Pro und Contra: Ist die Lage in Italien gefährlich für Europa?
Die drittgrößte Volkswirtschaft der EU wird jetzt von rechten und linken Populisten regiert. Sollten wir uns wegen Italien Sorgen machen? Ein Pro und Contra.
PRO
Die Finanzmärkte wetten gegen Italien, die Zinsen für italienische Staatsanleihen steigen immer weiter, am Ende muss der Premierminister in Rom zurücktreten. Dies ist kein Zukunftsszenario, sondern italienische Geschichte. Der Premierminister, der damals, im November 2011, zurücktreten musste, hieß Silvio Berlusconi.
Die Euro-Krise war seinerzeit in vollem Gange, und damit geriet auch Berlusconi ins Visier. Der „Cavaliere“ machte keine Anstalten, den riesigen Schuldenberg des Landes abzubauen. Die Folge: An den Finanzmärkten schossen die Risikoaufschläge italienischer Anleihen, die sogenannten „spreads“, in die Höhe.
Bei der Begründung von Berlusconis Rücktritt machte ein Wortspiel die Runde: „not the bed but the spread“. Soll heißen: Nicht die notorischen Sexskandale hatten den politischen Abgang des damals 75-Jährigen befördert, sondern die Märkte.
Heute wird wieder darüber spekuliert, dass die Märkte Italien auf den Pfad der Tugend zurückzwingen könnten. Diesmal ist es nicht Berlusconi, der die Anleger nervös macht, sondern es sind zwei Herren namens Matteo Salvini und Luigi Di Maio.
Es bleibt abzuwarten, ob sie ihre Versprechen einlösen
Der Chef der rassistischen Lega und der Vorsitzende der Fünf-Sterne-Protestbewegung bilden eine Populisten-Regierung, wie es sie in Italien noch nicht gegeben hat. Sie vertreten die Mehrheit der Italiener. Allerdings könnte ihnen dasselbe Schicksal blühen wie seinerzeit Berlusconi.
Dürfen die Italiener nicht wählen, wen sie wollen? Doch, natürlich dürfen sie. Aber ein paar grundlegende Gedanken zu den europapolitischen Programmen der Fünf Sterne und der Lega dürfen auch erlaubt sein. Und die sind hochgefährlich für Europa.
Wer sich die Lage in Italien schönredet und an dieser Stelle einwendet, dass auch unter der Lega und den Fünf Sternen schon nichts so heiß gegessen werde, wie es gekocht werde, sollte bedenken: Die beiden Parteien werden von ihren Wählern daran gemessen werden, ob sie ihr Versprechen, einen grundlegenden Wandel im Verhältnis zu Brüssel herbeizuführen, tatsächlich einlösen.
Die Ansage, es gehe um „mehr Italien“, stellt eine Zäsur dar
Die Ansage Salvinis, es gehe nicht um „mehr Europa“, sondern um „mehr Italien“, stellt eine Zäsur dar. Sie ist eine radikale Abkehr vom Kurs aller italienischer Regierungen, die sich seit der Gründung der Europäische Wirtschaftsgemeinschaft eine konstruktive Haltung gegenüber Europa auf die Fahnen geschrieben hatten.
Es gibt noch einen zweiten Grund, warum die Lage in Italien brandgefährlich für Europa ist. Die zurückliegende Woche wirft ein Schlaglicht auf eine Vorgehensweise Salvinis und Di Maios, die nichts Gutes ahnen lässt: Erst pokerten sie hoch und versuchten, den Euro-Kritiker Paolo Savona als Wirtschaftsminister durchzudrücken. Als sie damit nicht durchkamen, gingen sie auf Konfrontationskurs zum Staatspräsidenten Sergio Mattarella – und ließen sich am Ende doch von ihm zur Regierungsbildung bitten.
