Bundespräsident: Warum in Österreich die Wahl wiederholt wird
Das Verfassungsgericht hat die Bundespräsidentenwahl in Österreich für ungültig erklärt. Nun muss sie wiederholt werden. Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Aus welchem Grund wurde die Stichwahl für ungültig erklärt?
In 14 Bezirken hatten bei der Stichwahl vor allem die Beisitzer, also zivile Helfer aus der Bevölkerung, die nur für die Auszählung der rund 700.000 Briefwahlstimmen engagiert und von den Parteien gestellt wurden, mehrere Fehler gemacht. Viele waren bei der Auszählung gar nicht anwesend, weil dies am Montag nach der Wahl, einem Arbeitstag, passierte. Trotzdem hatten fast alle die rechtmäßige Auszählung durch die Beamten mit ihrer Unterschrift protokolliert – ein Vorgang, der schon oft vorgekommen sein soll.
Die Wahlleiter rechtfertigten sich mit Zeitdruck und Anforderungen des Innenministeriums, das auf eine rasche Übermittlung der Ergebnisse gedrängt haben soll. Nicht feststellen konnte das Verfassungsgericht allerdings, dass es dadurch bei der Auszählung zu Fehlern mit falscher Zuordnung der Stimmzettel gekommen war, bewusste Manipulationen wurden ebenfalls nicht festgestellt.
Die FPÖ argumentierte in ihrer Anfechtung mangels Beweisen nicht mit Manipulationen, politisch aber lamentierte sie, dass vor allem in Pflegeheimen in Wien ungewöhnlich viele Stimmen durch Betreuer von Patienten abgegeben worden sein sollen – zugunsten des Kandidaten der gesammelten Linken, Alexander Van der Bellen. Deshalb ist die FPÖ für die Abschaffung der Briefwahl, die fast 15 Prozent der Wähler nutzten.
Das Verfassungsgericht sah auch das Wahlgeheimnis dadurch verletzt, dass Wahlbehörden in den Bundesländern, wie zum Beispiel in Vorarlberg, wo schon um 13 Uhr die Wahllokale schlossen, die Ergebnisse an ausgewählte Stellen außerhalb des Innenministeriums weitergaben. Unter anderem an das ORF und die Austria Presse Agentur. Das ist seit Jahrzehnten üblich, um sofort nach dem Schließen der Wahllokale eine tragfähige Hochrechnung präsentieren zu können. Das Gericht verbot das in seinem Urteil nun. Aus allen Parteien kommen jetzt Forderungen nach Änderungen des Wahlrechts, die aber erst nach der Wiederholung der Stichwahl vorgenommen werden können.
Dass das Gericht als Kompromiss auch auf eine Neuauszählung der aufbewahrten Stimmzettel hätte entscheiden können, stand offenbar nie zur Debatte. Obwohl eben nur die Auszählung problematisch war und Manipulationen nicht erkannt wurden.
Womit muss man bei der Wiederholung der Wahl rechnen?
Beide Seiten geben sich optimistisch, die neue Chance für sich nützen zu können. Konkret dürfte der Wahlkampf das Land noch mehr spalten als beim ersten Mal. Weit über die Parteigrenzen hinweg zeichnen sich dabei die zwei Lager ab: das eine von Alexander Van der Bellen, der sich zwar selbst als unabhängig bezeichnet, der aber Grünen-Chef war und dessen Wahlkampf von den Grünen finanziert und organisiert wurde.
Ihm zur Seite sprangen nicht nur alle SPÖ-Funktionäre, auch ehemalige Spitzenleute der eigentlich konservativen ÖVP warben für ihn. Teilweise aus Überzeugung, dass damit ein verheerendes Bild des Landes im Ausland mit einem FPÖ-Präsidenten verhindert werde, teilweise aber auch aus innerparteilichen Rachemotiven. Die Ausgrenzung und Dämonisierung der FPÖ als rechtsextreme bis kryptofaschistische Partei durch die politischen Gegner und einen Teil der Presse erreichte damit jedenfalls einen neuen Höhepunkt, wie er seit 2000, ihrer Koalition mit der ÖVP, nicht mehr da gewesen war.
Und das, obwohl ihr Kandidat Norbert Hofer fast alles tat, um als moderater und für alle Österreicher wählbarer Kandidat zu wirken. Sehr geschadet hatte ihm bei vielen unentschlossenen Wählern aus dem bürgerlichen Bereich seine Aussage in einem TV-Duell mit Van der Bellen: „Sie werden sich noch wundern, was alles geht als Bundespräsident“, polterte Hofer.
