Krise an der Grenze zwischen Belarus und Polen: Die EU muss aus Lukaschenkos zynischem Spiel aussteigen
Selbst wenn die Krise an der Grenze zu Polen beigelegt ist, könnte bald das nächste Problem mit dem Machthaber in Minsk bevorstehen. Ein Kommentar.
Für den belarussischen Diktator Alexander Lukaschenko sind die Menschen, die an der Grenze zu Polen festsitzen, nur Schachfiguren in einem zynischen Spiel. Es gibt mehrere Szenarien, in denen Lukaschenko dieses Spiel gewinnen könnte, das er den Europäern aufzwingt.
Der Machthaber in Minsk hoffte offenbar darauf, dass die illegale Einreise tausender Menschen aus dem Nahen Osten eine Situation herbeiführen könnte wie 2015, als in Deutschland und der EU ein erbitterter Streit um die Flüchtlingspolitik begann. Dieses Szenario ist zum Glück bisher nicht eingetreten. Doch auch die jetzige Situation an der Grenze spielt Lukaschenko in die Hände.
Denn in diesem Konflikt stehen sich demokratische Staaten und eine Diktatur gegenüber. Sie unterscheiden sich nicht allein nach ihrer Regierungsform, sondern nach ihrem Menschenbild: In Diktaturen zählt das Leben des Einzelnen nichts. Wenn Menschen in den Wäldern vor den Toren der EU erfrieren, wenn Sicherheitskräfte alles tun, um diese Menschen nach Belarus zurückzudrängen, dann verraten die Europäer ihre eigenen Werte. Für Lukaschenko wäre das ein Erfolg.
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Es gibt aber noch ein drittes Szenario, in dem der Diktator diesen Konflikt zu seinen Gunsten entscheiden könnte: durch direkte Gespräche. Wenn er auf Augenhöhe am Verhandlungstisch säße, bekäme er die Anerkennung als Präsident, die ihm die EU nach der gefälschten Wahl im vergangenen Jahr versagt hatte.
Mit Geiselnehmern verhandelt man nicht
Direkte Gespräche mit Lukaschenko sind ein fatales Signal, denn mit Geiselnehmern verhandelt man nicht. Doch am Montagabend telefonierte die geschäftsführende Bundeskanzlerin Angela Merkel erstmals seit der Wahl mit Lukaschenko – und kam ihm damit einen Schritt zu weit entgegen. Für den Machthaber hat sich die Erpressung damit schon ausgezahlt.
[„Lukaschenko reagiert nur auf Druck“ – die belarussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja im Interview (T+)]
Allerdings hat die EU in der Krise ansonsten geschickt agiert. Sie hat mit einigem Erfolg zu verhindern gesucht, dass immer mehr Menschen aus dem Nahen Osten nach Minsk geflogen werden. Die Türkei lenkte ein, um Sanktionen gegen eine Fluggesellschaft zu entgehen.
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Der Irak will damit beginnen, seine Staatsbürger zurückzuholen. Außerdem beschlossen die EU-Außenminister Sanktionen gegen die belarussische Airline Belavia und weitere Organisationen und Personen, die an der Schleusung beteiligt sind.
Doch die dramatische Lage an der EU-Außengrenze ist damit noch nicht entschärft. Um eine humanitäre Katastrophe zu verhindern, sollten Deutschland und andere EU-Staaten die Menschen vorübergehend aufnehmen, die im Grenzgebiet festsitzen. Mit diesem Akt der Menschlichkeit würden die Europäer aus Lukaschenkos zynischem Spiel aussteigen.
Diejenigen Migranten, die eine Bleibeperspektive haben, könnten auf die aufnahmebereiten Länder verteilt werden. Die anderen müssten in ihre Heimatländer zurückgeschickt werden.
Die EU muss die Demokratiebewegung stärker unterstützen
Selbst wenn die Krise an der Grenze gelöst wird, könnte bald das nächste Problem mit dem unberechenbaren Machthaber bevorstehen. Schließlich drohte er bereits, an der durch sein Land verlaufenden Pipeline den Gashahn zuzudrehen. Die Flüchtlingskrise an der EU-Außengrenze ist nur ein Teil des Konflikts zwischen der EU und dem Regime in Belarus.
Auf die gewaltsame Niederschlagung der belarussischen Demokratiebewegung im vergangenen Jahr reagierte die EU viel zu zögerlich. Nach wenigen Monaten rutschte das Thema wieder von der Agenda. Erst die Entführung einer Passagiermaschine brachte Belarus wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit.
Die EU sollte die von Lukaschenko angezettelte Krise an der Grenze nun zum Anlass nehmen, ihre Belarus-Politik grundsätzlich zu überdenken. Es reicht nicht, der Sanktionsliste wieder nur ein paar Namen hinzuzufügen. Nach dem zynischen Vorgehen Lukaschenkos ist es Zeit für echte Wirtschafts- und Finanzsanktionen gegen das Regime. Vor allem aber sollten sich die Europäer endlich dazu durchringen, die Demokratiebewegung in Belarus stärker zu unterstützen.