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Nach der Hochwasser-Katastrophe im Erftkreis gehen die Aufräumarbeiten weiter.
© imago images/Future Image

Katastrophenschutz: Unruhe ist die erste Bürgerpflicht

Es ist leicht, angesichts der Überschwemmungen nach dem Staat zu rufen. Wir müssen uns aber auch auf unser eigenes Engagement besinnen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

Mehr als 160 Menschen sind Opfer des Hochwassers in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen geworden. Die Zahl derer, von denen es immer noch kein Lebenszeichen gibt, ist weit höher. Die Vermögensschäden gehen in die Milliarden. Überhaupt nicht zu beziffern aber ist das Ausmaß des Vertrauensverlustes in die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Infrastruktur und die Berechenbarkeit staatlichen Handelns.

Erst langsam zeichnet sich ab, dass grundlegende Versorgungssysteme wie Strom, Telefon, Wasser, Verkehrsanbindungen und öffentlicher Nah- und Fernverkehr über einen langen Zeitraum eingeschränkt sein könnten. Und wenn sich bewahrheitet, dass rechtzeitige Warnungen vor den Starkregenfällen und dem Hochwasser durch das europäische Warnsystem Efas in Behörden hängen blieben oder nicht ernst genug genommen wurden, haben wir es auch mit einem Staatsversagen zu tun.

Es gibt aber Konsequenzen, die nicht nur den organisierten Staat, sondern uns alle betreffen. Wir Bürgerinnen und Bürger müssen uns darauf einrichten, dass es Lebensrisiken gibt, deren Gefahren wir selbst begegnen müssen. Und wir müssen verlangen, dass der Staat – der wir ja selbst sind – uns als mündige Menschen behandelt, und wir müssen uns auch so benehmen.

Es geht nicht an, dass wir auf allgegenwärtige Lebensrisiken nicht vorbereitet sind, weil der fürsorgliche Staat uns damit nicht belasten will. Genau so hat der frühere Präsident des Deutschen Feuerwehrverbandes, Hartmut Ziebs, aber gerade die fehlende Einbindung in den nationalen Katastrophenschutz erklärt. Sehr wohl in Erinnerung ist noch eine Anmerkung des ehemaligen Bundesinnenministers Thomas de Maizière angesichts verschwiegener Terrorismusbedrohungen, man wolle die Bevölkerung nicht beunruhigen.

Der schöne Traum von einer Friedensdividende

Nach dem vermeintlichen Ende des Ost-West-Konfliktes 1990 wurde vor allem in Deutschland von einer Friedensdividende gesprochen, die man nun einstreichen könne. Das wichtigste Merkmal war die Reduzierung der Bundeswehr von 495000 auf 184000 Frauen und Männer – dabei ist nicht eingerechnet, dass die gesamte Nationale Volksarmee der DDR, die NVA, mit 170000 Soldaten aufgelöst wurde.

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Auf eine Friedensdividende im übertragenen Sinne wollen wir – unausgesprochen – seitdem Anspruch haben. Die Sirenen zum Beispiel, mit denen früher vor Gefahren gewarnt wurde, sind fast alle abgeschafft: in Berlin 1990 mit der Begründung, die Stadt seit dafür zu dicht besiedelt. Bei einem Probe-Warntag im September 2020 funktionierten die letzten auch nicht, und die Warn-App „Nina“ reagierte erst mit halbstündiger Verspätung. Nicht nur hier versagte die digitale Kommunikation – wenn es denn überhaupt so etwas gab.

Auch die gute alte Sirene kann noch schützen. Hier ein neu installiertes Exemplar auf einem Hausdach in Mecklenburg-Vorpommern.
Auch die gute alte Sirene kann noch schützen. Hier ein neu installiertes Exemplar auf einem Hausdach in Mecklenburg-Vorpommern.
© Jens Büttner / dpa

Nein, wir müssen uns aus dieser Unmündigkeit befreien, in die wir uns alle eingelullt haben. Da Strom und Wasser ausfallen können, muss man Batterien für ein Radio im Haus haben, genauso wie Kerzen und Notvorräte an Getränken und Nahrungsmitteln. Wir könnten uns mehr beim Roten Kreuz, bei der Freiwilligen Feuerwehr und sozialen Organisationen engagieren. Wir müssen lernen, dass Katastrophen nicht nur in Science-Fiction-Filmen geschehen.

Und wenn wir das mit dem angewandten Klimaschutz in unserer Stadt endlich kapiert haben, lässt sich vielleicht schon die nächste Überschwemmung verhindern.

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