Mit 600 Delegierten in Dresden: Die AfD steuert in einen unberechenbaren Parteitag
Eigentlich will die AfD mit ihrem Parteitag ein Signal der Einheit senden. Doch die internen Machtkämpfe überschatten das Treffen.
Es ist ein kleines Wörtchen, aber es kann Sprengkraft entfalten – das wissen sie in der AfD. „Deutschland, aber normal“ lautet der Slogan, mit dem die Rechtsaußenpartei in den Wahlkampf ziehen will. Und das bezieht sich freilich nicht nur auf die Pandemie. „Normal“ ist für die AfD, wie es früher mal war. Nicht normal ist in ihren Augen: Klimaschutz, gegenderte Sprache, Frauenquoten, der Euro, eine multikulturelle Gesellschaft.
Am Freitagabend präsentierten die AfD-Parteichefs Jörg Meuthen und Tino Chrupalla die Kampagne samt Werbefilmen in Dresden – noch vor Beginn des AfD-Parteitags an diesem Wochenende. Sie wollten zeigen, wie die AfD jetzt im Wahlkampf nach vorne kommen will. Heftig waren die Kämpfe in der radikal rechten Partei im vergangenen Jahr. Doch vom Parteitag soll ein Signal des Aufbruchs ausgehen. Die AfD will sich in Einigkeit präsentieren.
Soweit die Theorie. In der Praxis sind sich führende Vertreter der AfD nicht einmal sicher, worüber an diesem Wochenende in Dresden überhaupt entschieden wird. Nur über das Wahlprogramm? Oder auch über die Spitzenkandidatur? Von einer „Wundertüte“ ist die Rede – es sei völlig offen, was passieren werde.
Meuthen plädierte für eine Urwahl
Ursprünglich war es Parteichef Meuthen gewesen, der sich dagegen ausgesprochen hatte, bei dem Parteitag in Dresden den oder die Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl aufzustellen. Sein Argument: Noch hätten nicht alle Landesverbände ihre Listen aufgestellt. Man würde sonst über deren Köpfe hinweg entscheiden.
Meuthen plädierte stattdessen für eine Urwahl des oder der Spitzenkandidaten. Meuthens Gegner vermuteten, dass der Parteichef verhindern wollte, dass sich Fraktionschefin Alice Weidel und Co-Parteichef Chrupalla zum Spitzenkandidaten-Duo küren lassen. Beide zählen zu Meuthens Gegenspielern.
Mittlerweile ist bei einer Umfrage herausgekommen, dass ein Großteil der AfD-Mitglieder tatsächlich eine Urwahl möchte. Dennoch gibt es für das Wochenende in Dresden gleich mehrere Anträge, die fordern, die Spitzenkandidatenfrage an Ort und Stelle zu klären. Die Sorge ist, dass die AfD sonst erst viel zu spät ihre Gesichter für den Wahlkampf präsentiert und dadurch Nachteile hat.
Meuthens Wunschkandidatin stößt auf Skepsis
Was also wenn die Kür auf die Tagesordnung gesetzt wird? Als Wunschkandidat des formell aufgelösten, rechtsextremen „Flügels“ in der Partei gilt AfD-Chef Chrupalla als gesetzt. Im Meuthen-Lager würden sie ihm gerne eine weniger radikale Frau an die Seite stellen. Meuthens Wunschkandidatin ist die Bundestagsabgeordnete Joana Cotar. Die in Rumänien geborene Hessin konzentriert sich in der Fraktion vor allem auf Digitalpolitik und das Thema Meinungsfreiheit. Nach einigem Drängeln von Parteifreunden stellte sie sich zur Verfügung.
Die Argumentation im Meuthen-Lager: Chrupalla und Cotar würden zusammen die Breite der Partei abbilden. So soll der innerparteiliche Frieden gesichert werden. Auch glauben sie, dass der sächsische Malermeister Chrupalla im Westen nicht überzeugen kann und es Cotar deshalb brauche.
Doch Chrupalla ist angesichts dieser Duo-Aussicht skeptisch. Seine Unterstützer im „Flügel“ sind von der gemäßigteren Cotar nicht begeistert, auch ihre rumänischen Wurzeln sind ein Thema. Das Angebot von Cotar einfach so anzunehmen, würde Chrupalla bei seinen Freunden im „Flügel“ Minuspunkte bringen.
Alice Weidel steht wegen ihres Führungsstils in der Kritik
Unklar war lange, was mit seiner Verbündeten Alice Weidel ist. Die Fraktionschefin ist bei den AfD-Anhängern im Land beliebt, steht aber intern aber nicht nur wegen ihrer Spendenaffäre und dem schlechten AfD-Wahlergebnis in ihrem Landesverband in Baden-Württemberg in der Kritik. Sondern auch für ihre, wie ihre Gegner sagen, mangelhafte Führung der Fraktion. Am Samstagvormittag gab sie bekannt, dass sie nicht für die Spitzenkandidatur zur Verfügung stehen wird. Weidel begründete das mit dem unklaren Prozess der Kandidatenkür.
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Parteichef Meuthen selbst tritt bei der Bundestagswahl nicht an, er bleibt im Europaparlament. Doch auch für ihn persönlich hält der Parteitag Unwägbarkeiten bereit. Es gibt einen Abwahlantrag gegen ihn. Grund für den Unmut gegen Meuthen ist sein Konfrontationskurs gegen den „Flügel“. Auch wird gefordert, ihn für die Strafzahlung in Höhe von knapp 270 000 Euro in Regress zu nehmen, die die Partei wegen seiner Spendenaffäre geleistet hat.
Für Meuthen könnte Ende des Jahres Schluss sein
Dass der Antrag auf Abwahl Meuthens Erfolg hat, glaubt in der Partei niemand. Es bräuchte eine Zwei-Drittel-Mehrheit, um ihn abzusägen. Und selbst im „Flügel“ haben viele kein Interesse daran, Meuthen vor der Bundestagswahl loszuwerden. Zum richtigen Schlag gegen den Wirtschaftsprofessor werden die „Flügel“-Leute wohl erst bei der regulären Wahl des neuen Bundesvorstands im November ansetzen.
Gut möglich ist, dass der Abwahlantrag noch nicht mal behandelt wird. In der Debatte darüber könnte sich dennoch die Wut gegen Meuthen Bahn brechen. Schon auf dem vergangenen Parteitag in Kalkar hatte Meuthen massiven Gegenwind bekommen. Dort hatte er jene AfD-Kollegen, die „immer enthemmter auftreten“ und „rumkrakeelen und rumprollen“, scharf kritisiert.
Interessant dürfte auch die Debatte über einen Antrag werden, der indirekt das Ende der Ära Meuthen bedeuten würde. Danach soll ein Mitglied der AfD höchstens zweimal unmittelbar in dasselbe Parteiamt wiedergewählt werden. Für Meuthen wäre damit im November Schluss.