„Dem Wähler nur schwer vermittelbar“: Warum die AfD vorerst ohne Spitzenkandidat in den Wahlkampf geht
Die Entscheidung, ohne Spitzenkandidaten in den Wahlkampf zu starten, sorgt für Unmut in der AfD. In dem Streit spiegelt sich die Zerrissenheit der Partei.
Eigentlich sind sie das Zentrum im Wahlkampf einer jeden Partei: die jeweiligen Spitzenkandidaten. Sie stehen auf den großen Bühnen, werden zu Talkshows und Einzelinterviews eingeladen, ihre Gesichter prangen auf den Wahlplakaten. Zumindest normalerweise.
Bei der AfD wird das dieses Jahr wohl anders sein. Die Rechtsaußenpartei wird ohne einen Spitzenkandidaten oder ein Spitzenkandidatenduo in den Wahlkampf starten. Die am Montag im Bundesvorstand gefallene Entscheidung sorgt für Unmut in Teilen der Partei. „Es ist den Wählern und Mitgliedern nur schwer vermittelbar, dass die größte Oppositionspartei im Bundestag ohne Spitzenkandidaten in den Wahlkampf geht“, sagte Fraktionschefin Alice Weidel dem Tagesspiegel. Ein „Lastminute-Kandidat“, der erst im Spätsommer präsentiert würde, sei keine sinnvolle Lösung.
Was steckt dahinter? Am Montag hatte der Bundesvorstand der AfD eine vorläufige Tagesordnung für den Bundesparteitag Mitte April in Dresden verabschiedet. Bei diesem Parteitag ist nun die Verabschiedung eines Wahlprogramms vorgesehen, die Wahl eines Spitzenkandidaten aber nicht. Zuerst hatte das ARD-Hauptstadtstudio über den Vorgang berichtet.
Meuthen plädiert für Urwahl
Für die Entscheidung hatte sich Parteichef Jörg Meuthen eingesetzt. Er ist in der AfD zwar stark umstritten, hat aber eine komfortable Mehrheit im Bundesvorstand. Meuthen begründet die Entscheidung damit, dass zum Zeitpunkt des Bundesparteitages noch gar nicht in allen Landesverbänden die Listen für die Bundestagswahl aufgestellt sind. Er hielte es für Wettbewerbsverzerrung, wenn dann bereits der Spitzenkandidat für die Bundespartei gewählt würde.
[Wenn Sie die wichtigsten News aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]
Das klingt erst einmal logisch: Denn wer als Spitzenkandidat für die Bundespartei aufgestellt wird, braucht einen sicheren Listenplatz. Er müsste von seinem Landesverband also zwangsläufig auf eine aussichtsreiche Position gewählt werden – was man tatsächlich als Wettbewerbsverzerrung sehen könnte.
Meuthen plädiert nun für eine Urwahl des oder der Spitzenkandidaten. „Auf diese Weise entscheiden die Parteimitglieder selbst, wer sie bei der Bundestagswahl repräsentieren soll“, sagte er dem Tagesspiegel.
Weidel und Chrupalla werden als Spitzenduo gehandelt
Meuthens Gegner aber sind sich sicher, dass es hier um mehr geht – also dass sich hinter dieser Diskussion der knallharte Machtkampf verbirgt. Grob gesagt ist die AfD in zwei Lager gespalten: pro und contra Meuthen. Im Lager der Feinde des Parteichefs tummeln sich nicht nur die Anhänger des formal aufgelösten „Flügels“ um Björn Höcke, sondern auch Fraktionschefin Alice Weidel, der Ehrenvorsitzende Alexander Gauland und Co-Parteichef Tino Chrupalla.
Unter deren Anhängern vermutet man, dass es Meuthen darum geht, Alice Weidel und Tino Chrupalla als mögliche Spitzenkandidaten bei der Bundestagswahl zu verhindern. Es wird sogar gemutmaßt, dass es am Ende gar keinen Spitzenkandidaten und auch kein Spitzenkandidaten-Duo geben wird, sondern nur eine Art Kompetenzteam. Damit würde weiter Meuthen als Parteichef im Mittelpunkt stehen, obwohl er gar nicht bei der Bundestagswahl antritt. Er hatte sich entschieden, im Europaparlament zu bleiben.
Kann die Spitzenkandidatenwahl doch noch auf die Tagesordnung?
Dass der Parteitag im April tatsächlich keinen Spitzenkandidaten aufstellt, ist indes nicht zu 100 Prozent sicher. Denn das Contra-Meuthen-Lager könnte versuchen, die Wahl trotzdem noch per Abstimmung auf die Tagesordnung zu hebeln. Unklar ist aber, ob das überhaupt geht. Im Meuthen-Lager sagen sie: nein. AfD-Satzungskenner sehen zumindest einen rechtlichen Graubereich.
Fraglich ist außerdem, wer als Spitzenkandidat zur Verfügung stünde. Die AfD hat ein Personalproblem, es mangelt ihr an geeigneten Kandidaten. Auch gegen Weidel und Chrupalla gäbe es Vorbehalte. Der Sachse Chrupalla sei im Westen nicht vermittelbar, lästern einige. Bei Weidel wiederum sei die Spendenaffäre noch immer nicht ausgestanden. Und AfD-Übervater Gauland, der im Wahlkampf 2017 im Duo mit Weidel als Spitzenkandidat angetreten war, ist wegen seines Alters nicht mehr in der Diskussion.
Gleichzeitig ist die Frage der Spitzenkandidatur womöglich das geringere Problem der AfD im Wahlkampf. Wenn der Verfassungsschutz die Partei als Ganzes beobachtet, dürften ihr vor allem im Westen viele Mitglieder und so mancher Wähler verloren gehen.