Saudi-Arabien und Iran: Die dunkle Seite der Macht
Die Konflikte mit dem Iran und Saudi-Arabien lehren: Der Umgang mit Diktatoren ist nicht mit Moral zu regeln. Eine Analyse zur Münchner Sicherheitskonferenz.
Von Freitag bis Sonntag treffen sich in München wieder Regierungschefs, Außen- und Verteidigungsminister mit hunderten von Expertinnen und Experten aus aller Welt, um auf der Sicherheitskonferenz über drohende und bereits existierende Konflikte zu beraten. Zu den Unsicherheiten gehört für uns Europäer die Frage, wie wir mit Staaten wie Saudi-Arabien und dem Iran umgehen sollen.
Im Kern geht es dabei um unseren Umgang mit einem Verständnis von Macht, das ganz anders als das unsere ist. Macht ist in unseren westlichen Demokratien zeitlich und rechtlich begrenzt. Diese Begrenzungen dienen nach unserer Überzeugung unseren nationalen Interessen an Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.
Diese Interpretation des nationalen Interesses ist allerdings in vielen anderen Ländern vollständig anders. Weitgehend uneingeschränkte Macht gilt dort als zentrale Voraussetzung für Stabilität, wirtschaftlichen Fortschritt und Wohlstand. Das mögen wir anders beurteilen, ändern können wir diese Interpretation von Macht von außen nicht. Wir müssen also mit dieser für uns „dunklen Seite der Macht“ umgehen.
Wir Deutsche tun uns dabei besonders schwer, haben wir doch vor dem Hintergrund unserer Verantwortung für die Grausamkeiten des letzten Jahrhunderts aus guten Gründen besonders hohe moralische Ansprüche für politisches Handeln entwickelt. Die damit verbundenen Werte sind für uns gerade keine „deutschen Werte“, sondern universelle.
Frankreich und Großbritannien handeln unbefangener
Andere europäische Länder wie Frankreich oder Großbritannien gehen mit diesen fremden Mächten unbefangener und wesentlich interessegeleiteter um. Niemand stoppte nach dem Auftragsmord an dem kritischen Journalisten Khashoggi aus Saudi-Arabien irgendeine Rüstungskooperation.
Und während Deutschland immer auf ausreichende Distanz zum früheren libyschen Diktator Gaddafi geachtet hat, durfte der mitten in Paris sein Wüstenzelt aufschlagen, in dem dann über umfangreiche Waffenlieferungen Frankreichs verhandelt wurde. Kein französischer Präsident hatte Sorge davor, in seinem Umgang mit der dunklen Seite der Macht, die fundamentalen Werte seines Landes zu verletzen. Denn die Werte galten für Frankreich, für die Welt galten Interessen.
Dauerkonflikt zwischen Moral und Interessen
Vor allem in Deutschland führt diese Unsicherheit im Umgang mit Ländern wie dem Iran, Saudi-Arabien oder mit der Türkei und Russland dazu, dass wir in einem Dauerkonflikt zwischen unseren wirtschaftlichen und auch sicherheitspolitischen Interessen einerseits und unseren moralischen Ansprüchen andererseits stehen.
Man muss dabei gar nicht die heikle Frage von Rüstungsexporten ansprechen. Bereits ganz normale wirtschaftliche Investitionsvorhaben oder Rohstofflieferungen stehen in diesem Spannungsfeld.
Auch wenn unsere europäischen Nachbarn unsere Skrupel nicht verstehen und sie sogar für die Entwicklung einer europäischen Rüstungs- und Verteidigungsindustrie als hinderlich ansehen, sollten wir uns zu ihnen bekennen. Wer mehr „Realpolitik“ oder „Robustheit“ im Umgang mit den Feudalsystemen und Diktaturen fordert, kann das nur deshalb tun, weil er den Alltag in diesen Ländern nicht erdulden und erleiden muss.
