Präsidentschaftswahl in Österreich: Die Angst vor dem Parteienkartell
Österreich könnte einen Bundespräsidenten der FPÖ bekommen. Die Gegenkampagne ringt um eine Position - und macht sich selbst das Leben schwer.
Wenige Monate nach dem Brexit-Referendum in Großbritannien steht in Europa wieder eine historische Wahl an: Am 4. Dezember wählen die Österreicher einen neuen Bundespräsidenten. Mit der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) könnte zum ersten Mal in der europäischen Nachkriegsgeschichte eine rechtsextreme Partei ein Staatsoberhaupt stellen: Norbert Hofer, 45, derzeit Dritter Parlamentspräsident des Landes.
Seit Monaten liegen die beiden Kandidaten – Hofer und der ehemalige Grünen-Chef Alexander Van der Bellen – in Umfragen fast gleichauf. Es sieht nicht so aus, als schaffe es der offiziell unabhängige Van der Bellen, das Land gegen Hofer zu mobilisieren. Zu wenig Personal hat seine Kampagne, zu wenig Unterstützung bekommt sie. Zu etabliert ist die FPÖ bereits.
Norbert Hofer lächelt viel. Er spricht bedacht und gemäßigt. Doch der stellvertretende Parteichef hat über Jahre das Programm seiner FPÖ geprägt, die Politikwissenschaftler als rechtsextrem oder rechtspopulistisch bewerten. Rechtspopulistisch ist dabei nicht gemäßigter gemeint, sondern dass die Partei das Volk gegen eine angebliche Schickeria-Elite in Stellung bringt.
Regelmäßige Kontakte zu neonazistischen Gruppen finden sich in Hofers Vergangenheit nicht. Darin unterscheidet er sich etwa von seinem Parteichef Heinz- Christian Strache. Doch Hofers Büroleiter im Parlament hatte einst Kontakte in die Neonaziszene. Und Hofer selbst trug einmal im Parlament eine Kornblume am Revers – die ein Erkennungszeichen der in Österreich von 1933 bis 1938 verbotenen NSDAP war. Hofer argumentierte, er lasse sich das viel ältere Symbol nicht von den Nazis wegnehmen.
Die Grünen halten sich zurück
So war die Stichwahl zwischen Hofer und Van der Bellen am 22. Mai eine Richtungswahl: liberal oder extrem rechts? Mit etwa 30000 Stimmen Vorsprung gewann Van der Bellen, 50,3 zu 47,7 Prozent. Hofer siegte auf dem Land, Van der Bellen in der Stadt. Doch Hofer focht die Wahl an – erfolgreich: Das Bundesverfassungsgericht fand zwar keine Hinweise auf Wahlbetrug, wohl aber Regelverstöße beim Auszählen. Manipulationen seien damit denkbar. Wahlwiederholung.
Weil die Briefwahlumschläge nicht richtig klebten, wurde die Neuauflage der Stichwahl dann noch einmal verschoben. Neuer Termin: 4. Dezember. Kürzlich gab es also den vierten Wahlkampfauftakt zu Bundespräsidentenwahl. Van der Bellen ließ „One More Time“ von „Daft Punk“ spielen: noch einmal auf die Straße, noch einmal mobilisieren.
Umfragen sehen beide Kandidaten aber unverändert gleichauf. Hofer liegt meist knapp vorne, aber verlässliche Prognosen sind unmöglich.
Müssten Grüne, Liberale, Linke und Konservative nicht alarmiert sein? Van der Bellens Kampagne setzt auf Abgrenzung: „Vernunft statt Extreme“ – „Wählen! Nicht wundern“ und „Mehr denn je“: Die Botschaft ist klar nach Brexit und Trump-Sieg in den USA.
Doch Van der Bellen hat ein Problem: Hinter Hofer steht die FPÖ mit ihren 50.000 Mitgliedern überall im Land und ihren gut gefüllten Kassen. Die Grünen dagegen haben nur knapp 6500 Mitglieder und könnten Van der Bellen selbst dann nicht genauso unterstützen, wenn sie es wollten.
Aber: Sie wollen gar nicht. Denn offiziell ist Van der Bellen unabhängig. Immer wieder hört man von Grünen, eine zu große Nähe zur Partei könne ihm im konservativen Lager schaden. „Ich würde sogar sagen, Grüne haben ihn schon viel zu oft als ihren Kandidaten verkauft“, sagt etwa Michael Ikrath von der konservativen ÖVP. Er hat den Aufruf der „Bürgerlichen für Van der Bellen“ gestartet, denn: „Hofer halte ich für vollkommen ungeeignet.“
Viel Zuspruch, keine Wahlempfehlung
Viele prominente Politiker der ÖVP haben seinen Aufruf unterzeichnet. Die meisten, die sich äußern, werden für Van der Bellen stimmen. Als Person, heißt das dann. Dasselbe gilt für die liberalen Neos – und für die sozialdemokratische SPÖ: Parteichef und Bundeskanzler Christian Kern oder der Wiener Bürgermeister Michael Häupl bekennen sich öffentlich zur Wahl von Van der Bellen.
Trotzdem spricht keine der Parteien eine offene Wahlempfehlung aus. Auch nicht der Gewerkschaftsbund oder die Industriellenvereinigung. Alle ziehen sich offiziell auf die Position zurück, mündige Wähler könnten selbst entscheiden.
Dafür gibt es gute Gründe. Da ist die Angst, einen Partner zu vergraulen: Derzeit koaliert die ÖVP in Oberösterreich und die SPÖ im Burgenland mit der FPÖ. Die holte bei Parlamentswahlen seit 1990 immer zweistellige Wahlergebnisse. Von 2000 bis 2006 regierte sie auf Bundesebene mit. In Umfragen liegt sie derzeit vorn.
Hinzu kommt die Angst, die eigene Basis zu verärgern: Die Wähler des ÖVP-Kandidaten der ersten Runde waren fast zu gleichen Teilen zu Hofer und zu Van der Bellen gewandert: Arbeiter und klassische Gewerkschafter wählen durchaus häufig die FPÖ.
Und da ist schließlich die Angst, den Vorwurf der Populisten zu bestätigen, es gebe ein Parteienkartell, eine Verschwörung der Polit-Eliten gegen die Stimme des Volkes.
Niemand steht bereit, einzuspringen
Deshalb hängt die Organisation der Kampagne am Verein „Gemeinsam für Van der Bellen“. Zurzeit stemmen dort zehn Personen die Organisation, sagt eine Mitarbeiterin. Ein ausführliches Gespräch lehnt das Team ab: Man konzentriere sich aus Zeitgründen auf österreichische Regionalmedien.
Die Grünen bezahlen zwar einen Großteil der Plakate. Aber weder sie noch die Jungen Grünen stimmen Aktionen wirklich ab. Die SPÖ steuert ein paar Plakate in Wien bei und stellt ihren Mitgliedern frei, für Van der Bellen auf die Straße zu gehen. Aber sie empfiehlt es nicht.
Van der Bellens Anhänger loben unermüdlich die unabhängigen Unterstützergruppen. Eine Graswurzelbewegung soll das sein. Doch viele sind vor allem auf Facebook aktiv. Niemand scheint genau zu wissen, wer so welche Aktionen macht. Das heißt auch: Wenn es irgendwo auf dem Land gerade keine Gruppe gibt, wenn dort keiner auf die Straße geht, steht niemand bereit, einzuspringen.
Van der Bellens Unterstützer hoffen eben, dass es trotzdem reicht.
Jonas Schaible
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