Nun sollte man Italiens Politik, die immer mal wieder vom tiefen Unernst einer Opera buffa geprägt ist, nie mit deutscher Nüchternheit betrachten. Aber was Salvini und Di Maio bislang lieferten, sprengt den bisherigen Rahmen noch. Und der ist dank der Erfahrung mit dem Populisten Berlusconi schon ziemlich weit gefasst. Der Vergleich drängt sich leider auf: Die täglichen Volten in Rom erinnern an die erratische Politik des US-Präsidenten Donald Trump.
Der Sprecher der Bundesregierung, Steffen Seibert, erklärte am vergangenen Freitag, dass man in Berlin „offen auf diese neue Regierung zugehen“ werde. Was soll er auch anderes sagen? Die Befürchtungen, die tatsächlich in Berlin und anderen Hauptstädten in der EU vorhanden sind, finden sich eher in den Worten des früheren Finanzministers Peer Steinbrück (SPD) wieder. „Was wir in Italien erleben, kann der Trigger einer massiven Finanzkrise sein“, sagte Steinbrück in der zurückliegenden Woche im Bundestag.
Die Wahrscheinlichkeit, dass dieser „Trigger“ – also der Auslöser – betätigt wird, wird auch dadurch nicht geringer, dass Salvini und Di Maio inzwischen nicht mehr den Austritt ihres Landes aus der Euro-Zone anstreben. Salvini sieht aber massive Steuersenkungen vor, die mit den Brüsseler Defizitregeln nicht vereinbar sind. Zur Erinnerung: Im vergangenen Februar – also noch vor der Parlamentswahl – forderte die EU-Kommission von Rom, im Etat weitere 3,4 Milliarden Euro einzusparen. Stattdessen planen Salvini und Di Maio nun, Geld mit dem Füllhorn über ihre Wähler im Norden und Süden des Landes auszuschütten.
Italien hat schon jetzt 2,3 Billionen Euro Schulden
Die Folge: Der gigantische Schuldenberg des Landes mit einem Volumen von 2,3 Billionen Euro würde noch weiter wachsen. Man braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, dass die Märkte eine solche Entwicklung mit hohen Risikoaufschlägen für italienischen Anleihen beantworten würden. Die Gefahr einer Italien-Pleite stünde im Raum.
Käme es zu einer solchen krisenhaften Zuspitzung, gäbe es nur schlechte Lösungen. Ein Euro-Austritt Italiens zählt dabei zu den unwahrscheinlicheren Varianten, weil ein solcher Schritt allein schon wegen der italienischen Verbindlichkeiten im System der Notenbanken im Euro-Raum auch die übrigen Euro-Staaten finanziell in den Abgrund reißen würde.
Salvini und Di Maio dürften im Bilde sein über das zerstörerische Potenzial, über das Italien als drittgrößte Volkswirtschaft in der Euro-Zone verfügt. Zwar wäre es nicht ganz ausgeschlossen, dass sie auf einen ähnlich vernünftigen Kurs einschwenken, wie ihn auch seit Jahren der linke griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras verfolgt. Wahrscheinlicher ist aber, dass es die neue Regierung in Rom gerade wegen der kritischen Masse Italiens auf einen offenen Konflikt mit den Euro- Partnern ankommen lässt.
Denkbar sind Finanztransfers Richtung Italien
Dies wäre dann Variante Nummer zwei: Sie könnte dazu führen, dass Brüssel im Ringen mit Italien um die Defizitregeln nachgibt und der Stabilitätspakt zur Makulatur verkommt. Denkbar wären auch Finanztransfers innerhalb der Euro-Zone Richtung Italien, die weit über die Investitionen hinausgehen, die Frankreichs Präsident Emmanuel Macron mit seiner Forderung eines Euro-Zonen-Budgets sinnvollerweise vorschlägt. Dies dürfte aber in Deutschland zu einem Proteststurm führen.