Man kann sich immer schuldig machen
Skrupel zu haben und Vorsicht walten zu lassen, ist richtig. Erst wenn daraus moralischer Übermut wird, kann das genauso schief gehen. Hätten wir keine Waffen an die kurdischen Peschmerga geliefert, was nach unseren Exportregeln eigentlich verboten gewesen wäre, hätten die Terroristen des IS die Volksgruppe der Jesiden ausgerottet. Man kann sich immer schuldig machen: durch Handeln und durch Unterlassen.
Und jeden wirtschaftlichen Kontakt einzustellen oder den Abbruch durch die andere Seite zu riskieren, heißt auch, keinerlei Einfluss mehr zu haben. Wir werden dies bald in Syrien merken, denn dort hat das finstere Regime Assads den Krieg mit denkbar brutalsten Mitteln gewonnen.
Problem Syrien
Es gäbe, weiß Gott, Gründe, keine Beziehungen mit diesem Regime zu unterhalten. Ob das klug und durchhaltbar ist, steht auf einem anderen Blatt. Wenn wir Europäer auch nur den geringsten Einfluss dort gewinnen möchten oder auch nur wissen wollen, was in diesem Land geschieht – nicht zuletzt mit dem Geld, das wir irgendwann in den Wiederaufbau des Landes stecken werden – dann werden wir dort auch wieder vertreten sein müssen.
Es dürfte eine Frage der Zeit und der Schamfrist sein, bis wir dort wieder europäische Vertretungen vorfinden. Nicht gleich durch Botschafter – und hoffentlich europäisch abgestimmt und nicht in nationalen Alleingängen. Das Beispiel Syrien zeigt, dass wir immer wieder gezwungen werden, im eigenen Interesse mit den dunklen und finsteren Seiten der Macht umzugehen.
Saudi-Arabien – zum Glück nicht vergleichbar mit Syrien – macht beispielsweise neben allen außenpolitischen Abenteuern und Brutalitäten auch einen innenpolitischen Reformkurs durch, der in unserem Interesse ist. Das Land bricht unter dem Kronprinzen Mohammed bin Salman mit der traditionellen Bindung an die religiösen Hardliner, die viel zu lange Ausgangspunkt von ideologischer oder auch finanzieller Terrorunterstützung gewesen waren.
Er bekämpft Korruption in seiner eigenen Familie und versucht, das Land zu modernisieren. Aber er tut dies mit archaischen und denkbar brutalsten Methoden und schreckt offenbar auch vor Mordaufträgen nicht zurück. Der Zweck – die Modernisierung des Landes – heiligt für ihn die Mittel.
Stillschweigende Akzeptanz
Ein machtpolitischer Grundsatz den wir Europäer nicht akzeptieren dürfen, es in Wahrheit aber doch stillschweigend tun – wenn unser wichtigster Verbündeter, die USA, ebenso handelt und damit unausgesprochen unsere Interessen wahrnimmt: Die Auftragstötungen mittels Drohnen durch die Armee der Vereinigten Staaten bei tatsächlichen (oder vermuteten) Terrorunterstützern folgen dieser machiavellistischen und unkontrollierten Machtausübung – und schützen auch uns.
Den Amerikanern gelten, ähnlich den Franzosen, ihre Werte und Begrenzungen der Macht für das Territorium der USA. Außerhalb davon geht es um Interessen. Deshalb gibt es bis heute ein Gefängnis in Guantanamo in Kuba, das es innerhalb des Landes nicht geben dürfte. Die dortigen Insassen wollen aber auch die Europäer lieber nicht zurück haben. Manchmal kollaborieren wir also stillschweigend mit der dunklen Seite der Macht, weil wir uns dann die Finger nicht selbst schmutzig machen müssen.
Die von uns kritisierten Länder wie Saudi-Arabien, Iran, Türkei oder Russland registrieren das und nehmen unsere moralischen Appelle deshalb nicht recht ernst. Wir sollten also einerseits nicht schweigen, wenn unsere Alliierten zu Mitteln greifen, die kein Zweck heiligen kann. Sonst wirft man uns zu Recht Doppelbödigkeit vor.
