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Monate ließ Merkel Macron warten: Jetzt fällt ihre Antwort auf seine EU-Reformvorschläge eher mager aus.
© Ludovic Marin/AFP

Deutsch-französisches Verhältnis: Die Angst der Kanzlerin vor dem europäischen Stier

Endlich antwortet Merkel auf Macron. Es ist aber höchstens eine Anzahlung – die große Geste bleibt sie schuldig. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Monate und Monate und Monate – man konnte schon meinen, Angela Merkel wolle Emmanuel Macron gar nicht mehr auf seine Europa-Vorschläge antworten. Und in Paris dachten sie das zuletzt wohl auch schon. Aber jetzt: Die Bundeskanzlerin macht eine Anzahlung.

Nicht in einer großen Rede, die ohnehin nicht so ihre Sache ist, sondern in einem Zeitungsinterview. Aber das passt auch ganz gut, papiern, wie ihre Ausführungen zum Sujet klingen. Wo Frankreichs Staatspräsident mit großer Geste daherkommt, mit Pathos für den Fortbestand, die Erweiterung, die Vertiefung und alles das in Europa wirbt, sich in alle möglichen und unmöglichen Breschen wirft, kommt die deutsche Freundin mit ernüchterndem Pragmatismus.

Ob beim Umbau des ESM zum EWF, vom Europäischen Sicherheitsmechanismus zum Europäischen Währungsfonds; ob bei neuen Kreditmöglichkeiten für Länder des Euro in Not oder einem Investivhaushalt – bei Merkel regiert die Vorsicht. Richtig neu ist es nicht, was sie anbietet, und da, wo es ein neuer Anfang sein soll, klingt es klein: Das Geld für Investitionen wird im unteren zweistelligen Milliardenbereich liegen, sagt Merkel, und auch noch schrittweise eingeführt werden. Krisen lassen sich damit nicht bewältigen.

Ein großer Sprung in Merkels Trippelschritten – das kann nicht gehen. Im Elysee werden sie sich die Haare raufen. Darauf hat Frankreich jetzt so lange gewartet? Dass die deutsche Kanzlerin, vor gar nicht allzu langer Zeit noch als Führerin der westlichen Welt apostrophiert, sich leiten lässt von dem, was ihre Unionsfraktion will? Oder besser: nicht will?

Die Abgeordneten von CDU und CSU verhalten sich, als komme man ihnen mit dem Gottseibeiuns, wenn es um Finanzfragen geht. Dabei geht es noch nicht einmal in erster Linie darum; es geht nicht um eine Transferunion. Es geht um den Zusammenhalt der Europäischen Union.

Und um eine Vision. Eine „gemeinsame Fiskalkapazität“ für die Euro-Zone, sprich: ein Finanzminister; eine wirkliche gemeinsame Außenpolitik, eine starke gemeinsame Verteidigungsidentität, eine Ergänzung der Geld- durch eine gemeinsame Wirtschaftspolitik – das wäre etwas. Das hätte: Zukunft. Dafür einzutreten hieße, den europäischen Stier bei den Hörnern zu packen. Aber das ist Berlin wieder alles eine Nummer zu groß.

Hier herrscht vor allem Angst, in diesem Fall vor einer weiteren Schuldenkrise des Euro, jetzt durch die Italiener. Und was wird aus Spanien unter dem Linken Pedro Sanchez? Oder mit den Griechen?

Aber daraus kann doch nicht folgen, dass man keine Antworten sucht, die den Herausforderungen gerecht werden. Auch durch die Vereinigten Staaten von Amerika. Und das ist eine große. Sie setzt mehr Einigung in Europa denn je voraus.

Bleibt nur die – vage – Hoffnung, dass das, was Merkel jetzt in Aussicht gestellt hat, nicht schon alles war. Sonst kommt der Zeitpunkt, vielleicht in Monaten oder noch schneller, als der Bundeskanzlerin und uns lieb sein kann, an dem klar wird: Frankreichs Präsident hätte ganz anderes verdient gehabt – eine große Geste. Aber dann ist es womöglich schon zu spät.

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