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Journalisten warten im März 2020 auf ein AfD-Statement.
© picture alliance/dpa
Update

Schwerer Schlag für die Rechtsaußenpartei: Verfassungsschutz stuft AfD als rechtsextremen Verdachtsfall ein

Die Entscheidung wurde schon länger erwartet: Nun hat das Bundesamt für Verfassungsschutz die ganze AfD als Verdachtsfall eingestuft. Die Partei ist empört.

Nach längerem Hin und Her ist es soweit. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) hat die gesamte AfD als Verdachtsfall eingestuft. Nach Informationen des Tagesspiegels hat BfV-Präsident Thomas Haldenwang am Mittwoch den Landesbehörden für Verfassungsschutz in einer Videokonferenz mitgeteilt, dass der Schritt am 25. Februar erfolgt sei. Mit der Bewertung als Verdachtsfall kann das BfV bei der Beobachtung der AfD nachrichtendienstliche Mittel einsetzen, darunter die Überwachung des E-Mail-Verkehrs und die Anwerbung von Parteimitgliedern als V-Leute. Es ist das erste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik, dass der Verfassungsschutz eine Partei, die im Bundestag und allen Landesparlamenten sitzt, als extremistischen Verdachtsfall bezeichnet.

Zwei Jahre nach der Einstufung der AfD als „Prüffall“ registriert das BfV eine deutlich gestiegene Radikalisierung. Der Verfassungsschutz sieht jetzt gewichtige Anhaltspunkte, dass es sich bei der AfD um eine rechtsextremistische Bestrebung handelt. Im Januar 2019 waren es nur „erste tatsächliche Anhaltspunkte für eine gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung ausgerichtete Politik“. Nach Erkenntnissen des BfV hat jedoch der Einfluss von Rechtsextremisten in der Partei ein bedrohliches Ausmaß erreicht. Der sich gemäßigt gebende Parteichef Jörg Meuthen kann sich nur mit Mühe gegen die angeblich selbst aufgelöste, parteiinterne Vereinigung „Der Flügel“ um Björn Höcke und gegen weitere Gegner behaupten.

Die AfD steht in Verbindung zu Rechtsextremisten wie der Identitären Bewegung

Das Gutachten des BfV zum Verdachtsfall AfD hat drei Schwerpunkte: der gestiegene Einfluss des rechtsextremistischen „Flügel“, demokratiefeindliche Agitation und die Verbindung zu verfassungsfeindlichen Akteuren wie der rechtsextremen Identitären Bewegung Deutschland (IBD), zur Gruppierung „Ein Prozent“, zum „Institut für Staatspolitik“ des Demagogen Götz Kubitschek und zur Zeitschrift „Compact“, die mit rechten Verschwörungstheorien vor allem Corona-Leugner aufhetzt. Das BfV hatte „Ein Prozent“, das Institut für Staatspolitik und „Compact“ bereits als Verdachtsfall eingestuft. Die Identitäre Bewegung ist für den Verfassungsschutz ein klassisch rechtsextremes Beobachtungsobjekt.

Die AfD reagierte empört. Der Co-Vorsitzende Tino Chrupalla sagte, das Vorgehen des Verfassungsschutzes sei „skandalös und weder juristisch noch verfassungsrechtlich haltbar“. Es sei ein Eingriff in den freien Wettbewerb demokratischer Parteien mit staatlichen Mitteln. Obwohl die Behörde die Einstufung als Verdachtsfall nicht bekannt geben dürfe, lanciere sie entsprechende Informationen an die Medien, um auf diese Weise den demokratischen Parteienwettstreit zu Lasten der AfD zu beeinflussen.

1000-seitiges Gutachten mit Belegen

Die seit langem erwartete Einstufung durch das BfV ist für die AfD ein schwerer Schlag. Gerade im Superwahljahr 2021. Viele konservative Protestwähler werden sich vermutlich überlegen, ob sie ihre Stimme einer Partei geben, die zunehmend verfassungsfeindlich agiert. Auch für Staatsdiener in der AfD wird es heikel. Polizisten, Staatsanwälten, Richtern und anderen Beamten drohen nun Konflikte mit ihren Behörden. Der Staat verlangt von seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, sich politisch gemäßigt zu verhalten. Das ist mit dem Engagement in einer nahezu rechtsextremen Partei nur noch schwer zu vereinbaren.

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Die Entscheidung des BfV war bereits für den Anfang des Jahres erwartet worden. In Sicherheitskreisen gab es Signale, die Einstufung der AfD als Verdachtsfall komme im Januar. Das BfV schickte dem Bundesinnenministerium ein etwa 1000-seitiges Gutachten mit vielen Belegen für rechtsextremistische Tendenzen in der Partei. Kurz darauf sollte die verschärfte Bewertung der AfD bekannt gegeben werden. Das Ministerium prüfte das Papier auf juristische Risiken - und gab erstmal kein grünes Licht. Das Bundesamt überarbeitete das Gutachten, die neue Fassung wurde nun vom Ministerium abgesegnet.

