Lehren aus der Hochwasserkatastrophe: Die Anpassung an den Klimawandel hat jetzt Priorität
Bis besserer Klimaschutz die Erwärmung bremst, können Jahrzehnte vergehen. Gefährdete Dörfer lassen sich durch Baumaßnahmen schneller schützen. Ein Kommentar.
Aus Schaden wird man klug? Das möchte man hoffen. Doch Zweifel drängen sich auf, ob Deutschland aus der tödlichen Hochwasserkatastrophe schnell genug lernt, was jetzt nottut – und in welcher Reihenfolge.
Als die Sturzbäche in engen Tälern Menschen, Autos und ganze Häuser mit sich rissen, biss sich die öffentliche Debatte quälend lange an der Frage fest, was das für die Klimapolitik und die Wahl im September bedeute. Die ist gewiss auch wichtig. Aber sollte der erste Gedanke nicht der Nothilfe gelten?
Und der zweite der Überlegung, wie sich eine Wiederholung in anderen schmalen Tälern und überschwemmungsgefährdeten Niederungen in den nächsten Jahren verhindern lässt? Bis ein kluger und hoffentlich effektiver Klimaschutz die Erderwärmung bremst und das Risiko von Extremwetter nicht weiter steigt, könnten Jahrzehnte vergehen.
Falsche Reihenfolge: Erst Klimaschutz, dann Nothilfe, kaum Anpassung
Vorbeugen ist besser als Heilen. Die Grünen samt ihrer zuvor gescholtenen Spitzenkandidatin Annalena Baerbock haben als Erste die Prioritätenliste in ihrem Umgang mit den Bürgerinnen und Bürgern neu justiert: Soforthilfe, Klimaanpassung, Klimaschutz. Die Nothilfe ist mit den Besuchen der Kanzlerin und anderer Politprominenz ins Zentrum der Wahrnehmung gerückt.
Der eminent wichtige zweite Punkt hingegen bleibt in der öffentlichen Auseinandersetzung weiterhin blass. Wie verbessern wir die Schutzmaßnahmen, um den Gefahren durch häufigere und heftigere Starkregen zu begegnen? Darf man zerstörte Gebäude an der gleichen Stelle wieder aufbauen? Muss man die Bebauungspläne ändern? Wo können Schutzmauern, höhere Dämme und Rückhaltebecken helfen?
Deutschland ist ein reiches Land und kann eher als ärmere Nachbarn die Mittel für den Dreiklang aus Nothilfe, Anpassung und langfristigem Klimaschutz aufbringen. Aber auch ein reiches Land kann jeden Euro nur einmal ausgeben und muss klug abwägen, welchen Teil es in die Bemühungen investiert, den Klimawandel zu bremsen, und welchen in die Anpassung an die neuen Klimaverhältnisse, die in jedem Fall kommen.
Das war nicht der erste Weckruf
In den Versprechungen von immer ehrgeizigeren langfristigen Klimaschutzzielen, die dann zusätzlich noch ein paar Jahre schneller erreicht werden sollen, ist die deutsche Politik Weltmeister. Warum scheut sie die Debatte, was sie in diesem und in den nächsten Jahren in die Wege leiten kann, um die Bürger durch Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel zu schützen?
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Die herzzerreißenden Bilder aus dem Ahr- und dem Erfttal sowie der Eifel sind schließlich nicht der erste Weckruf. Viele Regionen Deutschlands machen seit einiger Zeit die Erfahrung, dass die Flutpegel bei Extremwetter tendenziell höher liegen als früher und Siedlungsraum bedrohen, der einst als relativ sicher galt.
Die Bilder enger Täler, in denen Sturzbäche und das mitgeschleifte Geröll Häuser unterspülten und Fassaden aufrissen, kennt man, zum Beispiel aus den Flutkatastrophen in Sachsen 2002 und 2013 und aus dem baden-württembergischen Braunsbach 2016. Die Bauhaus-Universität Weimar hat in Studien zu den Hochwassern in Sachsen nachgewiesen, welchen Unterschied es ausmacht, ob Kommunen und Landkreise die Lücken in den Schutzmaßnahmen zügig schließen.
Wie in der Pandemie kann Vorbeugung Leben retten
Das Bundesumweltministerium hat vor wenigen Monaten den zweiten Fortschrittsbericht zur deutschen Anpassungsstrategie an den Klimawandel publiziert. Die öffentliche Reaktion? Nahe null.
Die Abwägung, ob die Flutkatastrophe die Anpassung derzeit dringlicher macht als den Klimaschutz, fehlt im Wahlkampf. Das Wetteifern um noch frühere Jahreszahlen für noch ehrgeizigere Klimaziele wirkt wie ein Ausweichen vor den naheliegenden, konkreten Aufgaben.
Gewiss, die bauliche Prävention wird sehr viel Geld kosten. Das fehlt dann anderswo. Und die schwarze Null im Haushalt wird noch schwerer zu erreichen sein. Doch wie in der Corona-Pandemie kann das Prinzip „Vorbeugen ist besser als Heilen“ viele Menschenleben retten.