Bleibt Variante drei: Die Abdankung Salvinis und Di Maios unter dem Druck der „spreads“. Dies wäre aber neues Wasser auf die Mühlen der Vereinfacher, die behaupten, Politiker könnten nichts mehr gegen „die Märkte“ entscheiden. (Albrecht Meier)
Contra: Warum wir uns um Italien keine Sorgen machen müssen
CONTRA
Zerbricht Europa nun endgültig – an Italien? Für die alarmierten Schlagzeilen und die ängstlichen Fragen der europäischen Politik gab es in der vergangenen Woche tatsächlich Grund. Nur dass die Antworten in die Irre führten. Nicht Lega und Fünf-Sterne-Bewegung, die seit zwei Tagen die Regierung stellen, haben dem Projekt Europa und seiner Akzeptanz in diesen Tagen einen schweren Schlag versetzt.
Das schaffte ausgerechnet der Mann, dem man im In- und Ausland als Stabilitätsanker huldigt, als Pro-Europäer und Stimme der Vernunft im Umgang mit zwei unberechenbaren neuen – oh Schreck! – populistischen Parteien: Staatspräsident Sergio Mattarella. Der alte Herr im Quirinalspalast, der die Regierungsbildung bis dahin mit Geduld und Geschick begleitet hatte, wollte sie kurz vor dem glücklichen Ende an einem einzigen Namen scheitern lassen, dem des Wirtschaftsministers. Über den Kandidaten Paolo Savona ließe sich manches sagen, interessant war aber, was Mattarella über ihn sagte: Der Kandidat, der schon mal öffentlich über die Möglichkeit eines Ausstiegs seines Landes aus dem Euro nachdenkt, könnte „die Wirtschafts- und Finanzwelt alarmieren“. Da half es wenig, dass der 81-Jährige, von dem diese Gefahr angeblich ausging, eine öffentliche Treueerkärung zu Italiens europäischen Verpflichtungen abgab.
Der designierte Ministerpräsident Conte warf hin
Schon der Schatten des Verdachts genügte – worauf der designierte Ministerpräsident Giuseppe Conte hinwarf und Mattarella einen eigenen Premier beauftragte: Carlo Cottarelli, Ökonom mit einer soliden Karriere im – ausgerechnet – Internationalen Währungsfonds.
Besser hätte man wohl allen Verschwörungstheoretikern und „System“-Feinden nicht beweisen können, dass ihr Weltbild stimmt: Was gewählte Volksvertreter entscheiden, kann nie so wichtig sein wie seine Majestät der Markt. Und mit einem „Fachmann“ als Premier, der in den „richtigen“ Institutionen sozialisiert wurde, jenem IWF etwa, dessen Kreditvergabe im Weltsüden und Ko-Management der Griechenlandkrise traurig berühmt wurde, sind die Märkte immer besser bedient als mit lästiger Demokratie.
So weit ist es nicht gekommen, Lega und Fünf Sterne lenkten ein, und seit Freitag hat Italien eine Regierung, in der Professor Savona nun die europäischen Angelegenheiten betreuen darf. Was bleibt, sind unangenehme Fragen: Die Republik verkraftete zwar dreimal einen mehrfach angeklagten und schließlich verurteilten Steuerbetrüger als Premier, aber Zweifel am Euro im Kabinett nicht.
Präsident Mattarella hat mit dem Feuer gespielt
Ist die gemeinsame Währung eine politische Tatsache oder eine Religion, die ihre Häretiker verbrennen lässt? Ist schon anti-europäisch, wer will, dass die EU sich weiterentwickelt? Dann müsste sich nicht nur Italien Sorgen machen. Warum hat der sonst so bedächtige Präsident diesen verheerenden Eindruck entstehen lassen? Und warum hat er mit dem Feuer gespielt?
Jene Neuwahlen, die Mattarellas Nein um ein Haar provozierte, hätten allen Umfragen nach eine weitere Stärkung der rassistischen Lega und womöglich Berlusconi wieder zurück ins Spiel gebracht, der dank des harten Widerstands der Fünf Sterne erstmals – gar endgültig? – ausgeschaltet scheint.