BfV gibt die Entscheidung nicht öffentlich bekannt

Versuche der AfD, in Eilverfahren beim Landgericht Köln dem BfV die Einstufung der gesamten AfD als Verdachtsfall und die öffentliche Verkündung untersagen zu lassen, sind in diesem Jahr vorerst gescheitert. Ende Januar lehnte das Verwaltungsgericht Köln den Antrag der Partei ab, mit einer „Zwischenregelung“ schon vor dem Ende des Eilverfahrens das BfV zu blockieren. Die AfD beschwerte sich beim Oberverwaltungsgericht Münster, blitzte aber auch hier ab.

Das BfV hatte zudem den Richtern in Köln schon zugesichert, eine Bewertung der AfD als Verdachtsfall nicht zu publizieren, sollte der Schritt vor dem Ende des Eilverfahrens erfolgen. Deshalb hat das BfV jetzt auch nicht die Öffentlichkeit über die Einstufung der Partei informiert. Das Bundesamt teilte jetzt nur mit: „Mit Blick auf das laufende Verfahren und aus Respekt vor dem Gericht äußert sich das BfV in dieser Angelegenheit nicht öffentlich.“ Den Landesbehörden für Verfassungsschutz musste BfV-Chef Haldenwang allerdings die Entscheidung mitteilen, da sie mit ihren Erkenntnissen zur Einstufung der AfD wesentlich beigetragen hatten. Nach unbestätigten Informationen hat das BfV das Gutachten auch schon dem Verwaltungsgericht Köln zugeleitet.

Mehrere Landesverbände sind bereits Verdachtsfall

Dass der Verfassungsschutz die AfD härter bewertet, zeichnete sich schon länger ab. Im März 2020 hatte das BfV den betont radikalen „Flügel“ bereits hochgestuft zu einem klassischen Beobachtungsobjekt, vergleichbar mit der NPD. Zuvor war der „Flügel“ bereits ein Verdachtsfall. Ebenfalls im März 2020 bewertete der Thüringer Verfassungsschutz den von Höcke geführten Landesverband der AfD als Verdachtsfall.  Im Juni folgte Brandenburgs Verfassungsschutz und erklärte die märkische AfD zum Verdachtsfall. So verfuhren dann im Januar auch die Landesbehörden für Verfassungsschutz in Sachsen-Anhalt und Sachsen mit den regionalen Verbänden der Partei.

Der AfD-Innenpolitiker und Bundestagsabgeordnete Roman Reusch bezeichnete das Vorgehen des Verfassungsschutzes als „politisch motiviert“. Er habe aber nicht die Sorge, dass die Beobachtung übermäßig negative Auswirkungen auf die AfD haben werde. „Es werden ein paar Leute die Partei verlassen, aber ich erwarte keinen wesentlichen Aderlass“, sagte er dem Tagesspiegel. Im Osten interessiere es die Wähler ohnehin nicht, was der Verfassungsschutz mache. Und auch im Westen wählten vor allem diejenigen AfD, die sich vom Verfassungsschutz „nicht beeindrucken“ ließen. Es werde schließlich schon seit Monaten über eine Gesamtbeobachtung spekuliert. Derzeit steht die AfD in Umfragen bei etwa zehn Prozent.

„Diesem Treiben darf der Staat nicht tatenlos zusehen“

In den Ländern wird die erfolgte Einstufung der Gesamtpartei AfD als Verdachtsfall begrüßt. „Zentrale Figuren der Partei, insbesondere vom rechten Flügel, fallen in regelmäßigen Abständen mit zum Teil rechtsextremen und menschenfeindlichen Aussagen auf“, sagte Chris Schulenburg, innenpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt. „Wenn der rechte Flügel der AfD die Macht in der Partei übernommen hat, dann muss die wehrhafte Demokratie zum Schutz unserer Verfassung reagieren und dem braunen Flügel mit rechtsstaatlichen Mitteln die Federn stutzen.“

Zustimmung kommt auch vom Zentralrat der Juden in Deutschland. Präsident Josef Schuster sagte, „der Einstufung der AfD als Verdachtsfall ist eine sehr eingehende Prüfung vorangegangen. Das Vorgehen des Verfassungsschutzes bestätigt die Gefahr, die von der AfD ausgeht. Sie bemüht sich zwar um eine bürgerliche Fassade, doch das darf nicht über ihre Radikalität hinwegtäuschen. Die AfD trägt mit ihrer destruktiven Politik dazu bei, unsere demokratischen Strukturen zu untergraben und die Demokratie bei den Bürgern zu diskreditieren. Diesem Treiben darf der Staat nicht tatenlos zusehen. Daher hat der Verfassungsschutz den richtigen und notwendigen Schritt getan.“

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