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Michael Müller (l, SPD), Regierender Bürgermeister, und sein Staatssekretär Björn Böhning, Chef der Senatskanzlei, sollen ihrem Vertrauten Diwell zu einen Beratervertrag verholfen haben.
© imago/Stefan Zeitz

Chronik zur Affäre im Berliner Senat: Die geheimen Details im Fall Diwell

Der Fall Diwell/McKinsey erschüttert den Senat von Berlin. Viele Hintergründe sind noch ungeklärt. Eine Übersicht über Abläufe und offene Fragen.

Am 11. August 2015 beschließt der Senat ein erstes großes Konzept zur Unterbringung, Versorgung und Integration der Flüchtlinge, die nach Berlin kommen. Im Zusammenhang damit beauftragt die Senatskanzlei den Rechtsanwalt und früheren SPD-Politiker Lutz Diwell, ein Gutachten zu asylrechtlichen Fragen zu erarbeiten. Er bekommt dafür eine vierstellige Summe. Im August und September führt der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) nach eigener Aussage „zwei 20-Minutengespräche“ mit dem Parteifreund über die Frage, „ob und wie er uns unterstützen kann“. Diese Kontakte des ehemaligen Staatssekretärs ins Rote Rathaus werden nicht öffentlich bekannt. Auch nicht die Verhandlungen mit Diwell über eine Anstellung als „Beauftragter des Senats für das Flüchtlingsmanagement“, die im September 2015 scheitern. Stattdessen beruft der Senat den Ex-Polizeipräsidenten Dieter Glietsch als Flüchtlings-Staatssekretär.

Der SPD-Politiker Lutz Diwell, hier ein Archivbild, soll von einem Beratervertrag des Senats mit McKinsey profitiert haben.
Der SPD-Politiker Lutz Diwell, hier ein Archivbild, soll von einem Beratervertrag des Senats mit McKinsey profitiert haben.
© picture-alliance/ dpa

Mit dem Unternehmen McKinsey schließt die Senatskanzlei Ende September 2015 einen Vertrag als Pro-bono-Berater, um das Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) beim Flüchtlingsmanagement unentgeltlich zu unterstützen, unter anderem beim Aufbau der Erstaufnahmeeinrichtung in der Bundesallee. Der Vertrag wird für drei Monate abgeschlossen und am Jahresende verlängert. Der Anwalt Diwell ist seit September vergangenen Jahres ebenfalls ehrenamtlich aktiv „im Bereich dieser ganzen juristischen Fragen“, wie es Regierungschef Müller formuliert. Aber „nicht in einer direkten Beratungsleistung für mich, nicht in irgendeinem Vertragsverhältnis mit mir“. Ob der altgediente SPD-Mann Diwell am Neun-Punkte-Plan mitgearbeitet hat, den Müller am 12. November im Parlament vorstellt und mit einem spektakulären Machtwort zur Flüchtlingspolitik verbindet, ist nicht bekannt. Spätestens Anfang Januar 2016 kommt es dann zu engeren geschäftlichen Verbindungen zwischen Diwell und McKinsey.

Am 5. Januar 2016 erhält McKinsey von der Senatskanzlei – deren Chef der Sozialdemokrat Björn Böhning ist – den Zuschlag, die Erarbeitung eines Masterplans „Integration und Sicherheit“ beratend zu unterstützen. Die Entscheidung fällt über Silvester. Als Honorar für diese Dienstleistungen werden 238.000 Euro brutto vereinbart. Das Unternehmen beginnt sofort mit der Arbeit. Der erste von fünf internen Workshops findet schon am 8. Januar des neuen Jahres statt. Mit dabei ist der Fachmann für Asylrecht, Lutz Diwell, dessen Status (unabhängiger Rechtsanwalt oder Mitarbeiter von McKinsey) bei dieser Veranstaltung unscharf bleibt. Unterschiedliche Angaben gibt es auch darüber, ob der Regierende Bürgermeister Müller auf der Senatsklausur am 13. Januar mitteilt, dass Diwell für den Senat beratend tätig ist. Er selbst kann „nicht hundertprozentig sagen, ob der Name Diwell gefallen ist“. Andere Zeitzeugen erinnern sich.

Der Senat sagt zunächst nichts vom Vertrag

Berlins Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) arbeitete am Konzept mit.
Berlins Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) arbeitete am Konzept mit.
© dpa

In jener Senatsklausur am 13. Januar beschließt der Senat, die „wachsende Stadt Berlin weiter voranzubringen“. Regierungschef Müller kündigt an, in diesem Rahmen bis Anfang März einen Masterplan „Integration und Sicherheit“ zu erarbeiten, der das alte Konzept vom August 2015 ergänzen und aktualisieren soll. Federführend ist die Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen, an deren Spitze Dilek Kolat (SPD) steht. Dass dem Unternehmen McKinsey eine Woche zuvor ohne öffentliche Ausschreibung ein Beratervertrag zugesichert wurde, wird in der Pressekonferenz des Senats nicht mitgeteilt. Auch Lutz Diwell findet keine Erwähnung. Die Darstellung Müllers, wann die Senatskanzlei bzw. er von der Zusammenarbeit des Genossen mit McKinsey erfuhren, bleibt auch in der Fragestunde des Abgeordnetenhauses am letzten Donnerstag schwammig. „Im Laufe des Januars“ sei die Senatskanzlei darüber informiert worden.