Soll eine in der Tat hochheikle, aber demokratisch legitimierte Koalition womöglich an die Wand fahren, damit wieder vorgeblich neutrale „Techniker“-Regierungen – siehe Cottarelli – des Staatspräsidenten die Geschicke des Landes leiten? Mattarellas Vorgänger Napolitano hatte mit diesem Mittel in der vergangenen Legislatur virtuos operiert, um die Fünf Sterne klein zu halten. Die Sozialdemokraten, die mitspielten, bezahlten vor zwei Monaten mit einem Ergebnis von weniger als 20 Prozent, noch unter dem der deutschen Genossen. Und die Sterne waren erfolgreich wie nie.
Hat Merkel im Quirinal angerufen?
Oder haben die Deutschen im Quirinal angerufen? Das ist ein in italienischen Kommentaren oft geäußerter Verdacht. Es fällt leider schwer, ihn zu zerstreuen. Mag Günther Oettingers Hinweis, die Unruhe an den Finanzmärkten möchten den Italienern beim nächsten Wählen helfen, mit etwas gutem Willen noch als ungeschickt durchgehen, so gilt das nicht für Angela Merkel.
Die Kanzlerin schickte ihrer Versicherung, mit jeder Regierung in Rom klarzukommen, den Hinweis auf Griechenland hinterher: Auch die Regierung Tsipras habe Sparauflagen erst abgelehnt. Das gerann in Italien prompt zur Schlagzeile: „Merkel droht uns“.
Schallverstärkend wirkt noch, was deutsche Medien zu den Koalitionsverhandlungen fabrizieren. In einer besonders hetzerischen Kolumne wurde, in grotesker Verkennung der Wirklichkeit von Millionen Italienern, mal wieder das „dolce far niente“ des faulen Südens bemüht. Der aktuelle „Spiegel“-Titel knüpft Spaghetti zum Galgenstrick. Aber auch, wenn der ZDF-Korrespondent in Rom die Uraltmetapher vom „Theater“ bemüht, will man sich fremdschämen. Was war dann die doppelt so lange Zeit, die wir hier bis zur Regierung Merkel IV brauchten? Das Trauerspiel der Schulz-SPD oder die Jamaika-Proben bis zum bühnenreifen Abgang von Christian Lindner?
Wäre der deutsche Blick weniger durch zähes wilhelminisches Vorurteil getrübt, würde deutlich, dass Italien politisch Probleme hat wie überall: Demokratische Alternativen gehen verloren, weil die traditionellen Parteien verwechselbar werden. Die Konsequenzen – von Trump bis Brexit – sind der Aufstieg von Wutbewegungen und komplizierte Regierungsbildungen.
Italiens neue Regierung ist kein Grund zur Freude
Die Zeit wird zeigen, ob Gelb-Grün in Italien, die Koalition von Sozialstaatsangebot und Fremdenhass, wirklich so viel irrer ist als Deutschlands ewiges Schwarz-Rot, das mit der SPD linke Alternativen zum Verschwinden bringt und in der die AfD über die CSU mitregiert. Wir im Glashaus sollten unsere Steine lieber hübsch bei uns behalten.
Italiens neue Regierung ist weiß Gott kein Grund zur Freude. Ein Rassist, der der Hatz auf Schwarze applaudiert, wird Innenminister, der berechtigte Protest gegen Korruption und verbaute Zukunftsaussichten, der viele von Renzis Sozialdemokraten zu den Fünf Sternen trieb, könnte in dieser Koalition der Widersprüche jede Kraft verlieren. Sie wurde übrigens unausweichlich, weil die Restsozialdemokraten sich den Fünf Sternen gegen alle politische Vernunft verweigerten. Aber nach einem Vierteljahrhundert Berlusconismus, mal direkt, mal im Schatten des dirty old man, verdient diese Regierung eine Chance. Sie ist auch die Chance Europas: Zu zeigen, dass doch seine Bürger bestimmen, nicht das große Geld. (Andrea Dernbach)