Politische Distanz
Und wir dürfen durchaus politische Distanz wahren zu Feudalstaaten wie Saudi-Arabien, müssen aber auch den Versuch unterlassen, ihn zum Paria zu erklären. Niemand sollte deutsche Investoren – auch Siemens nicht – für ihre wirtschaftlichen Aktivitäten in Saudi-Arabien brandmarken. Es ist weder im deutschen Interesse, Aufträge zu verlieren noch die Gesprächsfäden zu kappen und jeden Einfluss zu verlieren.
So lange das Land aber Nachbarländer unter Druck setzt und dort sogar Krieg führt sowie für Auftragsmorde verantwortlich zeichnet, verbieten sich rote Teppiche für gegenseitige Staatsbesuche. Rüstungskooperationen z.B. darf es nur im Gegenzug zu Friedensbemühungen im Jemen geben. Das darf Deutschland durchaus auch von seinen europäischen Nachbarn einfordern.
Dem Iran Hilfe anbieten
Und auch beim Iran gilt: Wer das Mullah-Regime beeinflussen will, wird das nicht durch eine tägliche Propagandaschlacht gegen „das Reich des Bösen“ erreichen, sondern wird sogar Hilfe anbieten müssen. Die aggressiven Reden des derzeitigen Staatspräsidenten Rouhani zum 40. Jahrestag der iranischen Revolution entspringen der innenpolitischen Defensive, in der er sich befindet. Und die liegt gerade nicht in unserem Interesse.
So lange der Iran das Gefühl hat, dass es dem Westen unter Führung der USA immer noch um Regime-Change geht, wird er seine gefährlichen Versuche nicht unterlassen, im Libanon, in Syrien und im Irak militärisch Fuß zu fassen. Denn von dort lässt sich der ideologische Erzfeind des Iran, Israel, im Falle eines Angriffs auf Teheran wesentlich leichter bedrohen. Israel wiederum wird sich das zu Recht nicht gefallen lassen und bombardiert deshalb seit geraumer Zeit die militärischen Stellungen des Iran und seines Proxys Syrien.
Wenn wir auf diese Lage und die Politik des Iran in unserem europäischen Interesse Einfluss ausüben wollen, müssen wir nicht nur gesprächsfähig bleiben, sondern diesen Gesprächen auch Taten folgen lassen. Niemand weiß, ob wir damit Erfolg haben und der Iran seine aggressive Außenpolitik ändert.
Aber die Angebote hoher Würdenträger speziell uns Deutschen gegenüber, dass man zu vielem bereit sei, was bisher im Iran undenkbar gewesen sei, wenn Europa und Deutschland dem Iran jetzt gegen die USA zur Seite stünden, sind einen Versuch Wert.
US-Sanktionen umgehen
Deshalb ist es richtig, wenn die Europäische Union trotz der Kritik am Iran und trotz des Drucks aus Washington bereit ist, die US-Sanktionen gegen das Land durch eine Handelsplattform zu unterlaufen. Mag sie auch nur symbolischer Natur sein, sie stärkt unsere Glaubwürdigkeit. Im Gegenzug muss der Iran bereit sein, die internationalen Standards gegen Geldwäsche zu akzeptieren, weil er sich sonst dem Verdacht der Terrorfinanzierung aussetzt.
Das iranische Parlament hat das gewollt und ist gerade vom religiösen Wächterrat gestoppt worden. Hier ist dann die Grenze für die Europäer erreicht. Ohne Sicherheit vor Geldwäsche und Terrorfinanzierung können auch wir keinen Handel mit dem Iran betreiben.
Der Umgang mit der Macht in diesen Ländern bleibt eine Gratwanderung. Diese aus moralischen Gründen nicht zu unternehmen, gefährdet europäischen Interessen. Gerade weil diese Länder wissen, wo wir als Deutsche stehen und weil wir zu allen Konfliktparteien Beziehungen unterhalten, macht es uns aber zu geradezu idealen Moderatoren. Dabei kann man scheitern. Erfolg ist allerdings auch nicht ausgeschlossen.
Sigmar Gabriel war SPD-Vorsitzender und mehrfach Bundesminister. Er ist Autor des Tagesspiegel.
Sigmar Gabriel