Erst am 9. Februar, über einen Monat nach der Vergabe des Beratungsauftrags an McKinsey, unterrichtet Kanzleichef Böhning den Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses „über die Vergabe einer Beratungsdienstleistung“ im Wert von 238.000 Euro zulasten des Berliner Haushalts. Und zwar „gemäß den Verwaltungsvorschriften der Senatsverwaltung für Finanzen zur Transparenz bei der Vergabe von Gutachten“. McKinsey sei das einzige Unternehmen, das über die für die dringend notwendige Beratung erforderliche Erfahrung und Expertise verfüge, begründet die Senatskanzlei die freihändige Vergabe des öffentlichen Auftrags in einem zweiseitigen Papier. Am 17. Februar diskutiert der Hauptausschuss ausführlich und kontrovers über die Direktvergabe, 4000 Euro unter der Schwelle für europaweite Ausschreibungen. Von der bezahlten Mitarbeit Diwells für McKinsey erfahren die Haushälter des Parlaments nichts, obwohl Böhning mehrfach zu Wort kommt. Erst am 4. März wird der Dienstleistungsvertrag zwischen Senatskanzlei und McKinsey unterzeichnet, obwohl die meiste Arbeit schon getan ist. Am selben Tag schickt Böhning dem Hauptausschuss des Parlaments einen zweiten Bericht, denn die Abgeordneten aller Fraktionen haben noch viele Fragen. Vor allem wollen sie wissen, ob eine externe Beratung tatsächlich notwendig ist und warum der Auftrag freihändig vergeben wurde. Im neuen Bericht, der immerhin vier Seiten umfasst, wird die Vergabe an McKinsey mit dem „Handlungsdruck“ erklärt, den Masterplan noch im ersten Quartal 2016 fertigzustellen. Außerdem handele es sich um eine freiberufliche, „geistig-schöpferische Leistung“, deshalb habe man von einer Ausschreibung absehen können. Der Name Diwell taucht wieder nicht auf. Die ergänzende Unterrichtung des Parlaments kommt ein bisschen spät, denn schon am 10. März ist der Entwurf für den Masterplan „Integration und Sicherheit“, an dem McKinsey beratend mitgearbeitet hat, fertig. Fünf Tage später stellt der Senat das Konzept öffentlich vor.

Die Opposition hat viele Fragen

Um das Chaos am Lageso in den Griff zu bekommen, engagierte der Senat die Beratungsfirma McKinsey – und somit auch Lutz Diwell. Er sollte ein Konzept entwickeln, wie die Flüchtlinge in Berlin integriert werden können.
Um das Chaos am Lageso in den Griff zu bekommen, engagierte der Senat die Beratungsfirma McKinsey – und somit auch Lutz Diwell. Er sollte ein Konzept entwickeln, wie die Flüchtlinge in Berlin integriert werden können.
© Britta Pedersen/dpa

Erst am 16. März, als die bezahlte Mitarbeit Diwells für McKinsey durch Tagesspiegel-Recherchen öffentlich wird, bestätigt Kanzleichef Böhning im Medienausschuss des Parlaments, dass der Parteifreund als Berater für die Erstellung des Masterplans tätig war. McKinsey teilt ergänzend mit, dass „nicht das gesamte Honorar“ an ihn geflossen sei. Dann stoppt der Informationsfluss, denn SPD und CDU vertagen das heikle Thema ohne jede Begründung auf Mai. Doch einen Tag später erzwingt die Opposition eine Stellungnahme Müllers in der Fragestunde des Abgeordnetenhauses. Anschließend beantragen Linke und Grüne Akteneinsicht in der Senatskanzlei.

Am 18. März schicken die Grünen dem Regierenden Bürgermeister Müller persönlich einen umfangreichen Fragenkatalog zu. Etwa zwei Stunden später erklärt sich Böhning in einem Brief an den Hauptausschussvorsitzenden Fréderik Verrycken (SPD) überraschend bereit, in einer Sondersitzung des Hauptausschusses kurzfristig zu allen Fragen Stellung zu nehmen. Er wolle, so Böhning, „dem Eindruck entgegentreten, die Senatskanzlei entziehe sich einer Befragung“ durch das Parlament. Diese Sitzung findet am Mittwoch statt. Offenbar gab es Druck vonseiten des Regierungschefs. Dem Vernehmen nach ist Michael Müller sehr daran gelegen, die Affäre rechtzeitig zu den Akten legen zu können. Denn am 27. Mai wird er auf einem SPD-Landesparteitag zum Spitzenkandidaten für die Berliner Wahl am 18. September nominiert. Die Kandidatenkür soll ungestört von schlechten Nachrichten über den nach wie vor unangefochtenen Spitzenmann der Berliner SPD vonstattengehen.

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