nur auf diese Weise werden wir in der Lage sein, unsere Wettbewerbsfähigkeit aber auch soziale Sicherheit und ökologische Nachhaltigkeit zu erhalten und auszubauen.

Bei der letzten Bundestagswahl hat die SPD vor allem bei Frauen schlecht abgeschnitten. Was wollen Sie dagegen tun?
Wir werden in Nauen ein umfassendes frauenpolitisches Papier verabschieden. Das reicht vom Abbau der Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen über die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf bis hin zum Schutz vor sexueller Gewalt. Denn trotz rechtlicher Gleichstellung haben wir eine tatsächliche Gleichstellung der Geschlechter immer noch nicht erreicht. Ich hoffe, dass die Union jetzt endlich ihren teils erbitterten Widerstand gegen zentrale Reformprojekte in diesem Bereich aufgibt. Die SPD dagegen steht schon seit 152 Jahren für die Gleichberechtigung von Mann und Frau.

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