zum Hauptinhalt
Frauen und Städte gaben den Ausschlag für den Grünen Van der Bellen.
© dpa

Erfolg der Rechtspopulisten: Frau gegen Mann, Stadt gegen Land

Globalisierungsverlierer? Opfer der Wirtschaftskrise? Enttäuschte Konservative? Die gängigen Erklärungen, warum Bürger rechts wählen, tragen nicht. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

In ganz vielen Ländern gewinnen Rechtspopulisten Zulauf: in Frankreich, in Polen, in Ungarn, in den USA, bei Landtagswahlen in Deutschland. In Österreich hat die FPÖ die Präsidentschaftswahl soeben nur ganz knapp verloren. Die gängigen Erklärungen, warum immer mehr Bürger für einen Norbert Hofer, eine Marine Le Pen, einen Donald Trump, die Kaczynskis oder die AfD stimmen: Das seien die Opfer von Globalisierung, Wirtschaftskrise, hoher Arbeitslosigkeit. Und enttäuschte Konservative seien anfälliger als vormalige linke Wähler - was wiederum auf einem traditionellen Bild aufbaut, was als "rechts" und was als "links" in der Politik gilt. In einem solchen Denksystem gelten Nationalstolz und die Sehnsucht nach einer starken, auch autoritären Führungsfigur als "rechts", soziale Wohltaten und der Widerstand gegen die Globalisierung als "links".

Globalisierung erklärt das Wahlverhalten nicht

Die Wähleranalysen aus Österreich stellen solche Deutungen in Frage. Globalisierung? Die müsste doch am ehesten in den alten Industriegebieten um Wien, Linz, Bregenz zu spüren sein. Doch diese Regionen gewann der Grüne Alexander Van der Bellen mit hohem Vorsprung. Und, umgekehrt gefragt: Sind die Regionen, wo Hofer vorne lag wie die Alpentäler oder Kärnten Opfer der Globalisierung? Sie leben vom Fremdenverkehr, haben den Nutzen davon, dass immer mehr Wanderer, Skifahrer, Erholungsuchende aus anderen Ländern kommen.

Österreich erlebt keine Wirtschaftskrise

Wirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit? Österreich geht es gut. Die Arbeitslosenrate beträgt 5,8 Prozent, das ist drei Prozentpunkte besser als der EU-Durchschnitt. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf ist mit 39.100 Euro höher als in Deutschland (37.100 Euro) und weit über EU-Durchschnitt (27.400 Euro).

Die Analyse, wer für Van der Bellen und wer für Hofer gestimmt hat, weist drei andere Kriterien als ausschlaggebend aus: Geschlecht, Wohnort und Bildung. Frauen wählten zu 60 Prozent Van der Bellen, Männer zu 60 Prozent Hofer. Van der Bellen hatte in den großen Städten einen klaren Vorsprung, Hofer auf dem Land. Bürger mit Universitätsabschluss (81 Prozent) oder Abitur (73 Prozent) wählten Van der Bellen. Bürger, die nur die Pflichtschule (55 Prozent) oder eine Lehre (67 Prozent) abgeschlossen haben, entschieden sich für Hofer.

Frauen, Städte, Bildung geben den Ausschlag

Das Muster Frau gegen Mann, Stadt gegen Land, höhere Bildung gegen einfache Bildung zeigt sich auch in anderen Ländern, in denen Rechtspopulisten aufsteigen. In den USA entscheiden sich Männer, die Bewohner ländlicher Regionen und der Kleinstädte sowie Bürger mit einfacher Bildung ganz überwiegend für Donald Trump; hingegen Frauen, die Bewohner der Metropolen und die besser Gebildeten ganz überwiegend für Hillary Clinton. In Deutschland zeigt sich der "Gender Gap", der Geschlechterunterschied, noch viel deutlicher. Der Männer-Anteil unter AfD-Wählern ist erdrückend. Die jüngsten Landtagswahlen stellen aber auch die These in Frage, dass Bürger, die bisher Mitte-Rechts wählten, offener für die AfD seien, als Bürger, die zuvor Mitte-Links wählten. Die meisten neuen Stimmen erhielt die AfD von bisherigen Nicht-Wählern. Die Wählerwanderung von Union und FDP zur AfD war in den beiden westlichen Bundesländern Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg ähnlich groß wie die von SPD, Grünen und Linken zur AfD. In Sachsen-Anhalt wanderten deutlich mehr Mitte-Links als Mitte-Rechts-Wähler zur AfD.

Auch das Alter spielt eine Rolle bei der Anfälligkeit für Rechtspopulismus. In den meisten Ländern sind Ältere deutlich offener, einem Rechtspopulisten die Stimme zu geben, als jüngere Wähler, zum Beispiel in Deutschland und den USA. In Österreich und Polen ist dieses Phänomen hingegen nicht zu beobachten. 51 Prozent der Über-60-Jährigen stimmten für den Grünen Van der Bellen, 49 Prozent für Hofer von der FPÖ. In Polen entschieden sich viele Jungwähler für die PiS-Partei und die Kukiz-Bewegung.

Die gängigen Erklärungen, die ihren Ursprung noch in der Zeit der ideologischen Auseinandersetzung zwischen einem marktwirtschaftlichen System im Westen und einem sozialistischen System im Osten hatten, tragen nicht mehr. Es ist freilich leichter zu belegen, welche Bindungskräfte nicht mehr dominierend sind, als zu ergründen, welche neue Bindekräfte an ihre Stelle getreten sind. "Identity", also die subjektive Wahrnehmung, wo ein Mensch sich selbst im politischen Spektrum einordnet, wird für das Wahlverhalten wichtiger als die Frage der ökonomischen Interessen. Arbeiter wählen nicht mehr automatisch links, Vermögende nicht automatisch FDP oder Union.

"Rechts" und "links" vermischen sich

Zu den überholten Denkmustern gehört eventuell auch die Einordnung einer FPÖ, einer AfD, einer polnischen PiS, eines Front National und eines Donald Trump als "rechts". Sie verbinden das Nationale und das Soziale, vermischen also, was im ideologischen Zeitalter als "rechts" und als "links" galt. Sie verteidigen die 35-Stunden-Woche und den Mindestlohn, erhöhen das Kindergeld, sind für kürzere Lebensarbeitszeit und höhere Renten - und natürlich gegen Handelsfreiheit und für Protektionismus. Da sind ganz viele Schnittmengen mit der traditionellen Linken.

Womöglich kehrt die Trennlinie aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg und der darauf folgenden ideologischen Ost-West-Spaltung zurück: "Urbanisten" gegen "Völkische". Angesichts der deutschen Geschichte ist das ein riskantes Vokabular. Es kann leicht missverstanden werden. Aber viele Aspekte des politischen Diskurses und des Wahlverhaltens heute erinnern an die damals vorherrschende Trennungslinie. Sie verlief, grob gesagt, zwischen Bürgern, die sich als großstädtisch und weltoffen betrachteten, und Bürgern, die in nationalen Gegensätzen dachten und die eigene Scholle verteidigten.

Frauen sind progressiver

Stadt gegen Land und das Bildungsniveau - das ist etwas anderes als "rechts" gegen "links". Und wie passt Frau gegen Mann dazu? Die "Urbanisten" waren damals und sind heute nicht durch die Bank, aber doch überwiegend Anhänger der Gleichberechtigung und der Emanzipation. Das "völkische" Denken ging und geht einem patriarchalischen Weltbild einher. Und deshalb sind Frauen wohl doch die fortschrittlicheren BürgerInnen.

Zur Startseite