Kür der neuen SPD-Spitze: Die CDU hat Angst um den Regierungspartner
Das erste Treffen der Bewerber um die SPD-Spitze hat CDU und CSU nervös gemacht. Denn linke Thesen und Kritik an der Groko erhielten dort viel Beifall.
SPD-Veranstaltungen im Livestream zu verfolgen ist normalerweise nichts, womit Unionspolitiker ihre Freizeit verbringen. Für die erste Bewerberrunde um den SPD-Vorsitz machten manche aber doch mal eine Ausnahme. Was sie am Mittwoch aus Saarbrücken sahen, gefiel ihnen nicht.
„Sehr viel Linkstrend“, fasst einer seine Eindrücke zusammen, kaum gute Worte über die große Koalition, und zu allem Überfluss wenig Beifall für den einzigen, den sie in CDU und CSU als verlässlichen Partner betrachten. „So wie das da läuft, ist es nicht gut“, sagt einer aus der Führung der Unionsparteien. „Alles außer Olaf Scholz ist schlecht für uns.“
Doch es war es nicht der Finanzminister und Vizekanzler, der auf der ersten Regionalkonferenz der SPD mit den Bewerbern um den Parteivorsitz den meisten und lautesten Beifall einheimste. Begeistert beklatscht wurden in Saarbrücken Aussagen sozialdemokratischer Tandems, die entweder einen weit konfrontativeren Umgang mit der Union anpeilen oder sogar schnell der großen Koalition ein Ende machen wollen.
Teure Versprechen wie eine Kindergrundsicherung, ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle oder ein Mindestlohn von 14,50 Euro kamen gut an. Der Parteilinke Ralf Stegner und seine Co-Bewerberin Gesine Schwan rockten den Saal – ob Groko-Ausstieg oder nicht, halten sie sich offen.
Erster Rückzug
Viele in der SPD wünschen sich einen Aufbruch, den zu verkörpern Scholz schwer fällt. Er verantwortet seit zehn Jahren als Parteivize den Kurs der SPD mit. In der Fragerunde musste er den Vorwurf eines Genossen parieren, er sei kein glaubwürdiger Kandidat, weil er „uns in dieses Tal der Tränen geführt hat“.
Scholz zählte stakkatoartig Erfolge auf – Branchenmindestlohn, Kurzarbeitergeld, sozialer Wohnungsbau – und wehrte sich auf Denglisch: „Ich bin der Meinung, dass ich ein echter, truly Sozialdemokrat bin.“ Immerhin: In einer Umfrage unter SPD-Mitgliedern kam er mit seiner Mitkandidatin Klara Geywitz auf den ersten Platz.
Viel wert in Zahlen ist der allerdings nicht – 25 Prozent reichen nicht zum Sieg. In der SPD wird damit zwar gerechnet, dass Scholz/Geywitz in die Stichwahl kommen. Die größte Chance, den Finanzminister herauszufordern, habe dann aber ein Kandidaten-Duo, das sich deutlich von den beiden abgrenze.
Wenn das stimmt, empfahl sich in Saarbrücken als Herausforderer nicht das Pärchen Boris Pistorius und Petra Köpping – der niedersächsische Innenminister und die sächsische Integrationsministerin bekannten sich zur Regierungsverantwortung ihrer Partei. Anders Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken. Der Ex-NRW-Finanzminister und die linke Bundestagsabgeordnete bekamen Applaus, als sie die „Schwarze Null“ kritisierten. Unterstützt werden die beiden von Juso-Chef Kevin Kühnert und dem Landesvorstand der NRW-SPD, dem mitgliederstärksten Verband der Partei.
Der erste Rückzug aus dem anfänglich 17 Köpfe zählenden Bewerberfeld zahlte ebenfalls auf ihrem Konto ein. Die Oberbürgermeister Simone Lange (Flensburg) und Alexander Ahrens (Bautzen) verzichteten. Die beiden Kommunalpolitiker, auf linkem Ticket unterwegs, empfahlen ihren Anhängern, sich an Esken und „Nowabo“ zu halten – Walter-Borjans’ Kurzname.
Die Stoppmarken des Ralph Brinkhaus
In der Union fanden sie den Zug naturgemäß nicht ermutigend. Diese „Reise nach Jerusalem“ werde weitergehen, vermutet ein führender Unionspolitiker – mit einer logischen Folge: Je mehr Bewerberduos aus dem von Parteilinken dominierten Feld aufgeben, um so mehr konzentrierten sich die Stimmen ihrer Anhänger auf ein linkes Favoritenpaar. Dass zuletzt zwei SPD-Realopärchen den Parteivorsitz unter sich ausmachen könnten, wird damit unwahrscheinlich. Scholz könnte sich sogar gezwungen sehen, im Lauf der nächsten 22 Basistreffen ein linkes Klassenkämpferherz zu entdecken. In Saarbrücken versprach er schon mehr Steuern für Reiche und Gutverdiener.
Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus versuchte gleich Stoppmarken zu setzen. „Wir sind nicht bereit, eine neue Verteilungsdiskussion in diesem Land zu führen“, verkündete der CDU-Politiker bei der Klausur seines Fraktionsvorstand. „Wenn jemand meint, die Architektur dieser Koalition weiter nach links verschieben zu können, dann irrt er sich.“
Scholz hilft das nicht, im Gegenteil. Aber das Signal war wohl eher nach innen gerichtet. In der Union gibt es nämlich eine zweite Sorge: Dass die eigene Führung den Sozialdemokraten in den nächsten Wochen zu weit entgegen kommen könnte, um der SPD-Basis bloß keine neuen Argumente gegen die große Koalition zu liefern.
Robert Birnbaum, Hans Monath