Wehrbeauftragter Bartels im Interview: „Die Bundeswehr braucht die Vollausstattung“
Der Wehrbeauftragte fordert einen stärkeren Einsatz gegen Rechtsextremismus, ein größeres Engagement in Afrika – und eine Social-Media-Offensive.
Hans-Peter Bartels ist seit 2015 Wehrbeauftragter des Bundestags. Er wurde 1961 in Düsseldorf geboren, wuchs in Kiel auf und trat als Abiturient der SPD bei. Er leistete Wehrdienst im Heer. Seit 1998 sitzt er im Bundestag. Drei Mal holte er das Direktmandat in Kiel für die SPD.
Die Bundeswehr soll den Deutschen wieder nähergebracht werden, ab 1. Januar sollen Soldaten in Uniform dafür kostenlos Bahn fahren dürfen. Wird das reichen?
Kostenlos Bahnfahren finde ich gut. Hoffentlich geht das unbürokratisch. Die Bundeswehr muss sich aktiv um ihre Sichtbarkeit und Verankerung in der Gesellschaft bemühen. Nach einem neuen Ministeriumserlass soll die Truppe jetzt auch stärker in die Social-Media-Kanäle gehen. Das gilt für jede Soldatin und jeden Soldaten. Dann muss natürlich Schluss sein mit der Geheimniskrämerei, dass, außer am Tag der offenen Tür, möglichst nichts aus dem Leben in den Kasernen in die Öffentlichkeit dringen darf! Und übrigens sind jetzt auch Reservisten wieder gefragt. Je mehr gebraucht werden, desto breiter wird der alltägliche Austausch mit der Gesellschaft.
Immer wieder gibt es Berichte über Rechtsextremisten in der Bundeswehr. Wie kann der interne Kampf gegen Rechts gelingen?
Der gerade unterzeichnete Staatsvertrag über die Einführung von Militär-Rabbinern ist schon mal ein wichtiges Zeichen gegen Antisemitismus. Für den Phänomenbereich Rechtsextremismus bekommt der Militärische Abschirmdienst jetzt mehr Personal. Und im Bereich der politischen Bildung kann gewiss noch nachgebessert werden. Das gilt zum Beispiel für unsere Spezialkräfte im KSK. Wo die Härtesten der Harten ausgebildet werden, muss man sich im Klaren darüber sein, dass einzelne dann glauben können, sie müssten sich auch politisch das scheinbar Härteste suchen. Es sind einzelne, aber zu viele. Darüber muss man reden, die Gefahren thematisieren und die demokratische Identität der Soldaten stärken.
Nächstes Jahr rollt die Operation „Defender 2020“ an: 20.000 US-Soldaten werden quer durch Deutschland nach Osten verlegt. Kann die Bundeswehr die Unterstützung dafür logistisch überhaupt stemmen?
Eine Verlegeübung dieser Größenordnung gab es seit den 80er-Jahren nicht mehr. Das muss präzise koordiniert werden, eine erste Bewährungsprobe für das neue Unterstützungskommando in Ulm. Aber eine Übung ist natürlich dafür da, auch Fehler machen zu dürfen und daraus zu lernen.
Stichwort 80er-Jahre – kommt es bei so einer Massenpräsenz dann wieder zu Friedensdemos?
Warum nicht? Wir verteidigen ja eine sehr pluralistische, freiheitliche Gesellschaft. Aber ich rechne damit, dass alles planmäßig ablaufen kann. Viele Menschen spüren im Übrigen die veränderte Bedrohungslage. Bündnisverteidigung spielt wieder eine größere Rolle.
Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer plant auch neue Einsätze der Bundeswehr in Afrika und vor China. Kreuzt also bald die Marine im Südchinesischen Meer?
In der instabilen Sahel-Region wird sich Deutschland sicher stärker engagieren müssen, gemeinsam mit Frankreich, der EU und den Vereinten Nationen. Mit Blick auf China gilt prinzipiell: Deutschland und Europa haben ein Interesse daran, dass international nach fairen Regeln gespielt wird. Menschenrechte und Völkerrecht gehören dazu. Der chinesische Rückfall in die Einflusssphärenpolitik des 19. Jahrhunderts passt nicht zur regelbasierten Weltordnung, für die Europa im 21. Jahrhundert stehen muss.
Aber die Bundewehr hat doch weder das Gerät noch das Personal für ein stärkeres Engagement.
Angesichts der vielen anderen Aufgaben der Bundeswehr dürfte eine Marine-Präsenz im Südchinesischen Meer im Moment nicht ganz oben auf der Liste stehen. Aber natürlich muss unsere Marine wieder mehr einsetzbare Schiffe bekommen – für das globale Aufgabenspektrum, das im deutschen Weißbuch und in der Europäischen Sicherheitsstrategie steht.
Ende Januar veröffentlichen Sie wieder Ihren Jahresbericht. Können Sie schon einen Ausblick geben, wie lange die Bundeswehr noch so eine Trümmer-Truppe bleibt?
Unsere Soldatinnen und Soldaten leisten auch unter widrigen Bedingungen Erstaunliches. Aber Engagement kann nicht auf Dauer Ausrüstung ersetzen. In der Truppe sind die angekündigten Verbesserungen bisher kaum spürbar. Das Problem fängt bei den Schutzwesten an und endet bei der Raketenabwehr. Die Bundeswehr braucht die Vollausstattung, das ist bei jedem Truppenbesuch zu hören. Doch auf absehbare Zeit wird es bei der Mangelverwaltung bleiben, länger als geplant. Das hat das Ministerium gerade selbst dem Verteidigungsausschuss schriftlich mitgeteilt. Ich finde, die größte Volkswirtschaft Europas müsste in der Lage sein, ihre Streitkräfte zügig mit so etwas wie Transporthubschraubern und modernen Gefechtshelmen auszurüsten.
Warum geht es nicht voran?
Im Bundeswehrjargon spricht man von „Strukturen“ und „Prozessen“, die offenbar nicht gut sind für zügige Beschaffungen und vollständiges Geldausgeben. Nötig ist eine innere Reform. Und es müssen endlich Beschaffungsentscheidungen getroffen werden, damit nicht bald das eine existenzielle Projekt gegen das andere ausgespielt wird. Manche Entscheidungen sind überfällig, seit Jahren geschoben, aber die Bundeswehr braucht alles, vom schweren Transporthubschrauber über ein neues Luftverteidigungssystem bis zum Mehrzweckkampfschiff und dem Tornado-Nachfolger. Ich persönlich würde im Übrigen empfehlen, bei der persönlichen Ausstattung der Soldatinnen und Soldaten anzufangen. Die jetzt komplett zu beschaffen, ist sogar erheblich günstiger als jedes einzelne der angesprochenen Großprojekte, die jeweils über fünf Milliarden Euro kosten. Die angestoßenen „Trendwenden“ müssen spürbar werden!
Ihre Amtszeit als Wehrbeauftragter läuft noch bis Mai. Welche Pläne haben Sie für die Zeit danach?
Mal schauen. Man bewirbt sich nicht, sondern wird von den Mehrheitsfraktionen vorgeschlagen. Es ist eine Ehre. Und ich mache das gern.
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