Das gab er selbst nach der Niederlage als Fehler zu. Denn damit wurde ihm eine sehr weite Auslegung der Kompetenzen unterstellt, die die Verfassung von 1929 tatsächlich ermöglichen würde. Das betraf im Wahlkampf vor allem die mögliche Entlassung einer Bundesregierung, die laut Hofer zum Beispiel in der Migrantenfrage bestehende Gesetze verletze.
Als ungeklärt werfen Hofers Gegner ihm auch seine Haltung und die seiner Partei zur Europäischen Union vor: Hofer habe früher sehr kritisch über Österreichs Mitgliedschaft gesprochen und kein klares Bekenntnis zur EU abgelegt. Damit war die Aussage Van der Bellens in den Mittelpunkt des Wahlkampfes gerückt, als Bundespräsident keinen Kanzler ernennen zu wollen, der der FPÖ angehöre und die EU „zerstören“ wolle.
Wie wirkt sich der Brexit auf die Wahlwiederholung aus?
Das ist nach dieser Vorgeschichte schwer abzuschätzen. Tatsache ist, dass sich FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache, der das Kanzleramt seit Jahren anstrebt, bisher eher vorsichtig geäußert hat. Der Jubel vieler seiner Anhänger in und außerhalb der Partei über den Brexit war größer als sein eigener. Eine repräsentative Umfrage nach der Brexit-Entscheidung am 23. Juni ergab, dass sich die Österreicher mehrheitlich nicht davon beeinflussen lassen. Eine deutliche Mehrheit quer durch alle Bevölkerungsschichten ist weiterhin für die Mitgliedschaft in der EU.
Da auch die Zahl der Zuwanderer nach Österreich nicht so stark angestiegen ist, wie es zumindest der ÖVP-Teil der Regierung befürchtet hatte, ist das Thema für Hofer nicht mehr ganz so hilfreich. Dazu trägt auch die Konfrontation mit der zuletzt verstärkt auftretenden rechtsradikal-erzkonservativen Formation der „Identitären“ bei, mit der es personelle Verflechtungen seitens der FPÖ geben soll. Ihr Auftreten ruft regelmäßig eine Übermacht von linken, grünen und sehr oft auch linksradikalen Gegendemonstranten hervor, die bisher regelmäßig in Gewalt ausartete, fast ausnahmslos vonseiten der Gegendemonstranten. Auch auf dieser Seite führen organisatorische und inhaltliche Linien direkt in die Parteizentralen, allerdings in die der Grünen und der SPÖ.
Was sagen die Kandidaten selbst zur neuen Situation?
Hofer erklärte, er sei „froh, dass der Verfassungsgerichtshof eine schwierige Entscheidung objektiv getroffen“ habe. „Ich habe großes Vertrauen in den Rechtsstaat“, fügte er hinzu. Van der Bellen ist auch für die Wiederholung der Präsidentenwahl siegessicher. „Wenn ich es einmal geschafft habe, kann ich es auch ein zweites Mal schaffen“, sagte der 72-jährige Wirtschaftsprofessor. „Wir werden in den kommenden Monaten wieder eine breite Bürgerbewegung auf die Beine stellen“, sagte Van der Bellen. „Das ist kein Spiel. Mir geht es um den Zusammenhalt in Österreich“, betonte Van der Bellen.
Ist das Ansehen Österreichs jetzt ramponiert?
Geht man von den Reaktionen in der ausländischen Presse aus, dann ja. Vor allem die Medien der in Demokratiefragen weltweit führenden Schweiz schütteln nur den Kopf über so viel Schlamperei und Dilettantismus. Nur begrenzt wird anerkannt, dass die Briefwahl ein Instrument zur Erhaltung hoher Wahlbeteiligung ist und dass es vor allem nicht den geringsten Verdacht einer vorsätzlichen Manipulation gibt.
Wer vertritt den Bundespräsidenten bis zur Wiederholung der Wahl?
Verschärft wird das unvorteilhafte Image des Landes nach diesem Urteil durch das Vakuum an der Staatsspitze. Zwar ist die Nationalratspräsidentin, also die Chefin der wichtigen ersten Kammer des Parlaments, ohnehin protokollarisch die Nummer zwei im Staate, aber ohne Bundespräsident für mehrere Monate war das Land, abgesehen von einer kurzen Periode 1974, nach 1945 noch nie. Nicht einmal in der turbulenten Ersten Republik der Zwischenkriegszeit gab es eine solche Phase.
Der amtierende Bundespräsident Heinz Fischer muss am 8. Juli nach zwei Amtszeiten definitiv ausscheiden. Er kann der Wiederholung aber durchaus etwas Positives abgewinnen: Ohne eine Wiederholung der Wahl hätte es Zweifel am neuen Staatsoberhaupt geben können, daher sei sie gut für Österreich, sagte er direkt nach der Urteilsverkündung.
Reinhard Frauscher